Frankissstein (Autorin: Jeanette Winterson)
 
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Frankissstein von Jeanette Winterson

Eine Liebesgeschichte

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Das Jubiläum zum 200. Geburtstag von Mary Shelleys weltberühmtem Klassiker der fantastischen Literatur ist auch schon wieder zwei Jahre her: 1818 erschien der Roman Frankenstein oder Der moderne Prometheus, dessen Bekanntheit, Popularität und vor allem Einfluss bis heute ungebrochen scheinen. Er gilt nicht nur als einer der einflussreichsten Vertreter des Genres Horror, sondern auch als einer der bedeutendsten britischen Romane aller Zeiten.

 

Der renommierte britische SF-Autor Brian W. Aldiss hat »Frankenstein« sogar als allerersten richtigen Science-Fiction-Roman klassifiziert. Schließlich geht es um eine Art »Mad Scientist« und dieser Wissenschaftler hatte die verrückte Idee, einen aus Leichtenteilen zusammengeflickten Körper mit Hilfe von Elektrizität zum Leben zu erwecken.

 

Frankensteins Monster war nicht nur gruselig, sondern es war Thema in zahlreichen Adaptionen der Popkultur, von Filmen über Theaterstücke bis hin zu Fortschreibungen und Neuinterpretationen in belletristischer Form. Auch Aldiss selbst hatte sich 1973 mit Frankenstein Unbound (dt. als Der entfesselte Frankenstein) mehr schlecht als recht an dem Stoff versucht.

201 Jahre später ist nun Frankissstein von Jeanette Winterson erschienen und straft alle Lügen, die dachten, das Thema wäre inzwischen völlig ausgelutscht. Nach der Lektüre des Buchs kann man sagen: Im Gegenteil, die Thematik ist so aktuell wie nie.

 

In Wintersons Roman geht es um den Transgender-Arzt Ry Shelley (wobei »Ry« für die ungewöhnliche Kurzform von »Mary« steht, und er sich durch körperliche Veränderungen äußerlich eher zum Mann gemacht hat, sich aber insgesamt als Hybridperson gibt, die sich nicht eindeutig als Mann oder Frau sieht). Ry trifft auf Viktor Stein, einen Professor, der mit Menschenteilen experimentiert und geht mit ihm eine Liebesbeziehung ein. Und dann sind da noch Ron Lord, der menschenechte Sexbots herstellen lässt, seine Assistentin Claire und Polly D eine ehrgeizige Vanity-Fair-Journalistin.

 

Wer den Roman »Frankenstein« und dessen abenteuerliche, aber echte, Entstehungsgeschichte kennt, dem werden diese Namen in abgewandelter Form eventuell bekannt vorkommen. Mary Shelley erfand den Plot während einer Urlaubsreise in der Schweiz, als sie mit ihrem Mann, dem Lyriker Percy Shelley, in einer Villa am Genfer See festsaß und es tagelang regnete wie in Strömen. Mit ihnen dort waren der Dichter Lord Byron und dessen Leibarzt John Polidori sowie Mary Shellys Stiefschwester Claire Clairmont. Um sich die Zeit zu vertreiben, erzählte man sich gegenseitig Schauergeschichten.

 

In »Frankissstein« wird die historisch belegte Geschichte von Mary Shelly aufgearbeitet und parallel dazu entwickelt sich die moderne Story von Ry Shelley in einer realistischen nahen Zukunft. Und das Ergebnis kann sich sehen und lesen lassen.

 

Der Roman weiß zu gefallen, weil er viele verschiedene Facetten hat und darüber hinaus nicht nur gut unterhält, sondern auch nachdenklich macht. Das Spiel mit den Geschlechtern durch die Rolle des Transgenders Ry Shelley wird sowohl von innen, durch viele Gedanken und Reflektionen, als auch von außen, durch die andere Wahrnehmung von Charakteren wie Ron Lord, dargestellt.

 

»Frankissstein« landete auf der Nominierungsliste für den renommierten Booker Prize, dem wichtigsten britischen Literaturpreis, der jährlich für den besten englischsprachigen Roman des Vereinigten Königreichs verliehen wird. Das mag auch einer der Gründe gewesen sein, warum der Roman in England und den USA in den Feuilletons ausführlich besprochen wurde. Seine Struktur der »Zwei-in-Einer-Geschichte« schafft jede Menge Interpretationsmöglichkeiten und Querverweise zwischen den Erlebnissen der echten Person Mary Shelley und der fiktiven Figur Ry Shelley. Das macht das Werk zum gefundenen Fressen für Literaturwissenschaftler.

 

Aber da ist so viel mehr. Als Ry Shelley und Ron Lord über dessen künstliche Sex-Androiden reden, die so viel mehr Vorteile gegenüber echten Frauen haben sollen, endet das Kapitel mit der Frage: »Was ist heutzutage schon echt?«

 

Und das folgende Kapitel, das wieder das Geschehen um Mary Shelley am Genfer See fortsetzt, beginnt mit der Aussage: »Der Mensch verträgt nicht sehr viel Realität.« Worauf Shelley äußert: »Deshalb erfinden wir Geschichten.« Und ihr Mann fragt: »Und was, wenn wir die Geschichte sind, die wir erfinden?«

 

Dies ist nur ein Beispiel für die herrlichen Dialoge und den permanenten Gedankenaustausch, der sich in dem Buch findet.

 

Unterm Strich ist »Frankissstein« eine der interessantesten Neuerscheinungen der letzten Zeit und dürfte unterhalb des Leseradars von vielen Genrefans geblieben sein. Die deutsche Übersetzung erschien beim Verlag Kein & Aber, der sie als kleinformatiges Hardcoverbüchlein publizierte, welches mit seinem glatten Papier gut in der Hand liegt und beweist, dass besonders angenehme Haptik beim Lesen ein Pluspunkt sein kann.

 

Wer sich für Genderdiskussionen und wandelnde Rollenbilder interessiert, kommt ebenso auf seine bzw. ihre Kosten, wie Menschen, die Themen wie Künstliche Intelligenz und die möglichen Auswüchse bei der Entwicklung von Androiden verfolgen. Somit ist »Frankissstein« eine gelungene Mischung aus Science Fiction und moderner Belletristik, mit einer Prise romantischer Schauerroman und Feminismus. Ach ja … und er macht Lust, den alten Klassiker von Mary Shelley wieder zu lesen.

 

Prädikat: Empfehlenswert!

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Buch:

Frankissstein

Eine Liebesgeschichte

Originaltitel: Frankissstein, 2019

Autorin: Jeanette Winterson

Kein & Aber, 8. Oktober 2019

Übersetzung: Brigitte Walitzek und Michaela Grabinger

Cover: Maurice Ettlin

gebundene Ausgabe, 397 Seiten

 

ISBN-10: 303695810X

ISBN-13: 978-3036958101

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B07XVGY53H

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

 


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Erstellt: 28.02.2020, zuletzt aktualisiert: 13.10.2023 18:50, 18353