Armageddon Rock von George R. R. Martin
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
In jener apokalyptischen Nacht des Jahres 1971 starb eine Band, eine Legende, eine ganze Generation. Sechzigtausend Zuschauer haben es live miterlebt: Der Sänger der Nazgûl bricht, von der Kugel eines Scharfschützen getroffen, auf offener Bühne tot zusammen. Der Sommer der Liebe ist vorbei. Zehn Jahre später geschieht das Unglaubliche: Die Nazgûl sind zurück! Ein neuer Messias hat sie wiederauferstehen lassen – doch ihre Musik hat sich in ein rasendes Requiem verwandelt und kündet von Wahnsinn und Tod …
Rezension:
Der Golkonda Verlag gehört zu den bedeutendsten Phantastik-Verlagen unseres Landes. Immer wieder finden sich in seinem Programm literarische Perlen, einige unentdeckt, andere nur schlummernd. George R. R. Martin ist schon sehr, sehr lange kein Underdog mehr, aber dennoch dürfte ihn der größte Teil seiner Leserschaft für Das Lied von Eis und Feuer bzw. durch die Fernsehserie Games of Thrones kennen.
Dadurch gerät vielleicht in Vergessenheit, dass Martin vorher, nebenbei und hoffentlich auch noch danach jede Menge anderer Werke ins Regal stellen kann.
Armageddon Rag erschien bereits 1983 und gilt einigen von Martins Altfans als bestes seiner Bücher.
Umso größer ist nun der Verdienst, eine überarbeitete Neuausgabe herauszubringen, zudem mit einem grandiosen Cover von der Golkonda-Hausmagierin benSwerk.
Der Roman beginnt zunächst als erinnerungsschwangeres Roadmovie. Sander Blair ist ein etwas heruntergekommener Autor. Einst war er Mitbegründer eines angesagten Szenemagazins, dem Hedgehog, bis er von seinem Kompagnon ausgebootet wurde.
Nach zwei halbwegs erfolgreichen Romanen kommt er mehr schlecht als recht über die Runden. Seine Freundin ist Maklerin, steht mitten im Leben und stellt Vernunft über alles.
Als Sandy sich überreden lässt, noch einmal für den Hog zu arbeiten und dafür die eh schon stockende Arbeit am nächsten Roman zu unterbrechen, reagiert sie mehr als sauer.
Es ist diese typische Situation, wenn der Protagonist in ein Leben hineingerutscht ist, das ihm eigentlich nicht passt.
Sandy nutzt daher die Gelegenheit auszubrechen. Der Musik-Promoter Jared Lynch wurde erschossen. Der Mann hatte einst die Nazgûl groß rausgebracht, bis alles 1971 mit dem Tod des Sängers auf dem West-Mesa-Konzert endete.
Und irgendwie war dies auch das Ende von Sandys altem Leben.
Deshalb verbindet er die Recherchen über Lynch und die ehemaligen Mitglieder der Nazgûl mit der Suche nach seinen alten Studiengefährten.
»Jamie Lynch war tot. Sie hatten ihm tatsächlich das Herz herausgeschnitten.«
So könnte man die Basis dieser Suche zunächst beschreiben, doch ihr Wesen ändert sich.
Der Reihe nach klappert Sandy die alten Freunde und Freundinnen ab. Martin reißt dabei Seite um Seite vom Kalender der amerikanischen Geschichte ab und plaudert im Tone eines Insiders vom Summer of Love und von dem, was aus den Menschen von einst wurde.
Es sind Lektionen in Geschichte, die durch ihre intensive Nähe zu den Figuren eine eindringliche und tiefe Wirkung entfalten.
Sandy wühlt zunehmend in den eigenen Abgründen, muss sich etlichen Wahrheiten über sich selbst stellen. Warum hatte es damals nicht mit der wilden Maggie funktioniert, deren Gier nach Leben ihn auch diesmal sofort wieder einfängt und eine Geborgenheit, ein Heimatgefühl vermittelt, wie es seine Freundin zu Hause nie zu geben vermochte?
Vor allem aber kommt er an seine Grenzen. Kann er lieben? Kann er sich selbst aufgeben, um anderen zu helfen? Kann er hassen oder verzeihen?
Kann er glauben?
Der zynische Lark, die immer noch dem Hippie-Traum lebende Bambi und der von seinem Vater gezüchtigte und gebrochene Slum – sie alle sind auch ein Teil von Sander Blair. Martin baut zum Teil großartige Biographien aus den so unterschiedlichen Figuren.
Ähnlich differenziert breitet er vor uns auch die Mitglieder der Nazgûl aus. Das Wesen und die Veränderungen des Musikbusiness ergeben sich fast von selbst und werden zunehmend dunkler.
Auf den Spuren der Nazgûl treibt der Roman im letzten Drittel in ein Horror-Szenario und wird stark esoterisch. Dämonische Figuren, Albträume, düstere Ahnungen, alles strebt einer ungeheuerlichen Explosion entgegen.
Die Musik und die alten Nazgûl-Texte geraten durch Martin zu Synonymen einer apokalyptischen Erwartung. Man entwickelt den unbedingten Wunsch Gopher John, Maggio, Faxon und vor allem Hobbins in alten Youtube-Clips zu finden; so grandios beschreibt Martin Song für Song, komponiert Konzertbilder mit unglaublicher Tiefenschärfe.
Doch die Nazgûl gab es nicht. Der Tag an dem die Musik starb, fällt für niemandem auf das selbe Datum.
Fazit
Schnall die Gitarre um und zeig der Vergangenheit, dass du es noch drauf hast. Und wenn nicht, geh unter, wie die ganze verdammte Generation.
»Armageddon Rock« von George R. R. Martin ist ein teuflisches Roadmovie voller Rock, Liebe und dem ganzen dreckigen Rest. USA in höchster Dosis, direkt ins Herz.
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