ENIWETOK. Die Flucht (Autor: Tom Turtschi)
 
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ENIWETOK. Die Flucht von Tom Turtschi

Scifi Erzählungen

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Eine Sammlung von Kurzgeschichten, die sich vom gewöhnlichen Allerlei absetzt. Die dreizehn Scifi-Storys stellen der oft gelesenen Oberflächlichkeit und Stereotypie des Genres verspielte Phantastik, Schalk und Tiefsinn entgegen:

Ein Spießer-Ehepaar wird von einem Alien besucht; ein Raumfahrer findet in der weiten Leere des Alls nur sich selber. Ein Sterbender muss sich zwischen Tod und ewigem Leben entscheiden. Ein Arzt wird vor die Frage gestellt, ob es legitim sei, für die Rettung der Kolonie ein Dutzend Kinder zu opfern. Ein entflohener Sträfling aus den Minen Titans landet bei seiner Flucht auf einem entstellten Stück Erde und begegnet dem Geist des Ortes.

Teils humorvoll, teils philosophisch und immer unterhaltend auf hohem Niveau erzählt, verführt der Autor den Leser, gewisse Dinge unter ganz neuen Aspekten zu betrachten.

 

Rezension:

Die Science-Fiction fasziniert seit Jahrhunderten, noch nicht ganz so lange unter diesem Namen, aber stets trafen sich die Begeisterung für fremde Welten und seltsame Ereignisse mit den Fährnissen der Zukunft und den Tücken des Lebens. Tom Turtschi begann 2012 mit dem Verfassen von SF-Kurzgeschichten und nach Veröffentlichungen im exodus und der ct’ brachte er nun in seinen Verlag Seins-Fiction eine Auswahl seiner Geschichten heraus. Das aufwändig layoutete Buch zeugt von Turtschis langjähriger Tätigkeit als Gestalter.

 

Marianne Labisch verspricht in ihrem Klappentext eine Absetzung vom »gewöhnlichen Allerlei« – keine geringe Höhe, für den Sprung in phantastische Welten.

 

Eine Besonderheit der Sammlung fällt bereits mit der ersten Geschichte Plug and Play auf. Jede Story wird von einem Teaser-Text eingeleitet, der leider nicht nur spoilert, sondern auch eine Lesart vorgibt. Für eine ungefilterte Lektüre sollte man diese Texte unbeachtet lassen.

 

»Plug and Play« wirft uns in eine atemlose Fluchtstory. Der Protagonist verlässt panisch eine Wohnung. Etwas beängstigendes ist geschehen. Nur langsam ordnen sich die Gedanken und immer mehr Bruchstücke der Ereignisse um eine von einer Seuche geplagten Gesellschaft enthüllen sich. Dabei ist der Hintergrund weitaus weniger spektakulär als die packend inszenierte panische Angst der Hauptfigur. Ein vielversprechender Einstieg in die Sammlung.

 

 

Mit einem dramatischen ethischen Konflikt muss sich ein Arzt in Nur das Beste auseinandersetzen. In einer postapokalyptischen Welt hängt das Überleben einer Bunkergesellschaft davon ab, Kontakt mit einer anderen Gruppe aufzunehmen. Doch die Risikoanalyse wirft eine radikale Lösung aus: Man muss Kinder in die lebensfeindliche Umwelt der Oberfläche senden …

Die Geschichte konzentriert sich auf die Befindlichkeiten des Arztes und seinen Konflikt mit der notwendig erscheinenden Entscheidung. Dabei wird jedoch deutlich, dass der Rahmen einer Kurzgeschichte für das Thema zu eng ist. Weder wird der Hintergrund ausreichend lebendig noch genügend Empathie für die Gesellschaft entwickelt, um dem Konflikt Spannung zu verleihen.

 

Das Paket Eternity verspricht einem lebensmüden Rentner einen sorgenfreien, digitalen Ruhestand. Getrieben von Werbeversprechen und familiärem Druck steht der Witwer vor seiner letzten Entscheidung.

Tom Turtschi versetzt sich tief in die Gefühlswelt des alten Mannes und erforscht die Schrecken des Alleinseins mit sanftem Mitgefühl. Allerdings gelingt ihm dabei keine wirkliche Neuinterpretation des Stoffes, der zu einem der gängigsten Thema der aktuellen SF zählt.

 

Ganz anders in Das Schicksal der Fliege. Sie ist die erste einer Reihe von Storys, in denen sich Tom Turtschi in die Abgründe des menschlichen Wesens wagt und dabei Horror-Elemente in seine Science-Fiction mischt.

