Maniac (BR; Horror; FSK 18)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Maniac

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Elijah Wood, Frodo, ein Hobbit. Eine Rolle, die den sympathischen Schauspieler mit ziemlicher Sicherheit bis ins Grab verfolgen wird; mindestens. Doch anders als so viele seiner zum Teil noch berühmteren Kollegen ist der junge Mann danach keinesfalls dem Lockruf des prätentiösen, aber auch weichgespülten Kommerz erlegen (Jawohl, Johnny Depp – damit bist vor allem DU gemeint!). Was freilich nicht heißen soll, dass Wood seitdem ausschließlich in sperrigen Independent-Produktionen agiert hat. Trotzdem sucht sich der 32jährige mit schöner Regelmäßigkeit Parts aus, mit denen er ganz klar gegen sein Hobbit-Image ankommen möchte. Gut so! Man denke nur an den stummen, diabolischen Kannibalenjungen Kevin aus der großartigen Sin City-Verfilmung (2005), die Darstellung eines jungen, getriebenen Studenten, der während seines England-Aufenthalts dem Rausch der Gewalt erliegt (Hooligans, ebenfalls 2005). Und auch als abermaliger Student wusste er ferner in Àlex de la Iglesias Thriller Oxford Murders (2008) zu überzeugen, genauso wie in der derben Comedy-Serie Wilfred (seit 2011), in der er Probleme mit einem äußerst imaginären wie ungehobelten »Hund« hat(te). Aber genau diese Vielseitigkeit und auch Unberechenbarkeit sprechen sowohl für sein breites schauspielerisches Spektrum wie auch für eine gewisse, positive Unberechenbarkeit, die ihn für den Zuschauer interessant bleiben lässt. Insofern ist die Hauptrolle in dem, von Horror-Fachmann Alexandre Aja produziertem Remake des 80er Jahre-Slashers Maniac eine weitere Bestätigung.

 

Moment mal, noch ein Remake? Noch eine weitere, belanglose Neuauflage eines wegweisenden oder zumindest kultigen Slashers? Wozu? Und überhaupt – wer interessiert sich denn überhaupt noch für Messer schwingende Irre? Dieses Genre ist doch mehr als tot!

Stimmt ja alles. Als fiktiver Serienkiller, der es vorwiegend auf barbusige junge Damen abgesehen hat, hat man es heutzutage sicherlich nicht leicht; eben auch, weil so viele »Regisseure« aus ihren Neuauflagen harmlosen Pipifax gemacht haben, der mehr mit der Geisterbahn auf der Kirmes gemein hat, denn mit rohem, dreckigem, schwärzestem Horror. ABER: Wer das »Maniac«-Original von 1980 kennt, der muss auch objektiv eingestehen, dass hier ein Remake nicht bloß Sinn macht, sondern längst überfällig war. Denn der Ur-«Maniac« ist einfach sehr schlecht gealtert, wohingegen sich die Sehgewohnheiten des geneigten Zuschauers geradezu radikal verändert haben. Billig runter gekurbelte Filme mögen gewiss noch immer ihren Reiz haben, doch dafür dürfen sie halt nicht wie Amateurproduktionen herüberkommen.

Was aber beim besagten Ur-Material eindeutig der Fall ist – und ganz klar die Bestätigung dafür, dass »Maniac I« überwiegend von seinem berüchtigten Ruf zehrt (Stichwort Indizierung) und weniger von seiner Klasse. Gut, er ist brutal, an einer Stelle sogar extrem heftig (Gewehr!), aber die Leistungen der Hauptdarsteller Joe Spinell und Ex-Mini-Bondgirl Caroline Munro waren zum teil dermaßen überzogen, dass es nicht mal für einen Italo-Giallo gereicht hätte.

 

Von daher gibt es also einige Felder, die vom Team des Remakes neu beackert werden müssen – und zwar radikal. Da kommt Wood ins Spiel, der schon von seinem Äußeren her vollkommen anders rüberkommt, als sein pummeliger Ü-40-Vorgänger Spinell. Bewusst wird hier mit dem »harmloser Junge«-Image kokettiert und wenn Woods Alter Ego Frank Zito einen mit seinen großen Äuglein anschmachtet …

 

Gute Masche, um die Frauen rumzukriegen, was? Denkt sich auch Zito. Meistens jedenfalls. Wenn er in seinem Atelier keine Schaufensterpuppen restauriert. Oder junge Damen mit seinem Van verfolgt. Ansonsten sucht – und findet – er weibliche Singles via anonymer Internetkontaktbörse; einsame, manchmal vielleicht auch etwas zu naiv geratene Frauen, die einfach nur die Geborgenheit eines Partners suchen. Oder auch die schnelle Nummer. Ohne Hintergedanken.

