Washington Square (Autor: Henry James)
 
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Washington Square von Henry James

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Henry James' beeindruckendes viktorianisches Beziehungsdrama nun auch in der Autoren- Bibliothek: Im Mittelpunkt dieses eindringlichen psychologischen Romans steht das große Haus am Washington Square, in dem die tragisch-emanzipatorische Geschichte der jungen Erbin Catherine spielt. James schuf damit ein Werk von beeindruckender Modernität.

 

Rezension:

Mitte des 19. Jahrhunderts in New York. Der verwitwete Arzt Dr. Austin Sloper hat eine Tochter, die anders als seine geliebte Frau weder schön, noch klug ist. Im Gegenteil. Catherine ist ein schlichtes und, in den Augen ihres Vaters, völlig reizloses Mädchen. Nur eines ist sie nicht: arm. Kein Wunder, dass er in dem jungen Morris Townsend, der Catherine schöne Augen macht, einen Erbschleicher vermutet. Das Mädchen verliebt sich in den charmanten Bewerber und glaubt bedingungslos an ihre Liebe. Unterstützt von Catherines Tante, einer romantischen Witwe, schmiedet das Paar Heiratspläne, jedoch droht Dr. Sloper mit Enterbung, wenn seine Tochter den ihm unsympathischen Faulenzer ehelicht. Eine Europa-Reise von Vater und Tochter soll die Meinungsverschiedenheit klären, doch nach ihrer Rückkehr ist alles anders...

 

Zugegeben, der Plot klingt heute nicht besonders spektakulär. Ein Mädchen folgt ihrer Liebe blind ins Verderben gegen den Rat der Eltern und wird erwartungsgemäß enttäuscht. Jeder muss seine Fehler selber machen.

Aber nein, so einfach ist es mit Henry James Roman Washington Square nicht.

Der Zeitbezug ist ein wesentlicher Schlüssel, um die Bedeutung des Romans zu verstehen. Dr. Sloper gehört als Arzt zur gesellschaftlichen Elite New Yorks. Er ist reich, wenn auch nicht übermäßig und somit stellt seine Tochter eine gute Partie dar. Jedoch ist es ihm nicht egal, wen sie heiratet. Ganz der wirtschaftlichen Maxime der Vereinigten Staaten verhaftet, zählen für ihn in erster Linie Selbstständigkeit und Ehre. Schmarotzertum, das Leben auf Kosten anderer, kann er nicht ausstehen. Morris Townsend ist jedoch genau das. Er hat bereits eine Erbschaft aufgebraucht, lebt im Haushalt seiner Schwester, die von kümmerlichen Einkünften ohne Mann fünf Kinder versorgen muss, und zu allem Übel vermeidet es der junge Mann geschickt, sich ernsthaft um eine Anstellung zu bemühen. Dr. Sloper hat völlig Recht, wenn er vermutet, dass Morris sich mit seiner Tochter nur befasst, um auf einfache Weise zu einem angenehmen Leben zu kommen. Die moralische Grundkonstellation scheint also einfach.

Ist es jedoch nicht. Henry James gilt nicht zu Unrecht als Meister psychologischer Details.

Und genau in ihnen liegen die eigentlichen Konflikte der Handlung verborgen.

 

So entwickelt Dr. Sloper zunächst einiges Vergnügen daran, seine Vermutungen bezüglich der Motive des jungen Mannes bestätigt und, in aller Konsequenz, seine Tochter straucheln zu sehen. Letztlich wird deutlich, dass Sloper sein Kind wegen ihrer geistigen Beschränktheit verachtet. Er spielt ihr gegenüber seinen Intellekt aus und amüsiert sich an ihrer offensichtlichen Blindheit. Als er des Spiels müßig wird und sich das dumme Kind weigert, seinem Urteil zu folgen, reagiert er wütend. Zu keiner Zeit geht es ihm wirklich um seine Tochter. Diese erstaunliche Figur des ironischen Vaters, der sich mit einem unliebsamen Problem konfrontiert sieht, dessen Kontrolle er verliert, gewinnt im Laufe des Romans ein immer schärferes Profil.

