Der Graf von Sainte-Hermine (Autor: Alexandre Dumas)
 
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Der Graf von Sainte-Hermine von Alexandre Dumas

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Hector de Sainte-Hermine ist hin- und hergerissen: Der letzte Nachfahre einer adeligen Familie, die von der Französischen Revolution ausgelöscht wurde, hat geschworen, Rache zu nehmen und den Royalisten treu zu dienen. Doch Napoleon begeistert ihn. Als er seine große Liebe verliert, sucht er verzweifelt den Tod und schmachtet Jahre im Kerker, bevor er als Korsar und Freibeuter die Meere zwischen Mauritius und Birma besegelt und dabei immer wieder als Held wider Willen aus seinen Abenteuern hervorgeht.

 

Rezension:

Literarische Sensationen sind zumeist reine Erfindungen der Werbung oder der Presse, die Lektüre hat schon viele dieser Aufschneidereien entlarvt.

Wenn man aber einen bisher unbekannten Roman von Alexandre Dumas dem Älteren, also dem Verfasser der Drei Musketiere präsentieren kann, so ist das tatsächlich ganz unabhängig von der Qualität, eine mehr als beachtenswerte Entdeckung.

Der Herausgeber Claude Schopp ist ein nahezu fanatischer Dumas-Experte, mancherorts sogar als der größte Dumas-Kenner bezeichnet. Wie man seinem Nachwort entnehmen kann, spielte ihm der Zufall einen Hinweis auf diesen letzten Roman Dumas’ in die Hände.

Mit großer Akribie forschte er sodann nach dem Werk und fand einen Großteil davon als Fortsetzungsreihe im Moniteur universel, einer französischen Tageszeitung, in dessen Feuilleton die Folgen in der Zeit von Januar bis Oktober 1869 erschienen sind.

Soweit der Stand der Forschung von Claude Schopp aktuell ist, fehlen zwei der insgesamt sechs mit der Zeitung vereinbarten Lieferungen. Ein Bruchstück fand Schopp in einem tschechischen Nachlass, Aufschluss über die Handlung gibt Dumas selbst in einem Brief an den Verleger. Beides, sowie umfangreiche Anmerkungen, Quellenangaben und eine Zeitleiste finden sich im Anhang. Zudem beendete Schopp den letzten Handlungsbogen, um das Buch nicht zu abrupt aufhören zu lassen.

Inzwischen erschien 2008 unter dem Namen Le salut de l'empire eine weitere Nacherzählung Schopps, in der Hector de Sainte-Hermine Napoleon auf dessen Russlandfeldzug bis hin zum endgültigen Scheitern in Waterloo begleitet.

Im Lebenswerk Dumas schließt sich mit dem Roman »Der Graf von Sainte-Hermine« eine Lücke, die allerdings nur von Fans und Kennern wahrgenommen wurde und bildet den Abschluss einer Trilogie, die mit den Bänden Les Compagnons de Jéhu und Les Blancs et Les Bleus begann und inzwischen offiziell den Namen des Grafen trägt.

 

Wer den Roman ohne weitere Kenntnisse liest, wird schnell über einige Besonderheiten stolpern. So verschwindet der Titelheld mehrere Male über weite Strecken aus dem Fokus und Dumas berichtet lang und breit über französische Geschichte, über Napoleon, François-René de Chateaubriand oder über Horatio Nelson. Das ist teilweise so interessant, das man tatsächlich immer wieder vergisst, dass einem eigentlich eine Art Superheldenroman versprochen wurde. Wenn Dumas etwa über den Korsaren Robert Surcouf und die bretonische Hafenstadt Saint-Malo berichtet, wird nicht nur eine ganze Landschaft lebendig, sondern man spürt förmlich die damit verbundene Leidenschaft des Autors für die Unabhängigkeit und Freiheitsliebe ihrer Bewohner.

Diese Kapitel sind jedoch in erster Linie der Veröffentlichungsform geschuldet. Der in seinem letzten Lebensjahrzehnt beständig gegen seine Schulden anschreibende Dumas wurde nicht nur nach Zeilen bezahlt, er musste auch regelmäßig abliefern, sodass er die Folgen mit Selbstzitaten und auch längeren Passagen aus anderen Werken auffüllte. Besonders deutlich wird es bei den Geschichten, die unser Titelheld auf der Reise die Via Appia entlang erzählt. Liest man die Anmerkungen zu diesen Kapiteln wird schnell klar, welche Masse an Stoff Dumas hier in den Text hineinpumpte, der eigentlich überhaupt nichts mit der Handlung zu tun hat.

Aber auch hier macht das Lesen auf seine eigene Art Spaß, hat man doch das Gefühl, selbst Zeuge der unendlich alten Geschichte dieser Straße zu sein und es zieht ein Hauch von Romantik durch die Lektüre. Gern würde man selbst über diese Straße gewandelt sein, vor der Industrialisierung und den Zerstörungen durch Weltkrieg und Moderne.

