Die Freunde der Freunde (Autor: Henry James; Die Bibliothek von Babel Bd. 11)
 
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Die Freunde der Freunde von Henry James

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 11

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

J. L. Borges, wählte die Geschichten des elften Bandes der Bibliothek von Babel aufgrund ihrer Unschlüssigkeit aus. Henry James gelingt es wie keinem Zweiten den Leser im Unklaren darüber zu lassen ob er Zeuge von übernatürlichen Geschehnissen oder zwar ungewöhnlichen, doch rational erklärbaren Ereignissen wird. Zum Teil geht er so geschickt dabei vor, dass der Leser eine Interpretation für eindeutig hält – und erst wenn er darüber nachdenkt, eine andere mögliche Deutung eingestehen muss. Der Band Die Freunde der Freunde enthält hier einige hervorragende Beispiele: Das Privatleben, Owen Wingrave sowie die bekannteste und titelgebende Geschichte Die Freunde der Freunde gehören in daher im Sinne T. Todorovs zur Phantastik. Einzig die letzte Geschichte, Die Blamage der Northmores, weicht davon ab, auch wenn sie ebenfalls mit der Unschlüssigkeit des Lesers spielt.

 

Die Geschichten im Einzelnen sind:

Das Privatleben (68 S.): Der Ich-Erzähler, ein Londoner Dramenautor, macht mit einer illustren Runde Urlaub in einem Hochtal der Alpen. Lord Mellifont, ein Staatsmann ersten Rangs, der stets das richtige Wort parat hat, und seine Frau Lady Mellifont, eine düstere und zurückhaltende Person, stehen zumeist im Zentrum der Partie, doch der geistreiche Schriftsteller Clare Vawdrey und die beliebte Schauspielerin Blanche Adney, die mit ihrem Gatten da ist, gehören ebenfalls zur gesellschaftlichen crème de la crème. Als Mrs. Adney und Lord Mellifont von einem gemeinsamen Spaziergang zurückkommen, fällt dem Erzähler auf, dass etwas vorgefallen ist. Er drängt die Schauspielerin ihm davon zu berichten – und kommt einem höchst sonderbaren Geheimnis auf die Spur: Es scheint, als habe der Staatsmann kein Privatleben.

Anfangs entwickelt sich die Geschichte als Sittengemälde, doch sobald der Erzähler den Vorfall bemerkt, wandelt sie sich in eine Rätselgeschichte.

Owen Wingrave (67 S.): Der junge Mann Owen Wingrave stammt aus einer Familie, in der traditionell alle Männer Offiziere der Streitkräfte werden. Entsprechend besucht Owen die Vorbereitungsseminare von Spencer Coyle, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Owen macht sich sehr gut: Er ist in allen Dingen seinen Kameraden weit voraus. Dann entscheidet Owen, dass er keine Karriere als Offizier machen will – dass Kriege abscheulich und unmoralisch sind. Mr. Coyle, Owens Kamerad Lechmere und Owens Tante Jane Wingrave können Owen nicht davon überzeugen seinen Entschluss zu revidieren. Sir Philip und seine Tochter beschließen Enkel Owen ins finstere Paramore zu holen, seinen Lehrer Coyle, Kamerad Lechmere und Owens Braut Kate Julian einzuladen und den Drückeberger richtig unter Druck zu setzen.

Lange Zeit ist es eine Mischung aus Sittengemälde und Familiendrama; erst sehr spät tritt das mysteriöse Ereignis ein: Spukt es im düsteren Anwesen oder sind es nur die überreizten Nerven?

Die Freunde der Freunde (51 S.): Ein Nachlass wird von einem Herausgeber gesichtet; etwas unschlüssig bittet er den Leser um Rat wie er mit einer Erzählung der verstorbenen Tagebuchschreiberin verfahren solle. Darin wird von einer seltsamen Geschichte berichtet. Zwei alleinstehende Freunde der Toten hatten überraschend vieles gemeinsam. Zentral für den Ruf der beiden war eine Begegnung mit einem Geist: Der Freundin war als junger Frau der Vater erschienen, als er verstarb, und dem Freund unter ähnlichen Umständen die Mutter. Die Erzählerin, wie auch andere gemeinsame Freunde, die einander allerdings nicht bekannt waren, waren bestrebt, die beiden miteinander bekannt zu machen. Sie alle scheiterten. Schließlich wollten die Erzählerin und der Freund heirateten und sie war – zunächst – guten Mutes nun ein Treffen einrichten zu können.

Die Thematik dieser Geschichte ähnelt James' bekanntester Geschichte: Das Durchdrehen der Schraube. Es werden zunächst gesellschaftliche Normen und psychologische Befindlichkeiten geschildert und dann kommt es zum mysteriösen Ereignis. Die Unschlüssigkeit wird hier sogar explizit angegangen; damit wirkt die Geschichte reflektierter. Während Die Freunde sehr viel schneller und runder als Das Durchdrehen ist, ist Letztere komplexer und tiefer.

