Briefe um Mitternacht (Die Morde des Émile Poiret 2)
 
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Briefe um Mitternacht

Reihe: Die Morde des Émile Poiret 2

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Émile Poiret, einer der begnadetsten Detektive der Welt, ist empört, ja sogar ein wenig angeekelt von dem, was er vor sich sieht – diese Nahrungsmittel kann man wohl kaum als schmackhaftes Frühstück bezeichnen! Zum Glück kann Otis, der gewiefte Butler, ein kleines Ausweichmenü arrangieren. Dazu muss allerdings die neue Privatsekretärin Mrs. Leve'n, eine erzkonservative Puritanerin, für einige Zeit abgelenkt werden, denn sie steht allen Formen der Lust äußerst ablehnend gegenüber. So macht sich der Genießer Poiret daran, seinem Butler den nötigen Handlungsspielraum zu verschaffen. Er erhält neben einigen verwirrenden Informationen zur britischen Zahlungsmoral auch einen parfümierten Brief: Auf exquisitem Briefpapier bittet eine anonyme Schreiberin den Detektiv um ein heimliches Treffen im Empire Kasino, da sie um ihr Leben fürchtet – und der angehende Mörder sie beobachtet.

 

Briefe um Mitternacht ist eine seltsame Geschichte. Zunächst werden ausführlich Émile Poiret und sein Umfeld vorgestellt – der Exil-Belgier ist ein eitler Hedonist, der seinen Unmut mit bissigem Sarkasmus Luft macht. Das Verhältnis von Poiret, Otis und Leve'n erinnert an eine Kernfamilie: Poiret ist das trotzig nach Süßigkeiten verlangende Kind, Leve'n die diese verbietende strenge Mutter und Otis der heimlich Naschwerk zusteckende nachgiebige Vater. Dieser Plotstrang ist am besten als Krimi-Farce zu begreifen.

Dem entgegen steht der Strang um Cassandra Shelby, die Briefeschreiberin. Jemand schickt ihr seit der Pleite des Familienunternehmens wiederum anonym Geldanweisungen. Zunächst einfach so, doch bald werden diese mit Morddrohungen kombiniert: Mit dem nächsten Paket soll Cassandra Shelbys Leben beendet werden. Hier geht es um einen sadistischen Mörder, der sein Opfer noch geraume Zeit quälen will, bevor er es tötet. Geschildert wird dieser Thriller aus der Sicht des Opfers und damit dominiert die Furcht der Mrs. Shelby. Am Ende gibt es noch eine typische Krimi-Aufklärung, in der Ermittler und Täter gemeinsam die restlichen unklar gebliebenen Punkte auflösen.

Die Kombination von Humor der Farce und Furcht des Thrillers ist ein Problem: Wie so häufig misslingt es auch hier, besonders beim antiklimatischen Ende, denn der Einsatz war zu hoch, als dass eine Farce komisch wäre. Es bleibt ein bitterer Thriller, der aufgrund des langsamen Plotflusses zu viel an Spannung verliert, oder eine Farce, die nicht komisch ist. Auch sonst heben sich die beiden zentralen Komponenten eher auf, als dass sie sich verstärken. Die Farce zieht ihren Humor aus den Nichtigkeiten, mit denen der weltbeste Detektiv befasst wird und Poirets Kritik, die eine Mischung aus Overstatement und ironischem Understatement bei überkomplizierter Form ist. Leider wird diese zu häufig variiert, um den ganzen Strang hindurch wirken zu können.

Hinzu kommen einige begriffliche Ungenauigkeiten, die der Stimmung abträglich sein können. So heißt es, Mrs. Leve'n sei eine strenge Protestantin, die eine 'Verkatholisierung' fürchte und äußerst körperfeindlich wäre. Nun wird im deutschen Sprachraum unter "Protestant" im Allgemeinen ein Lutheraner verstanden. Davon gibt es allerdings in England nur sehr wenige und außerdem sind sie nicht besonders körperfeindlich. Viel treffender wäre es gewesen, sie als Presbyterianerin oder Puritanerin zu bezeichnen. Weiterhin gibt es einige unplausible Momente – wäre die Lage nicht so ernst, würden sie zur Farce passen, so aber bleiben sie unverständlich.

