Walkaway (Autor: Cory Doctorow)
 
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Walkaway von Cory Doctorow

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Die nahe Zukunft: Der Planet ist vom Klimawandel gezeichnet, die moderne Gesellschaft wird von den Ultra-Reichen regiert und die Städte haben sich in Gefängnisse für den normalen Bürger verwandelt. Doch es ist auch eine Welt, in der sich Lebensmittel, Kleidung und Obdach per Knopfdruck produzieren lassen. Warum also in einem System ausharren, das die Freiheit des Menschen beschränkt? Vier ungleiche Helden machen sich auf den Weg in die Wildnis. Dort suchen sie Unabhängigkeit, Glück und Selbstbestimmung. Was sie aber stattdessen dort finden, stellt ihre ganze Welt auf den Kopf: den Weg zur Unsterblichkeit …

 

Rezension:

Kommunistische Partys sind der letzte Schrei unter den Jugendlichen Torontos und eigentlich ist Hubert Vernon Rudolph Clayton Irving Wilson Alva Anton Jeff Harley Timothy Curtis Cleveland Cecil Ollie Edmund Eli Wiley Marvin Ellis Espinoza, genannt Hubert Etcetera, mit 27 schon zu alt dafür. Doch sein Kumpel Seth hatte ihn hergeschleppt und als sie ein Mädchen vom Orga-Team kennenlernen, bleiben sie um zu erleben, wie die aufgegebene Fabrik, in der die Party stattfindet, ihren Betrieb wieder aufnimmt. Zum Sound der DJs produzierte Möbel werden verschenkt – klar, dass irgendwann die Drohnen der Polizei auftauchen und so endet die Party in Blut und heilloser Flucht, bei der Billiam, ein Freund des Mädchens, stirbt.

Traumatisiert lassen sie sich zur Wohnung des Mädchens mitnehmen. Natalie überrascht die beiden Jungs damit, dass sie eine Zotta ist – sie gehört zu jenen Superreichen, deren Vermögen nur noch mit dem Zahlwort Zotta benannt werden kann.

Doch Natalie ist gegen ihre Herkunft, gegen das gesellschaftliche Gefängnis und gegen ihren Vater Jakob, der sich wegen seines Geldes für etwas Besseres hält.

Aus einer Laune heraus beschließen die drei, diesem Leben den Rücken zuzudrehen, wegzugehen – Walkaways zu werden.

 

Cory Doctorow denkt mit seinem Walkaway die Zukunft ein ganzes Stück weiter. Er beschreibt eine Welt, in der man durch 3D-Drucker alles herstellen kann. Man benötigt nur Muster und das Rohmaterial – das Scop. Weite Teile der Welt sind durch Raubbau und Pleiten zerstört, verlassen oder sich selbst überlassen. Hier entstehen Walkaway-Projekte wie das B & B von Limpopo, einer jungen Frau, die durch ihre Leidenschaft für die Philosophie der Walkaways, einen gewissen Ruf und Achtung genießt. Hinter dem Leben der Walkaways steckt die Idee, dass jede und jeder sich in ein Projekt mit dem einbringen kann, was er will. So unwahrscheinlich es klingen mag, die Walkaways erschaffen durch diese Montessori-ähnliche Herangehensweise wesentlich effektiver Dinge, Technologien und lebenswerte Orte, als die alte Welt, Default genannt.

Doch so leicht macht man es ihnen nicht. Söldnertruppen, staatliche Angriffe und Andersdenkende zerstören brutal immer wieder das Erbaute. Doch jedes Projekt ist in den Netzen dokumentiert, jeder Neuanfang wird aufgrund der Erfahrungen der vorhergehenden besser. Walkaways kämpfen nicht um Besitz, sie ziehen einfach weiter.

 

Dieses Prinzip hämmert uns Doctorow mehrfach ein. Aufbau, Zerstörung, Neuanfang wechseln sich beständig ab. Dadurch wird man als Leser natürlich deutlich auf die Seite der Walkaways gestellt. Doctorow lässt das Default sämtliche auch heute bereits verwendete Strategien auffahren, um die Walkaways zu vernichten oder zumindest zu diskreditieren. Sie werden als Diebe und Terroristen abgestempelt, ausgedachter Verbrechen bezichtigt und diffamiert. Dabei ist es nicht nur ein Kampf um Rechtsnormen, sondern vor allem die Angst der Superreichen, ihre Position zu verlieren. Denn in der Ära der Mangellosigkeit kann das Tauschprinzip Geld auf Dauer nicht mehr überzeugen. Und als die Walkaways die Upload-Technologie in den Griff bekommen und kostenlos der ganzen Menschheit zu Verfügung stellen, ist nicht einmal mehr die Unsterblichkeit exklusiv. Ein brutaler Überlebenskrieg beginnt.

 

Interessanterweise bringt gerade die Upload-Technologie einige ethische Probleme mit, die Doctorow geschickt in die Handlung einbaut. Was ist eigentlich diese simulierte Persönlichkeit, wenn man durch Software-Parameter Faktoren wie Furcht oder Panik steuern kann?

Die Beziehungen der Figuren untereinander sind dabei für Doctorow sehr wichtig. Es wird geliebt, getrauert, gehasst ohne irgendwelche Begrenzungen in Geschlecht, Hautfarbe, Herkunft oder Körperlichkeit. Bei Doctorow klingen viele Spielarten des Zusammenlebens und der Selbstorganisation nicht nur möglich und vorstellbar, sondern auch irgendwie leicht. Als ob das Walkaway nur eine kleine Entscheidung von uns selbst entfernt liegt.

 

Und trotz allen Unbills, dem er die Figuren aussetzt, ist »Walkaway« eine ganz groß angelegte gesellschaftliche Utopie voller Optimismus und der Überzeugung, dass die Menschheit den Fluch des Kapitals endlich wird ablegen können. Es besteht noch Hoffnung!

 

Übersetzer Jürgen Langowski lieferte eine sorgfältig abgestimmte Übertragung, die sich den notwendigen englischen Begriffen nicht verwehrt und dennoch mit klarer Sprache auch komplexere Teile des Romans darstellt.

 

Auch das Cover von Cover Will Staehle und Das Illustrat bringen mit ihrer Leuchtkraft und bildlichen Klarheit dem Buch eine angemessene Präsentation. Für ein Heyne SF-Buch nicht unbedingt Normalität.

 

Fazit:

»Walkaway« von Cory Doctorow ist vielleicht tatsächlich die große positive Utopie, die auf die Science Fiction, dem Posthumanismus und auf uns selbst ausstrahlen kann. Was Doctorow in die Zukunft denkt, ist so schmerzhaft wie notwendig. Manchmal endet die Postapokalypse eben einfach dadurch, dass man von ihr weggeht.

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Buch:

Walkaway

Original: Walkaway, 2017

Autor: Cory Doctorow

Übersetzer: Jürgen Langowski

Taschenbuch, 736 Seiten

Heyne Verlag, 11. Juni 2018

Cover: Will Staehle und Das Illustrat

 

ISBN-10: 3453317939

ISBN-13: 978-3453317932

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B077C2G4HF

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 02.11.2018, zuletzt aktualisiert: 22.05.2021 09:49, 17074