Die Blamage der Northmores (35 S.): Der berühmte und beliebte Lord Northmore und sein langjähriger Weggefährte Warren Hope sind gestorben. Die Witwe Mrs. Hope ist zu tiefst verärgert: Lord Northmore war ein eitler Schwätzer, der seinen Erfolg ausschließlich ihrem Mann verdankte. Und während jedes mittelmäßige Werk des Blenders als großer Erfolg gefeiert wird, weigert man sich die Größe ihres Mannes anzuerkennen. Er gilt als Persönlichkeit – als wenn es nicht mehr als seinen gesellschaftlichen Rang anzuerkennen gäbe! Als Lady Northmore die Briefe ihres Mannes herausgeben will, überlegt Mrs. Hope zunächst anzugeben, sie habe sie verloren, überlässt sie dann aber doch der adligen Witwe. Außerdem meint sie so den Ruf ihres Mannes zurecht rücken zu können: Sie beschließt ebenfalls seine Briefe herauszugeben.

Dieses Geschichte nutzt zwar wieder das Moment der Unschlüssigkeit – ist Mr. Hope ein verkanntes Genie oder ist Mrs. Hope nur verärgert über den verstorbenen Lord Northmore – phantastisch ist sie jedoch nicht. Nichtsdestoweniger ist die Geschichte sehr spannend, selbst wenn es nur um dem Ruf zweier verstorbener Männer geht. Diese kleine psychologische Geschichte greift einen Archetyp auf, der in der phantastischen Literatur selten vorkommt: Ausbeutung durch einen Freund.

 

Die Schauplätze liegen in Südengland, sieht man von Das Privatleben ab, und oft genug wohl in London selbst – zumindest aber einer englischen Stadt. Die Geschehnisse scheinen sich im ausgehenden 19. Jh. zuzutragen, es wird aber nie explizit erwähnt. Sie werden nie detailliert beschrieben, doch der Charakter der Figuren lässt sie fest in Raum und Zeit verwurzelt erscheinen – die Settings sind damit Milieus.

Die Figuren sind nun bei aller gebotener Kürze wunderbar rund und psychologisch durchgeformt. Auch wenn die Figuren zur Exzentrik neigen, ist diese nie so ausgeprägt, dass ihre Plausibilität angegriffen würde. Die Darstellung der Figuren ist für Autoren der Gegenwart immer noch vorbildhaft.

Die Plots kreuzen für gewöhnlich ein fein beobachtetes Sittengemälde mit einer Andeutung von Wundergeschichte. Zwar sind die Beobachtungen zu den Normen ebenfalls interessant – der geneigte Leser möge einmal auf den Umgang mit dem Geschlechterverhältnis achten – doch wesentlich schwerer wiegt die schon erwähnte Unschlüssigkeit. Negativ könnte der klassische Plotfluss wirken: Die beiden längeren Geschichten beginnen sehr betulich und umständlich; erst nach einer Weile kommen die Geschichten in Fahrt.

Die Erzähltechnik mutet modern an: Die Perspektive ist entweder auktorial oder eine Ich-Erzählung. Bei auktorialer Perspektive ist der Erzähler außerordentlich zurückhaltend, so dass es beinahe objektiv oder personal wirkt. Interessant werden die Geschichten gelöst: Mal sind es Entwicklungen, mal desillusionieren sie, doch nie verkommen die Auflösungen zum Hollywood-Happy-End oder zur Melodramatik. James' Sätze sind in diesen Geschichten sehr klar, wenn auch nicht immer gradlinig; er verzichtet weitgehend auf Adjektive/Adverbien.

 

Fazit:

Henry James' Geschichten in Die Freunde der Freunde spielen immer mit der Unschlüssigkeit; zumeist stellt sich dem Leser die Frage, ob es um übernatürliche oder bloß ungewöhnliche Ereignisse geht. Hierzu tragen die akkurate Beobachtung vom Umgang mit gesellschaftlichen Normen und wunderbar runde Figuren erheblich bei. James ist zu unrecht im deutschsprachigen Raum in Vergessenheit geraten; nicht allein für an Phantastik Interessierte, generell für an Literatur Interessierte sind diese Geschichten ein Gewinn. Schön, dass Die Bibliothek von Babel sie zugänglich macht.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042601291885771838
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Titel: Die Freunde der Freunde

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 11

Autor: Henry James

Übersetzerin: Margarete Längsfeld

Verlag: Edition Büchergilde, 2007

Seiten: 234-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3940111111

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 16.07.2007, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 4475