Emotio hrsg. von Heidrun Jänchen und Armin Rößler
Anthologie
Rezension von Torsten Scheib
Rezension:
Kinners, wie die Zeit vergeht – oder anders gefragt: Kann es wirklich sein? Sind inzwischen tatsächlich bereits acht Jahre ins Land gezogen, seitdem der aus Heilbronn stammende SF-Autor und –Herausgeber Armin Rößler seine erste Science Fiction-Anthologie (gemeinsam mit Dieter Schmitt) bei Wurdack veröffentlichte?
Ja, sind sie.
Und mit Emotio liegt der auch schon zehnte Band der Reihe vor, die Armin Rößler seit 2006 zusammen mit der preisgekrönten Autorin Heidrun Jänchen herausgibt. Ein kleines Jubiläum – und hoffentlich nicht das letzte. Denn die, im Grunde letzte verbliebene rein deutschsprachige SciFi-Anthologie hat neben dem vorbildlichen Status der Talentförderung auch stets hochklassige und zudem äußerst unterhaltsame Geschichten zu bieten, die mitunter auch durchaus gegenwärtige Zustände reflektieren. Längst gehören die Geschichtensammlungen zu den Pflichtbüchern innerhalb der Gattung; ähnlich wie etwa die Year’s Best SF-Reihe aus Übersee.
Mit dem Jubiläum erfolgt aber dennoch eine kleine, wenngleich erfreuliche Änderung – der Look des Einbandes. Denn neben dem wie immer grandiosen Cover (es stammt von Alexander Preuss) gibt es diesmal ein edles Softcover samt Klappbroschur. Sehr schön. Doch wie ist es um den Inhalt bestimmt?
Los geht’s mit der Titelstory von Nadine Boos, deren dystopisch angehauchte Erzählung einen unschönen Geschmack nach Beendigung hinterlässt. Allerdings weniger ob der fehlenden Klasse - das Gegenteil ist hier der Fall – sondern vielmehr wegen der Konsequenz ihres Beitrags, der vor Augen führt, was eines Tages passieren kann, wenn der menschliche Verstand zu einem frei zugänglichen Teil des Informationsnetzwerkes wird; zu einem YouTube der eigenen Gedanken und Erinnerungen. Ein prächtiger Einstieg!
Danach vermischt Bernhard Schneider in seiner Story Routine Topoi wie Parallelwelten und Theorien aus der Quantenphysik mit einer Krimivariante. Der Titel ist jedenfalls Programm: „Routine“ ist ebenso fachmännisch verfasst worden, ließt sich flüssig, macht Spaß. Dennoch fehlt einfach der finale Kick oder zumindest eine ähnliche Kaltschnäuzigkeit wie bei der Eröffnungsstory.
Christian Günther spielt in Einhundert Worte für Tod geschickt mit der weiterhin grassierenden Terrorgefahr, welche durch den Einsatz von Nano-Viren den entsprechenden SF-Überzug erhält. Gekonnt spinnt Günther sein narratives Garn, baut er Spannung auf, dem letztlich auch ein überzeugend-konsequenter Abschluss folgt.
Zeitlupenwiederholung von Ernst-Eberhard Manski bewegt sich thematisch auf dem ähnlichen Gebiet wie Nadine Boos’ Geschichte. Mit einem kleinen Unterschied – der humoristischen Note. Jedoch sorgt sie weniger für Erheiterung. Vielmehr bündelt sie das sich langsam ausbreitende Grauen, welches der Protagonist durchlebt, nachdem er die titelgebenden Zeilupenwiederholungen bei Fußballspielen hinterfragt und nach und nach einer verstörenden Wahrheit auf die Schliche kommt. Kein Wunder also, dass einem mitunter das Lachen im Halse stecken bleibt.
Etwas entspannter geht daraufhin Frank W. Haubold zu Werke. Der Titel – Gute Hoffnung – mag optimistisch klingen; womöglich auch ein wenig verträumt. Im Kern befindet sich allerdings das absolute Gegenteil. Sechshundert Jahre in der Zukunft sind Sonne und Erde dank einer Singularität nur noch Relikte der Vergangenheit; vage Erinnerungen. Davon wissen die naiv-gutgläubigen Bewohner eines Bioreservats nichts – oder dass die eintreffende Arche im Besitz des Vatikans ist, der über das Schicksal der Reservat-Bewohner entscheidet …
Der Glauben und die Religion haben in »Gute Hoffnung« durchaus tragende Parts eingenommen. Leider verpufft viel Potenzial aufgrund der ein wenig zu blumigen Schreibweise; fehlen hie und da einfach die Ecken und Kanten.
Ein wenig garstiger ist Niklas Peineckes Beitrag Nanne kommt auf den Hund. Wenngleich Art und Vorgehensweise – gehörnte und frustrierte Ehefrau rächt sich an ihrem faulen, gleichgültigen Ehemann – ein alter Schuh sind, benutzt Peinecke ein hervorragendes prosaisches Poliermittel mit SF-Note.