Auch so Catharine. Mit sehr viel Einfühlungsvermögen schildert James die inneren und äußeren Kämpfe des Mädchens. Nie stellt er sie direkt als tumb dar. Stets sind es die anderen Figuren. Sei es der Vater, der sie absichtlich auflaufen lässt und ihr mit Ironie antwortet, wohl wissend, dass sie es nicht versteht, oder sei es ihr Liebhaber, der mit geschliffener Rede viel erzählt ohne etwas zu sagen. Dabei ist sie sehr wohl in der Lage, sich und ihre Position einzuschätzen. Doch es liegt nicht an ihr, wenn ihre Liebe verraten wird. Sie ist zu Beginn ehrlich und loyal und ändert sich erst, als sie zu spürt, dass man ihr nicht auf dieselbe Art begegnet. Dennoch lässt James sie nie als das Opfer erscheinen. Vielmehr ist Catherine zunehmend selbstbestimmt. Sie überlegt, wägt ab und entscheidet dann, um mit derselben störrischen Konsequenz bei ihren Entschlüssen zu bleiben, wie ihr Vater.

Die zweite Frau, deren Wesen wir näher kennenlernen, ist Lavinia Penniman, Slopers Schwester und Chatherines Tante. Ein romantisches, spätes Mädchen, wenn auch verwitwet, das sich in das Leben ihrer Nichte einmischt, ganz ihren jungferlichen Einfällen verhaftet und zunehmend in die Rolle der Mutter von Morris Townsend verfallend. James schildert diese charakterlichen Eigenschaften meist indirekt, über die Wirkungen ihrer Ideen. Die Gründe für ihr Handeln sind stets offenbar, ohne dass man wirklich mit ihnen sympathisieren kann.

 

Was bei der Lektüre auffällt und noch mehr, wenn man sich mit der besonderen Art der Charakterisierung von Henry James beschäftigt, ist, dass die beschriebene Frauenwelt eine sehr eigentümliche ist, zumindest aus heutiger Sicht. Keine der Frauen geht einer Arbeit nach. Sie sind Mutter, Haushälterin oder einfach Tochter. Scheinbar besteht ihr Leben aus Trivialitäten, deren Höhepunkt die Ehelichung ist. Catherine verweigert sich dieser Abfolge, nachdem sie so schwer in ihrem Innern verletzt wurde. Es ist eine Art des Protestes gegen ihre gesellschaftliche Stellung. Zwar nur indirekt und im Rahmen der Regeln, jedoch wird sie somit zu einer Frauenfigur, die nicht den üblichen Weg ihrer Zeit geht. Vielleicht bietet sich der Vergleich mit Fontanes Effie Briest an, die auch ihrem Herzen folgt und infolge der gesellschaftlichen Reaktion einen eigenen Weg gehen muss.

Der gesamte Roman bleibt in diesem engen sozialen Rahmen. Der Reiz des Romans besteht ausschließlich in der Art und Weise, wie James die Figuren miteinander umgehen lässt, ganz den Wünschen und Sorgen ihrer Zeit verhaftet. Das Diorama einer Epoche, zu der wir heute keinen Kontakt mehr, deren Regeln uns seltsam und unerklärlich erscheinen. Henry James schafft es jedoch noch heute, den Schleier zu heben und die Menschen von damals zu sehen, zu verstehen. Er entwickelt seine stille Dramatik aus so plastisch charakterisierten Figuren, dass die Faszination des Stoffes nicht wundert. Zwei Verfilmungen, die letzte von 1997 zeugen davon.

 

Fazit:

Die Geschichte einer Frau, deren Glück in den Händen von Menschen liegt, die sich nur um sich selbst kümmern. »Washington Square« von Henry James lässt uns in der Zeit reisen, zu einem fast vergessenen und heute kaum erfassbaren Ort. New York hat eine Geschichte und Henry James zeigt sich hier als ein aufmerksamer Chronist dieser Metropole.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042512171033e3e457
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Buch:

Washington Square

Original: Washington Square, 1881

Autor: Henry James

Übersetzer: Karl Ludwig Nicol

Taschenbuch, 287 Seiten

Deutscher Taschenbuch Verlag, 1. September 2010

 

ISBN-10: 3423191392

ISBN-13: 978-3423191395

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 24.12.2010, zuletzt aktualisiert: 05.01.2024 16:23, 11402