Was soll man machen, wenn man jede Nacht einen fürchterlich Traum erlebt, in dem man einen jede Nacht brutaleren Mord begeht?

Spannend erzählt, auf den Punkt beendet und mit feinem Gespür für den Horror hinter dem Geschehen.

 

Huhn oder Ei ist ein eher durchschnittlicher Klon der Siebten Reise Ijon Tichys aus Lems Sterntagebüchern.

 

Mit Goodbye Karasov folgt dann zum Glück wieder eine interessantere Geschichte. Tom Turtschi lässt in ihr seinen Protagonisten in die Gefühlswelt eines digitalen Sexsklaven blicken.

Eine bitterböse Weiterentwicklung ähnlicher Storys um die virtuellen Freuden der Zukunft.

 

Auch Unerwarteter Besuch spielt mit einer bekannten Prämisse. Ein sich menschlich benehmendes Alien trifft auf mit der Situation völlig überforderte Normalbürger. Eine kurze Übung in der Inszenierung absurder Situationen.

 

Nach dem Vorglühen der Hauptgang. Zipper stößt einen durchschnittlichen Familienvater in kompromittierende Situationen, die nicht nur seine Ehe, sondern auch sein Leben bedrohen.

Eine kleine Zeitreisekomödie mir frei wählbarem Ende. Amüsant und locker leicht serviert.

 

Die Titelgeschichte ENIWETOK. Die Flucht knallt danach mit einer vollen Breitseite Ernst in das Geschehen. Ein aus einer unmenschlichen Strafkolonie geflüchteter Häftling strandet auf einer Insel. Der Überlebenskampf mischt sich mit Erinnerungen zu einem zähen Strom …

Lange Zeit bleibt unklar, wohin sich die Geschichte entwickelt bis man erkennt, dass nicht Entwicklung das Thema ist. Die ganze Wucht der intensiven Geschichte entfaltet sich durch die quälende Abgeschiedenheit dieser Flucht.

 

Eine Abgeschlossene Handlung illustriert die Frage nach der Vorherbestimmtheit des Lebens. Können wir die Zukunft ändern, wenn wir von ihr wissen?

Wie schon »Paket Eternity« ist auch »Abgeschlossene Handlung« keine sonderlich innovative Behandlung der Thematik.

 

Return wagt sich an ein hochbrisantes Thema. Der Twist am Ende der Story ist leider etwas bemüht. Mehr als ein politisches Statement liefert die Geschichte nicht.

 

Urlaub von der Zukunft bringt uns dann jedoch zurück in die hohe Kunst des Erzählens. Ein kleiner Urlaub in Griechenland hat durchaus das Potential, ein Ehepaar in Schwierigkeiten zu bringen.

Immer dann, wenn Tom Turtschi sich dem Grauen in gewöhnlichen Situationen widmet, blühen seine Geschichten auf. » Urlaub von der Zukunft« ist dabei komplett frei von SF-Elementen und zieht seine Spannung allein aus alltäglichen Ängsten.

 

Mit dem metaphorischen Kurztext Tomb Raider verabschiedet sich der Autor mit einem morbiden Winken von seinen Leserinnen und Lesern.

 

Fazit:

»ENIWETOK. Die Flucht« von Tom Turtschi bündelt nicht nur Science-Fiction-Topoi sondern auch klassische Horror-Elemente zu einem bunten Strauß von größtenteils bekannten Ideen. Turtschis Stärke liegt in der Inszenierung bedrohlicher Situationen im Alltäglichen. Immer dort, wo er das Grauen beim Schlafittchen packt, gelingen ihm die besten Geschichten.

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Buch:

ENIWETOK. Die Flucht

Scifi Erzählungen

Autor: Tom Turtschi

gebundene Ausgabe, 343 Seiten

Seins-Fiction Verlag, 2017

Illustrationen: Tom Turtschi

 

ISBN-10: 3952482609

ISBN-13: 978-3952482605

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B0748H5NJW

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Plug and Play

  • Nur das Beste

  • Paket Eternity

  • Das Schicksal der Fliege

  • Huhn oder Ei

  • Goodbye Karasov

  • Unerwarteter Besuch

  • Zipper

  • ENIWETOK. Die Flucht

  • Abgeschlossene Handlung

  • Return

  • Urlaub von der Zukunft

  • Tomb Raider


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Erstellt: 27.02.2018, zuletzt aktualisiert: 17.08.2023 13:46, 16527