Der weite Raum der Zeit (Autorin: Jeanette Winterson)
 
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Der weite Raum der Zeit von Jeanette Winterson

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Anlässlich des 400. Todestages von William Shakespeare startete der einst von Virginia und Leonard Woolf gegründete Verlag Hogarth Press ein Projekt, in dem international bekannte Autorinnen und Autoren ihre ganz persönlichen Cover-Versionen von Shakespeare-Stoffen veröffentlichen konnten.

 

Jeanette Winterson entschied sich für Das Wintermärchen, einem nicht ganz so bekannten Werk des Dichters, das mit seinem Romanzen- und Märchencharakter von der Kritik als nicht so bedeutsam angesehen wird. Für Jeanette Winterson hatte es aber stets eine besondere Bedeutung, da es darin um ein Findelkind geht, wie sie eines ist.

 

Die Geschichte beginnt mit Shep, der mit seinem Sohn Clo in einer Unwetternacht mit ansieht, wie ein alter Mann umgebracht wird. Sie fliehen, bevor die Polizei von New Bohemia, einer ehemaligen französischen Kolonie in den USA, sie am Tatort antrifft. Dabei bemerkt Shep Licht in der Babyklappe des nahegelegen Krankenhauses. Kurzentschlossen nimmt er das kleine Mädchen mit. Am nächsten Tag in der Kirche und in Erinnerung an seine verstorbene Frau, beschließt er, das Kind zu behalten. Neben dem Kind lag ein Aktenkoffer, als er ihn zusammen mit seinem Sohn öffnet, finden sie darin, Geld, eine Diamanten-Kette und das handgeschriebene Notenblatt eines Liedes mit dem Titel »Perdita«, die Verlorene – und so benennen sie das Mädchen, ziehen fort und kaufen eine Pianobar namens Fleece.

 

Die weiteren Figuren führt die Autorin ebenfalls nicht ganz chronologisch ein. Da sind Leo und sein Sohn Milo auf dem Flughafen. Leo, der seinen Angestellten Cameron beauftragt, im Schlafzimmer seiner Frau MiMi eine Webcamera anzubringen, weil er denkt, dass sie ihn mit seinem besten Freund Xeno betrügt. Xeno und Leon als Knaben, die miteinander ihre Sexualität entdecken. Pauline, die ihrem Chef Leon die Leviten liest. Xeno, der MiMi überzeugt, dass Leon sie liebt und sich dabei selbst dabei ein wenig in die Französin verliebt.

Und dann Leon, der seine hochschwangere Frau schlägt, ihr Gewalt antun will, weil er rasend vor Eifersucht ist und Xeno für den Vater des ungeborenen Kindes hält. Eine Nacht, in der das Leben all dieser Menschen endet und anders neu beginnt.

 

Jeanette Winterson spürt den Konflikten des Stoffes nach und erforscht ihre Verzweigungen über Shakespeares Stück hinaus. So wird aus dem Schäfer, der Perdita aufzieht, ein gebrochener Mann, der durch das Baby Heilung erfährt. Dessen Leben mit der Piano-Bar wieder beginnt und Perdita bringt dieses Glück eigentlich allen Figuren, denen sie begegnet. Das große Drama hinter der zerstörerischen Eifersucht ist dabei stets bedeutsam, denn es definiert die beteiligten Menschen, hat sie verändert. Der friedliche Xeno wird zum bösartigen Trinker, der seinen Sohn vernachlässigt. Leon bereut jeden Tag seine Tat und lässt sich von Pauline immer wieder dazu bringen, mit seinem Reichtum Gutes zu tun, obwohl weiterhin ein durchtriebener Kapitalist in ihm steckt. Und da ist MiMi, das Opfer. Irgendwie zerrieben von den beiden Männern, die ihr wichtig waren, erstarrt, nach dem Tod ihres Sohnes Milo und dem Verlust des Babys. Nur noch eine einsame Spaziergängerin in Paris und ein Licht im Fenster eines Computerspiels von Xeno.

 

Dieses Computerspiel heißt wie das Buch »Der weite Raum der Zeit« und basiert auf einem Traum des französischen Autors Gérard de Nerval. Darin fällt ein riesiger Engel in einen Hinterhof und stirbt dort lieber, als durch das Schlagen seiner Flügel die Umgebung zu zerstören und ihre Bewohner zu vernichten. Die an einigen Stellen des Romans ausgeführten Ideen zum Spiel klingen dabei äußerst interessant, wenn auch stark von Selbstzerstörung und Düsternis bestimmt. Es dient nicht nur zu Illustration der Beziehung zwischen MiMi, Xeno und Leon, es schafft auch einen weiteren Raum in der Geschichte, der über das Theaterstück hinaus in die Medien unserer Zeit reicht.

 

In ihrem Epilog erläutert uns Jeanette Winterson, wie sie das Shakespeare-Stück interpretiert und gibt so einige Hinweise darüber, was sie in den Roman hereinbringen wollte.

 

Das Cover von Sabine Kwauka bezieht sich auf die Engelfedern, die im Spiel »Der weite Raum der Zeit« zum Erschaffen trauriger Geschöpfe verwendet werden können und strahlt eine luftige Eleganz aus, die wunderbar zur lebendigen, alle Emotionen umfassenden Atmosphäre des Romans passt.

 

Fazit:

Jeanette Winterson gelingt mit ihrer Version von Shakespeares »Wintermärchen« eine intensive Geschichte um Vergeben und Liebe. »Der weite Raum der Zeit« ist eine zartere, in ihrer Modernität aber umso kraftvollere Interpretation des 400 Jahre alten Stoffes.

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Buch:

Der weite Raum der Zeit

Original: The Gap of Time, 2015

Autorin: Jeanette Winterson

Übersetzerin: Sabine Schwenk

Gebundene Ausgabe, 285 Seiten

Albrecht Knaus Verlag, 11. April 2016

Cover: Sabine Kwauka

 

ISBN-10: 3813506738

ISBN-13: 978-3813506730

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0196J44TS

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

 


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Erstellt: 06.08.2020, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 18864