Spinnen: Uralte Angstmacher der Oberliga
 
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Spinnen: Uralte Angstmacher der Oberliga

Artikel von Karin Reddemann

 

Wenn ich an Es denke, fallen mir eine grüne 80er-Jahre-Leselampe, John-Boy und diese monströse Spinne ein. Das war irgendwann vorgestern. Die Lampe ist längst kaputt, die Spinne spukt weiterhin so unerwünscht, wie jede andere riesige Spinne zu spuken pflegt, und gelesen hab ich das Buch, als es frisch auf dem Markt war: 1986. Und dann nochmal, und … egal. Verdammt gute Stunden waren das.

 

In jenen Tagen war auch meine Sympathie für die nette Großfamilie von der Warner Brothers Ranch beheimatet. Richard Thompson spielte von 1972 bis 1981 den Tagebuchschreiber John-Boy Walton und 1990 dann den Schriftsteller Bill Denbrough in der Es-Verfilmung von Tommy Lee Wallace, der weltweit die King-Fans etwas kleinlaut mit seiner finalen Überraschung enttäuschte. Weil das namenlose Ur-Böse eben nur eine technisch und visuell etwas gequält aus dem Ei gepellte Spinne war. Gigantisch, hässlich und durchaus fürchterlich zwar, – mit genanntem Abstrich –, aber recht profan … eine Spinne. Kennt man ja.

 

Gut, das ist jetzt ein Vierteljahrhundert her, das Alter entschuldigt so manches, aber leicht geärgert hat uns das schon damals. Auch, wenn der TV-Zweiteiler mit einem schwer ersetzbaren Tim Curry als Clown Pennywise ansonsten wahrlich nicht so übel war, wie einige Bessermacher im Geiste meinen, behaupten zu dürfen: Es war (vorläufig) »bloß« eine Spinne. Schrecklich groß, als Idee eher langweilig. Irgendwie. Oder nicht? Oder tatsächlich doch das schwer ersetzbare Ultimative des vom Bösen gesandten Grauens?

Seit 500 Millionen Jahren

Spinnen gibt es schon eine unvorstellbare Ewigkeit. Vor 500 Millionen Jahren tauchten die ersten auf der Erde auf, und bis heute ist die Anzahl allein der verschiedenen Arten nur schätzbar. Man spricht von 50.000 bis 100.00, die sich rund um den Globus in jeder Klimazone verteilen.

Es stammt aus einer Urzeit, in der die Menschen noch lange, lange, lange … nicht existierten. Die Spinne sehr wohl, zumindest, wenn man das Makroversum mal dazu rechnet, in dem Kings Spinne (Es) vor ein paar Milliarden Jahren lebte.

Das passt.

 

Laut Statistik fühlt sich jeder fünfte Mann und jede dritte Frau ausgesprochen unbehaglich beim Anblick einer Spinne. Das reicht von Nervosität über Schauder und Ekel bis hin zur totalen Panik. Arachnophobie (Spinnenangst) gilt ergo als eine sehr dominante, intensive Angst.

Das passt auch.

Schauder, Ekel, totale Panik

Die Angst vor Es teilt diese schreckliche Kraft und Wirkung der Arachnophobie, konzentriert sich aber auf grundsätzlich alles, was sehr subjektiv ängstigt. So zeigt Es sich den Einzelnen als Illusion ihrer persönlichen Alpträume, derart greifbar, dass sie davon überzeugt sind, alles sei echt.

 

»Angst ist furchtbar. Ihr Kind heißt Zorn und die Enkelin ist Rache.«

Roman-Zitat

 

So ist Angst.

 

Warum freilich ausgerechnet die Spinne, – es existiert wahrlich Scheußlicheres, das sich unter dem Mikroskop offenbart –, derart einschüchtert und gruseln lässt, ist glasklar nicht erklärbar. Im Horrorstreifen Arachnophobia (1990, Regie: Frank Marshall) erleidet Jeff Daniels schon Höllenqualen, wenn ein harmloses Mini-Exemplar ihm vor die Füße läuft. Die Rudel an Killerspinnen, mit denen er es aufnehmen muss, lassen ihn trotzdem nicht tot umfallen oder zumindest wahnsinnig werden. Im Film klappt so was, da wird der Hysteriker zum Helden, der die Gefahr besiegt. Gut triumphiert über Böse, Leben über Tod.