Ganz anders als Zito, dessen Äußeres zwar harmlos wirkt, dahinter aber eine höchst kranke und fehlgeleitete Psyche versteckt hält. Getrieben von dem Trauma seiner Kindheit und dem daraus resultierenden Mutterkomplex, MUSS Frank Frauen töten; muss er seine sexuelle Anspannung mittels tödlicher Brutalität entladen. Aber nicht durch simples morden; oh nein. Vielmehr skalpiert Frank seine Opfer und drapiert ausgesuchte Schaufensterpuppen mit seinem makabren Souvenir. Alles, um »Mutter« (America Olivo) zufrieden zu stellen.

Doch eines Tages taucht die französische Fotografin Anna (Nora Arnezeder) vor seinem Laden auf und knipst die im Schaufenster ausgestellten Puppen. Man muss kein ausgemachter Menschenkenner sein, um schnell erkennen zu können, dass die junge Frau gleichermaßen lebensfroh wie ungezwungen ist; einfach sympathisch – und damit genau das absolute Gegenstück zu Frank, der von Annas forschem Auftritt in derselben Weise entsetzt wie fasziniert ist. Letzteres empfindet auch Anna, jedenfalls für Franks mit Sorgfalt restaurierte Puppen. Nach einem weiteren Fototermin vor Ort – exklusive eines Blicks in Franks »spezielles« Hinterzimmer – drängt Anna schließlich darauf, Franks Puppen für ihre nächste Vernissage verwenden zu dürfen. Freilich ohne ahnen zu können, wem sie da ihr Vertrauen entgegenbringt. Was zunächst als zartes Pflänzchen seinen Anfang nahm, mutiert zumindest in Franks Verstand nun zu wesentlich mehr. Für Frank steht fest: Anna ist die Frau fürs Leben … und Mutter wäre stolz auf ihn. Ohne es selbst zu merken, verliert sich Frank immer mehr in dieser Vorstellung; entrückt er immer weiter, während seine Taten immer grausiger werden und die finale Entladung immer greifbarer wird …

 

Obwohl, wie erwähnt, ein Remake, gehört »Maniac« zu den ganz heißen Anwärtern auf den besten Horrorfilm 2013. Warum dem so ist? Dafür sprechen mehrere Gründe. Einer davon heißt ganz klar Elijah Wood, der seiner Rolle eine wunderbar zwiespältige Note verpasst hat – obwohl sein Konterfei bestenfalls ein paar Minuten lang zu sehen ist. WTF? Richtig gelesen. Denn statt eines handelsüblichen Slashers entschied sich Regisseur Khalfoun für eine vollkommen andere, aber brillante Vorgehensweise. Wo Altmeister John Carpenter teilweise mit seiner voyeuristischen Kameraarbeit in Halloween – Die Nacht des Grauens (1978) Wegweisendes vollbrachte, ging Khalfoun einen sehr großen Schritt weiter und entschied sich für eine dauerhafte, subjektive Ansicht. Soll heißen: Wir sehen, was Frank Zito sieht. Wir hören, was er hört. Wir WERDEN zu Frank Zito – und können uns dem nicht entziehen.

Ein ebenso mutiges, wie höchst erfolgreiches Unterfangen, da diese Ich-Perspektive von Anfang an mehr als blendend funktioniert – ohne dabei die Präsenz von Wood zu zerpflücken. Vielmehr steigert dieses Vorgehen seine Handlungen um ein Vielfaches und so gehen Kamera und Darsteller eine grandiose Symbiose ein, was übrigens auch während der Dreharbeiten mit Woods und Kamermann Maxime Alexandre geschah, die zu einer Einheit verschmolzen.