 

Die eigentliche Abenteuergeschichte ist nicht ganz rund und man spürt immer wieder, dass Dumas keine Gelegenheit mehr hatte, den Stoff für eine Veröffentlichung als Roman zu straffen und zu glätten.

 

Hector de Sainte-Hermine ist aus familiären Gründen ein Royalist und gerät daher durch sein Pflichtgefühl in die Gegnerschaft Napoleons. Das entreißt ihn nicht nur den Armen seiner Verlobten, ähnlich wie Edmond Dantes, er landet ebenso im Gefängnis und wartet auf seine Hinrichtung. Doch er hat im Geheimdienstchef Fouché einen mächtigen Gönner und wird nicht füsiliert. Vielmehr erhält er nach drei Jahren eine Art Begnadigung: Er darf im Kampf für Frankreich den Tod suchen. Fortan zieht der lautere, junge Adelige unter dem Pseudonym René durch die Weltmeere und Europa.

Zunächst als Korsar unter Surcouf, wo er auf einem erbeuteten Schiff zwei Schwestern vor der Schändung rettet. Es stellt sich zudem heraus dass die jungen Frauen seine Cousinen und auf der Reise zu ihrem Besitz in Birma sind. Zwar gibt er sich nicht zu erkennen, bringt die beiden aber sicher dorthin. Unterwegs gibt es natürlich jede Menge Möglichkeiten, seinen Heldenmut und seinen melancholischen Charme zu beweisen - wen wundert es, dass sich Jane, die Jüngere, unsterblich in ihn verliebt?

Doch wir wissen ja, dass der ehrenhafte Wundermann eine andere liebt und so heißt es bald Abschied nehmen, aber, ach, wer will schon weiterleben, wenn der beste Jüngling der Welt unerreichbar fort entschwindet?

 

Nun, es geschehen auch nach dieser hochdramatischen Liebesgeschichte sensationelle Abenteuer. Was kann René wohl alles mit seiner Teilnahme an der Schlacht von Trafalgar bewirken? Den Sieg natürlich nicht, aber nah dran ist es schon.

Von Irland weiter nach Italien und auch da werden Heldentaten vollbracht, vor allem als Räuberjäger.

 

Alles in allem ein bunter Strauß an Abenteuergeschichten zur See und zu Lande, stets spannend und amüsant berichtet, nur, wie bereits erwähnt, regelmäßig unterbrochen von den Füll-Kapiteln. Damit ist der Roman nicht unbedingt ein potentieller Klassiker der sich auf eine Stufe mit den Musketieren oder dem »Grafen von Monte Christo« stellen wird. Dazu ist der Stoff einfach nicht gebündelt genug.

Wer literarische Archäologie jedoch mag, wird neben dem Aspekt des Abenteuerromans, eine weitere liebenswerte Facette entdecken können. Denn der Roman erzählt auch eine Menge über Dumas, über seine Weltanschauung, über seine Vorlieben, seine Familie.

So wird nicht nur sein Vater, ein später in Ungnade gefallener republikanischer General, gewürdigt, sondern auch verehrte Kollegen, wie der bereits erwähnte Chateaubriand, Charles Nodier sowie Victor Hugo und dessen Vater. Man erfährt sehr viel darüber, wie Dumas zu Napoleon stand, in diesem Zusammenhang sei auch auf seinen Bericht im Anhang verwiesen, in dem er davon berichtet, wie er den Kaiser selbst durch sein Örtchen reisen sah. Amüsant ist auch der versteckte französische Zorn über Trafalgar und der Versuch, die Niederlage in einem patriotisch hellen Schein klein zu reden.

Es ist für den Interessierten ungemein faszinierend hier einen Autor über eine Zeit schreiben zu sehen, von der ihn nur 50 Jahre trennten. Immerhin bahnt sich bereits 1869 durch den Streit um die spanische Thronfolge der Deutsch-Französische Krieg an.

 

Der mehr als hilfreiche Anhang bietet dem Leser ein ausreichendes Instrumentarium um das Werk zu entdecken und in all seiner Unvollkommenheit zu würdigen.

 

Fazit:

Die letzte Arbeit des großen Alexandre Dumas ist leider unvollendet, aber sie bietet dem Leser einen wunderbaren Einblick in die französische Geschichte zwischen Direktorat und Kaiserreich, garniert mit tolldreisten Abenteuern und herzzerreißenden Liebesgeschichten. Ausführlich kommentiert und mit zusätzlichen Quellen versehen, bietet sich zudem ein erkenntnisreiche Einsicht in das Denken des französischen Literaten.

Und falls jemand die fehlenden Kapitel besitzt oder findet, soll er sich schleunigst bei Herrn Schopp melden!

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Buch:

Der Graf von Sainte-Hermine

Autor: Alexandre Dumas

Original: Le Chevalier de Sainte-Hermine, 2005

Übersetzerin: Melanie Walz

Herausgeber und Nachwort: Claude Schopp

Blanvalet, Dezember 2011

Taschenbuch, 1039 Seiten

 

ISBN-10: 3442378303

ISBN-13: 978-3442378302

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B004OL2WPM

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 02.06.2012, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 12559