Walpurgisnacht (Autor: Gustav Meyrink)
 
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Walpurgisnacht von Gustav Meyrink

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Der vierte Band der Gustav-Meyrink-Edition im dtv: Schauplatz ist - ebenso wie im ›Golem‹ - die Kaiserstadt Prag. Dort spielt die mysteriöse und spannende Geschichte der Liebenden Ottokar und Polyxena, deren Schicksal sich tragisch in einer turbulenten Walpurgisnacht entscheidet.

 

Rezension:

Die Walpurgisnacht ist traditionell eine Zeit, in der sich metaphysische Ereignisse mit der realen Welt verbinden, in der die Hexen auf dem Brocken ihre lüsternen Tänze aufführen und sich somit auch Vergangenheit und Gegenwart vermischen.

Für Gustav Meyrink muss diese Zeit auch deshalb so faszinierend gewesen sein, weil der landläufige Aberglaube hier von Magie und Phantastischem nur so durchtränkt war.

Für die Hauptfigur des Romans, Taddäus Flugbeil, Leibarzt seiner kaiserlichen Majestät im Ruhestand, bedeutet der 30. April zunächst nichts weiter, als die Fortsetzung seines gewohnten Alltags. Das Leben auf der Prager Königsburg, dem Hradschin, ist zu Beginn des 20. Jahrhunderts geprägt von starren Ritualen und einer adligen Oberschicht, die den industriellen und gesellschaftlichen Veränderungen mit Ignoranz und Desinteresse gegenübersteht. Dass der erste Weltkrieg und die damit verbundene Globalisierung der Politik auch ihre Schicht betrifft, bemerken sie nicht. Auch für Flugbeil ist die Welt jenseits der Brücken, das bürgerliche und proletarische Prag, eine fremde, ja sogar bedrohliche Ferne, die er nur voyeuristisch durch das Fernglas betrachtet. Sein Leben ist wie das der anderen Adligen geprägt von diffuser Langeweile. Selbst vom Krieg bekommen sie kaum etwas mit.

Da bricht plötzlich doch etwas in ihre Welt, just in der Walpurgisnacht.

Der Zrcadlo, im Tschechischen das Wort für Spiegel, beginnt nicht nur als gespenstische Projektion den Anwesenden tatsächlich einen Spiegel vorzuhalten und mit längst verdrängten Geschichten zu konfrontieren, dieser Spiegel zerstört auch die Illusion von Zeitlosigkeit, gerade indem er die Vergangenheit lebendig macht. So reißt er den Adligen ihre Maske der Ehrhaftigkeit vom Leib und beginnt auch in Flugbeil eine Veränderung zu bewirken, als er mit seiner längst verblassten Liebe konfrontiert wird, der böhmischen Liesel, einer Prostituierten, der er damals davon lief, gefangen in seinen Standeszwängen und seinem Wunsch nach Karriere. Dabei ist der Zrcadlo gar nicht selbst aktiv, vielmehr ist er ein Medium. Meyrink interessierte sich sehr für die östlichen Religionen und Schamanismus, später konvertierte er sogar zum Buddhismus. Hier bringt er Geistesübernahmen ins Spiel, lässt einen Tatar von Awysha erzählen, einer Methode von Fakiren, den Körper von Toten zu benutzen, um mit ihrem Geist in deren Körper einzudringen und ihn zu benutzen und ihren Willen auszuführen.

Aber auch Flugbeil erhält eine Antwort, als er den Zrcadlo selbst fragt, wer sei und sich ein chinesischer Mandschu meldet.

Später wird auch Polyxenia herausfinden, zu Aweysha fähig zu sein, wenn sie gegen die halb garen Ideen anarchistischer Ideologie kämpft. Aber Polyxenia ist noch wesentlich mystischer angelegt. Das uralte Gemälde einer Vorfahrin übernimmt die Kontrolle über die junge Adlige, also ebenfalls eine Art des Aweysha und mit ihr kommt Blutgier gepaart mit sadomasochistischen Trieben ins Spiel, eine Verbindung von Leidenschaft und blutiger Macht, die zu einem wesentlichen Teil der Adelsfama zählt.

Meyrink lässt die blutige Historie des tschechischen Adels gegen die nicht minder blutige Revolution des Proletariats antreten, zynischer Weise verbunden in einem Liebespaar, dessen Schicksal ebenso verloren scheint, wie die Lösung des Konflikts.

Während Flugbeil durch das Wiederentdecken der Liebe zu einer ganz eigenen Befriedung der Seele gelangt und dem festgefahrenen Leben durch den Tod entkommt, gibt es für Ottokar keine Fluchtmöglichkeiten. Er wird zu einer Gallionsfigur, tragisch und lächerlich zugleich, als Kaiser gekrönt von der aufständigen Masse, die den Adel eigentlich abschaffen will, aber dann doch nur nach deren Besitz strebt. Die Revolution ist bei Meyrink nichts weiter als Raub. Polyxenia jedoch, das Erbe des Zerfalls und die Blutsucht im Herzen, entgeht dem Untergang. Am Ende überlebt eine Hexe die Walpurgisnacht.

 

Fazit:

Die Walpurgisnacht als kosmische Zeit der Gesichter und unheilvollen Begegnungen in Verbindung gebracht mit dem historischen Niedergang einer gesellschaftlich Ordnung – Meyrink bringt uns nicht nur das Wesen des alten Prags näher, er zieht uns auch unrettbar hinein in seine magische Welt, die die Wirklichkeit korrumpiert und beherrscht.

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Buch:

Walpurgisnacht

Autor: Gustav Meyrink

Nachwort von Ulrike Ehmann

dtv, 2008

Paperback, 224 Seiten

 

ISBN-10: 3423136510

ISBN-13: 978-3423136518

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 12.07.2008, zuletzt aktualisiert: 05.01.2024 16:23, 6897