Nichts Böses (Autor: Jakob Schmidt)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Nichts Böses von Jakob Schmidt

Erzählungen

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Nicht böse – nur hungrig!

 

Unter den Galgen der Gehenkten, wo die Erde fett und schwarz ist von herabtropfendem Leben, gedeihen Alraunen. Geschöpfe aus Meerestiefen nisten sich in Menschen ein, um durch ihre Poren Sonne zu trinken. Hunde lecken das Blut von der Straße und kommen auf den Geschmack.

 

Die Dinge unter der Haut der Wirklichkeit sind nicht böse. Sie sind gierig und geistlos, getrieben von tierischem Hunger und menschlicher Sehnsucht.

 

Zehn Geschichten von seltsamen, grausamen und entsetzlich lustigen Begebenheiten. Mit zwölf Illustrationen der Berliner Künstlerin Vincristine.

 

Rezension:

Die heiter makabren Geschichten von Jakob Schmidt begleiten mich schon seit einigen Jahren. Sie erschienen in diversen Anthologien und regelmäßig trägt sie der zarte Jüngling in der Lesebühne Schlotzen & Kloben einem kritischen Publikum selbständig und kompetent vor.

Erstmalig ganz allein steht er nun auf dem Cover von Nichts Böses. Die Sammlung enthält bis auf eine Ausnahme lauter Neuerscheinungen, die maximal in einer frühen Version in der Lesebühne vorgestellt wurden.

 

In einem kurzen Vorwort stimmt zunächst Boris Koch auf die folgenden Geschichten ein und berichtet von seinen Erfahrungen mit schmidtscher Prosa. Und man ahnt es schon, der Titel ist nur ein billiger Trick und verheißt eigentlich Nichts Gutes.

 

Der erste Schritt in die Dunkelheit heißt Der Traum vom Reisen. Die klassische Horrorgeschichte offenbart erst nach und nach das komplette Geschehen und bietet dazwischen gepflegten Psycho-Grusel ohne wirklich zu überraschen.

Allerdings endet die Geschichte mit einem typischen schmidtschen Tiefschlag. Wenn die ganze Welt mies ist, dann ist es gleich, wo man das Elend durchlebt.

 

Mit dieser Einstellung relativiert sich auch so etwas typisch Böses wie Satan und Hölle. Frühzeitige Förderung berichtet von den Problemen einer Höllenbrut, Finsternis zu verbreiten, wenn die Tücken deutschen Biedermeiers jeglichen Horror relativieren.

 

Ähnlich bitterböse verhält es sich, wenn man der Natur ihren Lauf lässt und Berlin zum Beispiel im Griff einer Hunde-Gang fällt. Man kann dagegen kämpfen, es ignorieren oder aber man arrangiert sich mit den Verhältnissen.

Diese Story bietet zudem einen ersten Eindruck in die tiefen Kenntnisse, die der Autor über Wohngemeinschaften sammeln konnte. Selbstverständlich stecken diese Zweckbündnisse soziopathischer Individualisten tief in ihrer eigen makabren Parallelwelt fest. Für immer.

 

Das grüne Monster ist Richard Matheson gewidmet und untersucht kurz und knackig das Leid des typischen grünen Monsters. Ja, Empathie ist kein Einbahnstraße.

 

Männer sind Sklaven ihrer Triebe und entsprechend leicht zu manipulieren, wenn frau clever ist. In Alraunenliebe vermischt sich klassisches Klischee mit der diffusen Atmosphäre einer morbiden SM-Story.

 

Du bist raus schafft es auf raffinierte Weise, das Retro-Empfinden alter Soli-Demo-Besucher in eine handfeste Horror-Story einzukleiden. Der perfide Witz ist tatsächlich, dass sich Jakob Schmidt über das Älterwerden in der linken Szene lustig macht und nahezu gleichzeitig Midlifecrisis und die Angst vor verpasstem Leben als das wahre Alltagsgrauen identifiziert. Diese kleinen fiesen Kombinationen, zudem lakonisch erzählt, machen den großen Reiz der Sammlung aus.

