Omnivor von Piers Anthony
Reihe: Die Macht der Mantas Band 1
Rezension von Ralf Steinberg
Piers Anthony gibt seinem klassischen SF-Roman zunächst die Erzählstruktur eines Krimis. Wir erleben einen Untersuchungsbeamten der Regierung bei seinen Ermittlungen. Allerdings ist Agent Subble kein gewöhnlicher Ermittler. Speziell konditioniert und mit außerordentlichen Fähigkeiten versehen, beginnt er seine Arbeit bei Null, denn für jede neue Mission werden den Agenten alle Erinnerungen genommen. Nicht einmal das Ziel seiner Ermittlungen kennt er, um somit ohne jegliche Vorbelastung in die Untersuchung einsteigen zu können. Im Unterschied zu einer robotischen Analyse, können diese Agenten, da sie ja immer noch Menschen sind, in einem viel flexibleren Rahmen notwendige Nuancen und Feinheiten gerade bei Gesprächen mit den Betroffenen wahrnehmen und einordnen. Erst im Anschluss an diese sehr persönlichen Berichte kommt es zu einer maschinellen Auswertung.
Subble hat die Namen dreier Interview-Partner. Mit jedem Gespräch klärt sich der Sinn seiner Mission, erfährt er mehr Details. Dazu blendet Piers jedesmal ein Stück der Geschichte ein, die auf dem Planeten Nacre begann und nun auf der Erde seinen Fortlauf nimmt.
Nacre ist eine Welt der Pilze. Die einzigen Tierarten sind Pflanzenfresser (meint hier Pilzfresser), Herbivoren genannt und Omnivoren, die sich von Pilzen und den Herbivoren ernähren. Jene Omnivoren sind gewaltige, brutale und dumme Kreaturen.
Drei Menschen sind auf Nacre unterwegs. Veg, Aquilon und Cal. Eine komplizierte Dreiecksbeziehung, zwei Männer, eine Frau.
Recht schnell wird eine Verwandschaft zu Nacre deutlich, als die drei eine weitere Lebensform entdecken: Die Mantas.
Diese Mantas sind reine Fleischfresser, Carnivoren.
Als Cal eingestehet, sich nur von Blut ernähren zu können, erscheint das Tripple plötzlich als verkleinerte Fauna des Planeten.
Herbivor, denn Veg heißt nicht umsonst so, Omnivor und Carnivor.
Auf dieser Ebene der Handlung begegnen wir einem zwar sehr konstruierten Spannungsverhältnis, das allein schon eine außergewöhnliche SF-Story sein könnte. Doch damit gibt sich Piers Anthony nicht zufrieden.
Diese überraschende Allegorie ist auch nur eine scheinbare. Als die Frau einen Manta schützt, indem sie aus einem für die Mantas tödlichen sonnenbeschienenen Tal trägt, ändert sich das bisher beobachtende Verhalten der Mantas und sie überlassen ihr acht junge Mantas.
Es sind diese Mantas, die nun auf der Erde die Regierung zu einer Untersuchung veranlassen.
Einer lebt bei Veg, dem ersten Punkt der Untersuchung. Einer bei Aquilon. Die sechs anderen auf einer Insel in der Nähe von Cal.
Veg, der von Cal als der Muskel in der Dreierbeziehung genannt wird, versteht sich als der Herbivore, den der Manta beschützt, da der Carnivore sich nur von Omnivoren ernährt.
Aquilon ist demnach der Omnivore und die Schönheit. Ihre Fähigkeit, Beobachtungen mit Pinsel und Farbe anstelle anderer Aufzeichnungsmittel festzuhalten, beeindruckt Agent Subble.
Überhaupt entwickelt Piers Anthony diesen Agenten auf beeindruckende Weise.
Bei Veg lernt er etwas über sich selbst, dass er nicht sein eigenes Leben führt, sondern nur das eines Agenten ausfüllt. Bei Aquilon geht die Erfahrung über das Persönliche hinaus, als er mit dem Übel der Massentierhaltung konfrontiert wird, erfahren wir zum ersten Mal mehr von Hintergrundwelt, wird Nahrung in einer ethischen Betrachtung wichtig. Bei Veg waren es Bäume, bei Aqulion Pflanzen und Tiere und auch Sex. Subble bemerkt dabei seine eigene Individualität.
Bei Cal, dem Gehirn der Dreibande, endlich schafft er es darüber hinaus. Unter dem Einfluss einer Droge, der Roman ist von 1968, wird ihm nicht nur aufgezeigt, wie begrenzt seine Supermanfähigkeiten sind, da sie immer noch nichts weiter als Programmierungen darstellen, er von dieser allein zehrt und damit ihre Fehlerhaftigkeit austrägt.
Cal zeigt ihm auch, was das Dritte Königreich ist, wie bedeutsam Pilze für die Erde sind.
Auf Nacre hat die Evolution die Pilze zu Siegern erklärt. Cals Theorie ist es, dass die Erde keinen anderen Weg eingeschlagen hat, sondern sich ebenfalls auf den Weg dorthin befindet. Die Mantas also von der Spitze der Entwicklungspyramide auf die Erde herabsehen, sie aber dennoch Interesse an den Menschen haben. Bisher aber gelang es ihm nicht mit den Mantas über eine selbstgebaute Maschine in direkten Kontakt zu treten, dies traut er erst Subble zu.
An dieser Stelle endet das Rekonstruieren der Vorgeschichte. Subble erkennt, dass es gar nicht um die Aufklärung der Vergangenheit geht, sondern um Kontakt.
Und er stellt ihn her. Aber wiederum bietet Piers Anthony keine einfache Lösung an. Er wechselt in die Sicht der Mantas, die nämlich selbst Pilze sind.
Bis zu Subbles Kampf mit einem von ihnen, gaben sie der Menschheit überhaupt keine Bedeutung außerhalb von Nahrung. Nicht als Gemisch von Pflanzen-, Alles- und Fleischfressern sahen die Mantas die drei Wesen auf ihrem Planeten, sondern stets als Omnivoren. Dumm, brutal und zum Töten geschaffen.
Mit Subbles Zweikampf ändert sich die Sicht, gestehen sie den Menschen Intelligenz zu.
Bis zum Schluss bleiben die Mantas die treibende Kraft, haben sie allein die Kontrolle.
Mag die Regierung die Gefahr der Sporenbildung auch mit aller Härte unterdrücken, sie tun damit nur das, was ihnen die Mantas zu tun übrig ließen.
Veg, Aquilon und Cal kehren mit den Mantas nach Nacre zurück. Jeder der drei Menschen hat durch Subble einen Teil seiner Geschichte neu erarbeitet. Aber keiner hat die Stufe des Übermenschen erreicht, sind sie immer noch Omnivoren.
Fazit:
»Omnivor« ist ein sehr komplexer Roman. Seine verschiedenen Themen durchdringen sich und bilden sich in den Betrachtungsweisen der Figuren auch beständig neu. Die Materie der dominanten Carnivoren wird hier subtil aufgearbeit, ähnlich wie in dem fast zwanzig Jahre später erschienenen Roman »Sperling« von Mary Doria Russel.
Nach oben