 

Doch darauf beschränkt sich »Maniac« nicht. In seinen besten Momenten wird der Film zu einem wunderbar düsterem Hybrid aus Arthouse und Kintopp der 80er Jahre – selbst bei hellem Tageslicht. Das ferner im sonnigen Los Angeles gedreht wurde, lässt zwei Welten zusammenprallen: europäisches und amerikanisches Kino, wobei Khaloun ganz klar näher zu seinem dänischen Kollegen Nicolas Windig Refn denn zu den US-Schnellkurblern steht. Kein Wunder also, dass »Maniac« mitunter wie der düstere und auch brutalere Zwilling von Refns Meisterwerk Drive (2011) anmutet, schon wegen der kongenialen musikalischen Untermalung durch einen Komponisten namens Rob (mein Tipp: eine Hälfte von Daft Punk; die angefressenere), der Vorbildern wie John Carpenter oder auch den Synthieproggern von Goblin perfekt seine Aufwartung erweist. Zu schade, dass es den Soundtrack nicht auf CD gibt!

 

Ganz ähnlich, wie bei Frank Zito, besitzt auch »Maniac« eine intensivere, tiefer gehende Seite. Symbolisch und durchaus auch eher passiv lässt Khaloun sowohl Franks Puppen wie auch die urbane Kälte als Sinnbilder für individuelle Isolation, Anonymität und Oberflächlichkeit werden, eine ungemein interessante Kontrapunktierung, welche bei eingehender Betrachtung dem Gesamtbild eine vollkommen neue Nuance verleiht. Insgesamt entsteht auf diese Weise ein fast schon träumerisch anmutendes Gesamtbild, welches die ausnahmslos heftigen Taten von Frank noch deutlicher hervortreten lässt. Wobei die reißerische Aussage andernorts, dass »Maniac« sogar die heftigsten Momente der SAW-Reihe übersteigt, gepflegter Schwachsinn ist – und von daher auch – mal wieder – die mehr als fragwürdige Entscheidung der FSK, auch hier die Schere anzusetzen.

Darum aufpassen: Wer den Kauf der DVD oder Blu Ray erwägt, der muss auf der Hut sein, da es den Film sowohl in der geschnittenen Version (mit 83:11 Minuten) als auch uncut (85:22 Min.) gibt. Und WO geschnibbelt wurde! Ein schlechter Scherz!

 

Aber zurück zum Film. Besitzt »Maniac« gar keine Schwächen? Im Gegenteil. Seine größte ist, bei aller Liebe, der Plot selbst, respektive Frank Zitos Motivation, die hie und da ein wenig schwammig ausgearbeitet wurde und ihn gelegentlich etwas plump dastehen lässt. Ein, zugegeben, kleiner Stolperstein, der von Woods großartiger Arbeit und der einzigartigen Optik aber mehr als aufgefangen wird.

 

Fazit:

Wer Elijah Wood bislang nur als gutgläubigen Hobbit kannte, der dürfte sein blaues Wunder erleben. Freunde des gepflegt-blutigen Slashers ebenso. Denn »Maniac« sticht ganz klar aus der austauschbaren Masse der Genrevertreter und Remakes heraus. Dank seiner einzigartigen Optik, dem tollen Soundtrack, unerwarteter künstlerischer Tiefe und natürlich Woods fantastischer Darstellung ist es ein Film, der aus einer uns vertrauten Welt ein Labyrinth aus Isolation und Gewalt werden lässt. Der böse und weitaus psychopathischere Zwilling von »Drive« gewissermaßen. Am Besten beide Filme in einer Doppelvorstellung genießen!

Nach oben

Platzhalter

BR:

Maniac

Originaltitel: Maniac

USA/Frankreich 2012

Regie: Franck Khalfoun

Produzent: Alexandre Ajas

Format: PAL, Widescreen

Sprache: Deutsch (DTS-HD 5.1), Englisch (DTS-HD 5.1)

Untertitel: Deutsch

Region: Region B/2

Bildseitenformat: 16:9 - 2.40:1

Spieldauer: 89 Minuten (Uncut)

Umfang: 1 BR

FSK: 18

Ascot Elite, 21. Mai 2013

 

ASIN: B00CU55QB6

 

Erhältlich bei Amazon

Darsteller·innen:

  • Elijah Wood

  • Liane Balaban

  • Sal Landi

  • Megan Duffy

  • Jan Broberg

Eintrag in der PhilmDB:

Maniac


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 24.10.2013, zuletzt aktualisiert: 10.09.2023 10:58, 13293