 

Zurück zu den Erfahrungen mit WGs bringt uns der Lesebühnen-Klassiker Eine Reihe ungewöhnlicher Einträge im WG-Buch, der dort mit verteilten Rollen präsentiert wurde.

Präzise und schräg entwickelt sich hier das Leben einer Wohngemeinschaft durch die Kommunikation über Kurznotizen. Die Charakterisierung der Figuren ist bizarr und schafft in Verbindung mit dem an Rosemary’s Baby erinnerndem Plot eine herrlich groteske Stimmung.

 

Sonnenkinder hingegen ist wieder klassischer Horror. Zwar gibt es einige Spitzen gegen eine bestimmte Art von Pärchen, aber im Vergleich zu den anderen Texten der Sammlung ist »Sonnenkinder« ernster.

 

Passenderweise geht es auch in »Stärker als der Tod« um seltsame Paare. Paare, die so eng zusammenleben, dass sie wie ein einziges Wesen agieren. Diese Entwicklung kann von guten Single-Freunden nur mit Grausen beobachtet werden und so ist es durchaus verständlich, sich eine Welt vorzustellen, da die Kugelwesen ihren Zombiewalk antreten um die normalen Einzelwesen zu assimilieren. Was wie ein Albtraum klingt, ist nur ein Fitzelchen von der Realität entfernt. Solche Kugelwesen findet jeder in seinem Bekanntkreis, garantiert!

Eine Geschichte, die man auf Hochzeiten vorlesen sollte. Einfach nur so aus Spaß.

Den Abschluss bildet mit Eine Qualle und ein Entdecker eine melancholische Abschiedsgeschichte. Phantastisch nur an den Rändern, aber intensiv und berührend erzählt.

 

Es ist schwer sich vorzustellen, wie die Geschichten wirken, wenn man den Autor noch nicht hat lesen hören. Der manchmal fast atemlose Zynismus oder der lakonische Grundton einiger Geschichten vermischt sich für mich automatisch mit dem breit gezogenen, oft knarrenden Duktus, mit dem Jakob seine Texte vorträgt. Als ob er den Schalk im Nacken immer wieder mit einem Schal aus Alltag erwürgen möchte und der dann jappsend tausendundeinen Witz erzählt, um noch einen weiteren qualvollen Atemzug machen zu dürfen.

 

Wunderbare Unterstützung findet der Autor in den Zeichnungen von Vincristine. Sie sind kleine Kommentare zu den Texten, deren Figuren mit Augenlöchern und starrenden Mündern düster auf die LeserIn schauen. Wer denkt dabei schon an »Nichts Böses«?

 

Fazit:

Die Erzählungen von Jakob Schmidt schwelgen in allen düsteren Tiefen der Phantastik und suchen das Grauen dabei all zu oft im ganz gewöhnlichen Alltag. Schräger Humor und dumpf brütender Fatalismus finden sich dabei ebenso wie Monster, Mumien und Mutationen.

»Nichts Böses« ist schaurige Phantastik, die man mit einem breiten Grinsen liest.

Nach oben

Platzhalter

Buch:

Nichts Böses. Erzählungen

Autor: Jakob Schmidt

Edition Medusenblut, November 2013

Taschenbuch, 193 Seiten

Illustratorin: Vincristine

 

Inhalt:

<typolist>

Der Traum vom Reisen

Frühzeitige Förderung

Der gute Hund

Das grüne Monster

Alraunenliebe

Du bist raus

Eine Reihe ungewöhnlicher Einträge im WG-Buch

Sonnenkinder

Stärker als der Tod

Eine Qualle und ein Entdecker

</typolist>

 

ISBN-10: 393590116X

ISBN-13: 978-3935901161

 

Erhältlich bei: Amazon

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042617110603998d3a
Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 25.11.2013, zuletzt aktualisiert: 30.03.2024 19:30, 13321