 

Das Hörspiel kommt mit relativ wenigen Figuren aus – es sind acht. Die Stammbesatzung – Peter Buchholz verleiht dem Erzähler seine Stimme und Donald Arthur dem Émile Poiret – ist dieselbe wie im ersten Teil, Das Mysterium des Vollmond-Sees. Die beiden Profis machen ihre Sache gewohnt gut. Hinzu kommen zwei weitere Veteranen: Andreas von der Meden, der für den Butler Otis die Paraderolle als Chauffeur Morton (aus Die drei Fragezeichen) gekonnt variiert, und Gisela Fritsch; die Sprecherin der Mrs. Leve'n hat an gefühlten Zillionen von Hörspielen mitgewirkt, sei es als Karla Kolumna in Benjamin Blümchen oder Marie Magdalena Rutherford in Mimi Rutherford ermittelt. Unbekannter sind dagegen die beiden Folgenden. Melanie Fouché, die ihre jung klingende Stimme dem Opfer Cassandra Shelby leiht, ist vielleicht am bekanntesten als Patricia Cameron (aus der Reihe Die Schatzjägerin) – wenn man kein begeisterter Theatergänger ist. Ghadah Al Akel spricht die Botin, die die Drohbriefe und Geldanweisungen überbringt. Al Akel ist vor allem als Synchronsprecherin (z. B. Jennifer Lopez) und Berliner Theaterschauspielerin bekannt, in puncto Hörspiel hat sie weniges gemacht – sie spricht die Nicole Duval in Die Quelle des Lebens. Ob Hörspielveteranen oder Neulinge, alle liefern sie eine anständige bis gute Performanz ab.

 

Die Inszenierung ist gemäßigt altmodisch. So gibt es, wie erwähnt, einen Erzähler und bisweilen kommentieren die Figuren ihre Situation. Doch von Kommentaren zum Kampfverlauf wird glücklicherweise abgesehen – da stehen die Geräusche für sich selbst. Aus diesem Grund und weil das Hörspiel ohnehin weitgehend aus Dialogen besteht, stören die Kommentare kaum. Die Musiken erinnern an melodische Jazz-Stücke, wie man sie aus alten Fernseh-Krimis kennt. Sie passen daher gut zum Thema. Die verschiedenen Aktionen – Schreibmaschinenarbeit, eine Autofahrt – werden zurückhaltend mit passenden Geräuschen unterlegt.

 

Fazit:

Der Genussmensch Émile Poiret muss unter der puritanischen Sekretärin Mrs. Leve'n leiden – wird er unter diesen Bedingungen der in Lebensgefahr schwebenden Mrs. Shelby helfen können? Briefe um Mitternacht kombiniert Farce und Thriller – leider nicht sonderlich gewinnbringend. Für das eine ist es nicht komisch genug, für das andere nicht spannend genug. Schade, dass es nicht aufgeht, denn prinzipiell halte ich solche Experimente für interessant. Dem steht nur die anständige bis gute Performanz der Sprecherriege entgegen.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404192202229be14a03
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Hörspiel:

Briefe um Mitternacht

Reihe: Die Morde des Émile Poiret 2

Produzent: Studio Maritim

Buch: Ascan von Bargen

Label: Maritim-Verlag

Erschienen: Juni 2009

Umfang: 1 CD, ca. 67 min.

Asin: 3867142076

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Sprecher (Auswahl):

Peter Buchholz

Donald Arthur

Michael Tietz

Andreas von der Meden

Gisela Fritsch

Melanie Fouché

Ghadah Al Akel

 


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Erstellt: 14.09.2009, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 19:22, 9192