Erwartungsgemäß exotischer geht Karsten Kruschel zu Werke. Wer seinen Vilm- und Galdäa-Zyklus kennt, der weiß, was damit gemeint ist. Ein Meeresplanet, Biomechanik, terranische Wissenschaftler, Evolution – man muss nicht zwangsläufig mit Kruschels vorangegangenen Veröffentlichungen vertraut sein, um von dieser schlichtweg grandiosen Geschichte in den Bann gezogen zu werden. Kruschel erschafft mit wenigen Worten und einem einmaligen Stil eine bizarre, exotische, faszinierende, traumhafte Welt, in der man sich verlieren möchte. Ganz großes Kino!
Wie Peinecke zuvor ist das Fundament von Arno Endlers Fremde Augen eigentlich ein alter Hut, den nicht nur die SF schon oftmals zuvor ausgegraben hat: der Blinde, dem das Versprechen des Sehens gegeben wird. Doch auch diese beliebte Ausgangsvariante wird geschickt und mit handwerklichem Können meisterhaft aufgewertet und besitzt dank ein paar Spritzern Verschwörungsvariante das gewisse Etwas.
Der vorletzte Mensch von Jasper Nicolaisen ist dagegen ein ganz anderer Fall. Zwar kommt in diesem Beitrag erneut das Exotische nicht zu kurz, allerdings fehlt einfach ein wenig das schlüssige, logische Element. Mitunter hat man das Gefühl, als habe sich der Autor ein wenig zu sehr in seine eigene Welt verguckt und in Folge dessen der Handlung eine leicht stiefmütterliche Behandlung zuteil werden lassen. Freunde des (ziemlich) Bizarren könnten aber ihren Gefallen finden.
Uwe Post und Uwe Hermann sorgen mit dem rasanten Der Valentino-Exploit für die gewisse Prise Humor, welche der Anthologie über weite Strecken gefehlt hat. Ein gleichermaßen gefrusteter wie verzweifelter Kammerjäger muss sich neben außer Kontrolle geratenen Roboterhaustieren auch noch mit einer Diebin rumschlagen. Ein amüsanter Pageturner, der dank der gelungenen Schlusspointe auch noch ein besonders hübsches Krönlein aufgesetzt wird.
Karina Cajo schlägt mit Tagebuch einer Göttin wieder ernstere Töne an. Ihre gelungene Geschichte verlagert die gegenwärtige Ausbeutung und Plünderung der Dritte Welt-Länder in die Zukunft. Hier sind die Arbeiter der weit entfernten Planeten dumm gehaltene Sklaven und die Menschen der Erde nichts anderes als Götter, denen man Folge zu leisten hat.
Kai Riedemanns Gib dem Affen Zucker ähnelt nur ob des Titels an eine alte Celentano-Klamotte. Vielmehr setzt der Autor zum satirischen Angriff auf die Lebensmittelindustrie an – und überzeugt. Wenngleich dem Leser auch hier unter Umständen das Lachen im Hals stecken bleiben kann.
Thomas Templ liebäugelt mit Die Farbe der Naniten ein wenig mit der Fantasy. Zivilisation begegnet hier der Wildnis, welche aber von den Bewohnern aus freien Stücken gewählt wurde. Interessant, wenn auch mitunter ein bisschen blass.
Ganz anders dagegen Heidrun Jänchen. In der Freihandelszone hat sich den Sextourismus der Zukunft auserkoren. Freilich beschränkt sich dieser nun nicht mehr auf Thailand und Co. sondern wird auf fernen, fremden Welten praktiziert. Eine bitterböse Erzählung samt kongenialem Knalleffekt.
Zum Schluss meldet sich schließlich – nach dem Vorwort – nochmals der Herausgeber zu Wort. Armin Rößlers Das Versprechen ist nicht nur eine der längsten Erzählungen, sondern unterstreicht seinen Status als eine der herausragendsten Persönlichkeiten der gegenwärtigen SF-Szene. Erneut kehrt Rößler in seinen Argona-Kosmos zurück. Es herrscht Krieg – zwischen der Menschheit und einer primitiven Rasse. Einer der menschlichen Soldaten ist Smenan. Acht Jahre nach seinem Einsatz auf dem Planeten Matheen wird er an Bord einer Raumstation von seiner Vergangenheit eingeholt – mit möglicherweise fatalen Konsequenzen …
Eine hoch interesannte Erzählung und damit ein mehr als krönender Abschluss.
Auch der zehnte Geschichtenband des Wurdack-Verlags kann praktisch auf ganzer Linie überzeugen. Das Niveau der hier versammelten Werke ist auf einem eindrucksvoll hohen und sehr vielfältigen Niveau. Ausreißer findet man praktisch nicht; selbst die vermeintlich schwachen Beiträge sind noch um einiges Besser als viele der so hochgelobten Konkurrenz aus dem Profi- beziehungsweise Überseelager. Wer wissen möchte, welche Kurzgeschichten von heute sich in den diversen SF- und Phantastikpreisen von morgen wieder finden werden, der hat hier ebenso bedenkenlos zuschlagen wie all jene, die Lust auf eine fast perfekte Science Fiction-Anthologie haben.
Fazit:
»Emotio« ist die vielleicht herausragendste Science Fiction-Anthologie der Saison – nicht nur für SF-Fans. Das hohe Niveau, die Vielfalt und die literarische Klasse beweisen beeindruckend wozu die (deutsche) Szene imstande ist. Auf das nächste Jubiläum – und dass uns der Wurdack-Verlag noch lange mit solch hochkarätigen Werken beglücken mag!
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