Laute Träume (Autor: Jonathan Carroll; Rondua 1)
 
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Laute Träume von Jonathan Carroll

Ein Rondua Roman

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Rezension:

Phantastische Literatur unterliegt wie jedes andere Genre auch, Veränderungen und Tendenzen, die erst Jahre später offensichtlich werden, wenn der sie verhüllende Ballast ins Dunkel sinkt. Manche Protagonisten dieser Phasen geraten darüber fast ins Vergessen.

Der amerikanische Autor Jonathan Carroll verdankt sein Erscheinen in deutscher Sprache der Begeisterung von Franz Rottensteiner und der Phantastischen Bibliothek im Suhrkamp Verlag.

Doch die großartige Reihe ruht seit Jahren, ebenso gibt es keine neueren Werke von Carroll in Deutsch. Ein guter Grund, ins Regal zu greifen und Laute Träume zu lesen.

 

Die Geschichte beginnt mit einem Doppelmord. In einem New Yorker Mietshaus erschlug der unscheinbare Nachbar Mutter und Schwester. Unsere Protagonistin sitzt mit ihrem Mann und Baby Mae am Frühstückstisch und sinieren über die Nachricht - ein prosaischer Anfang.

Doch Carroll lässt seine Heldin Cullen ganz nebenbei darüber plaudern, wie sie ihren Mann kennenlernte um mittendrin auch von ihrem Schwangerschaftsabbruch zu berichten: falscher Mann, falsche Zeit.

Doch so ganz harmlos geht dieser Eingriff an der jungen Frau nicht vorbei. Sie beginnt von einer Fantasywelt zu träumen. In Rondua gilt es eine Aufgabe zu erfüllen, an ihrer Seite jede Menge Fabelwesen, aber auch ihr Sohn Pepsi. Während Cullen in der wirklichen Welt das Leben einer New Yorker Mutter führt, angefüllt vom rührigen Treiben eines schwulen Freundes, muss sie in Rondua mit Gedächtnislücken kämpfen. Offenbar weilt sie hier nicht zum ersten Mal. Doch diesmal ist ihr Sohn an der Reihe, das Land mit Hilfe der fünf Mondknochen zu retten.

Zusehends nimmt Rondua einen größeren Teil in Cullens Leben ein. Als ihr der Regisseur Weber Gregston zu nahe kommt, schlägt sie ihn mit einem magischen Blitz nieder. Gregston ist fortan nicht nur in sie vernarrt und umwirbt sie, er beginnt ebenfalls von Rondua zu träumen.

Immer offensichtlicher wird die psychoanalytische Relevanz von Cullens Träumen. Ihr Geist beackert alte und neue Wunden, doch ist es wirklich nur ihr Gehirn, dass Rondua erdenkt, oder ist da mehr?

 

Carroll zieht die phantastischen Kreise immer enger, in beiden Welten streben die Ereignisse einem gemeinsamen Höhepunkt entgegen und der Autor löst die Konflikte mit einem Paukenschlag, der den teilweise sanften Plauderton des Romans deutlich konterkariert.

Die Leichtigkeit, mit der Carroll eine süße Liebesgeschichte erzählt, muss man bewundern. Dabei legt er viel Wert auf Eleganz, streut Zeitgeisterkenntnisse darunter und rührt alles genüsslich zusammen mit seinen Europaerfahrungen.

Der Fantasyhintergrund bleibt hingegen oberflächlich. Nur punktuell gestaltet Carroll ihn weiter aus. Ganze Teile der Queste vollziehen sich in Nebensätzen, während großartige Figuren und Ideen am Wegesrand zu verpuffen scheinen. Dabei besitzen sie tatsächlich für die Handlung keine weitere Relevanz. Man könnte es auch so sehen: Es gab mal Zeiten, da Autoren es verstanden, ihre überbordende Phantasie in den Dienst der Story zu stellen. Oder eben mit angezogener Handbremse durchzustarten.

Die Frage ist jedoch, ob das Auswalzen der Ideen eine bessere Geschichte mit sich bringt. Carroll zumindest scheint Rondua interessant genug gefunden zu haben, um in weiteren Romanen darauf zurückzukommen.

Interessanterweise erschien bereits ein Jahr später eine Geschichte, die eine ähnliche Verbindung zwischen Traumwelt und Realität erschuf, bis hin zur monströsen Queste: Sandman von Neil Gaiman.

 

Fazit:

Phantastik jenseits des Mainstreams? In Anbetracht der doch recht massiven Schwemme gleichgeschalteter Phantastik bei deutschen Verlagen heutzutage muss man tatsächlich einige Jahre zurückblicken, will man Autoren wie Jonathan Carroll auf Deutsch lesen.

Aber dafür sind ja Bücherregale da, Schätze zu bewahren für armselige Zeiten.

 

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Buch:

Laute Träume Original: Bones of the Moon, 1987

Autor: Jonathan Carroll

Übersetzer: Rudolf Hermstein

Phantastische Bibliothek, 197

Taschenbuch, 205 Seiten

Suhrkamp, 1988

 

ASIN: B005W19HOM

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 19.12.2011, zuletzt aktualisiert: 04.11.2023 16:42, 12275