 

Funktioniert aber auch auf der Leinwand nicht immer, soll es auch nicht. In Kingdom of the Spiders (Mörderspinnen, 1977, Regie: John »Bud« Cardos) erobern mutierte Vogelspinnen eine ganze Stadt. In der letzten Szene blickt William Shatner, einmal nicht der überlegene Kopf der Enterprise, aus dem Fenster der Blockhütte, in die er sich mit einer Handvoll Überlebender gerettet hat, und stellt entsetzt fest, dass komplett alles eingesponnen ist. Lage definitiv aussichtslos. Und Ende. Da kann’s einen schon eiskalt erwischen.

 

Spinnen: Ergo irgendwie unheimlich. Mysteriös. Fremdartig. Für einen von uns, Hausmeister Arky Arkanian (Roman: Der Buick, Stephen King, 2002), sieht die Sache repräsentativ einfach nur suspekt aus:

 

»Spiders were different. All those legs – and you had no idea what they might be thinking, or how they could even exist.«

(Spinnen (waren) so anders. All diese Beine – und man wusste nie, was sie gerade denken könnten und wie es so etwas wie sie überhaupt geben konnte.)

So anders, so schnell, so …

So anders. Treffer. Man bekommt wenig Entlarvendes von ihnen mit, obwohl sie überall sind. Sie tauchen plötzlich im Sichtfeld auf, sie sind enorm schnell, und manchmal krabbeln sie auf einem herum, ohne, dass man es merkt.

 

Und irgendwie scheinen zumindest die Webspinnen, – das ist die größte bekannte Truppe mit mehr als 40.000 Arten –, nur aus diesen schrecklich vielen dünnen Beinchen zu bestehen. Ein fieses Bild, das natürlich nicht stimmt. Spinnen haben vier Beinpaare und einen zweigeteilten Körper, Hinterleib und mit dem Kopf verwachsene Brust. Einige sind extrem stark behaart, das wissen wir aus Erfahrung spätestens seit Tarantula.

 

Für den Schwarz-Weiß-Mega-Klassiker aus dem Jahr 1955 setzte Regisseur Jack Arnold eine echte Vogelspinne in eine Miniaturlandschaft, das wirkt auch heute noch genial lebendig und schauderhaft in Großaufnahme. Dagegen fällt die Spinne in der King-Verfilmung von 1990 doch eher ab. Zu künstlich. Was sich freilich im Neuaufguss von ES so viele Jahre mit so viel ausgefeilter Technik und, vielleicht … noch etwas mehr innovativer Vorstellungskraft durchaus hätte ändern können. Hat es aber nicht. Es gibt gar keine Spinne. Das moderne und zugleich immer noch ur-alte Böse bastelt eigene, alternative Alpträume.

Alpträume im bösen Visier

Im Vorfeld hatte Drehbuchautor David Kajganich noch etwas bekümmert erklärt:

 

»Ich habe vor, das Buch sehr getreu zu verfilmen. Doch ich muss realistisch sein: Warner Brothers wollen einen einzigen Film, deshalb werde ich einige geschätzte Passagen streichen müssen. Ich verspreche aber, dies mit äußerster Unterwürfigkeit und Respekt vor Kings Werk zu tun.«

(I plan to be very protective of the book. The reality, though, is that WB wants to do this as a single film, so I will have to kill a few darlings to make that happen. You have my promise, though, that I will do this with the utmost humility and respect for King’s work.)

 

»ES« wurde dann doch ein Zweiteiler, sehr wohl »Geschätztes« sah den Rotstift erfreulicherweise nicht, und Warner Brothers verlegten lediglich die Zeitspanne im Buch (1958 – 1985) für die Verfilmung in die 1990er Jahre und in die heutige Zeit. 2017 und 2019 brachten Produzent Roy Lee und Regisseur Andrés Muschietti den nicht ganz jugendfreien neuen King im Doppelpack mit R-Ranking auf die Leinwand. So weit. Und weiter kurz festgestellt: Die Spinne als geheimnisvolle Urknall-Kreatur und Sinnbild des abgrundtief Bösen musste und sollte es nicht mehr sein. Mehr wird nicht verraten.

 

Verbleibt zu sinnieren, ob der Autor selbst nun diese eine seiner Spinnen ausgerechnet in »ES« vermisst. Sein Faible für explizit diese Spezies so definierter Schock-Viecher ist bekannt. Und auch in anderen Geschichten schreibt Stephen King Spinnen mysteriöse und bedrohliche Rollen auf den Leib: Als Polly Chambers sich in Needful Things (In einer kleinen Stadt, 1993) ihr furchteinflößendes Wunder-Amulett vom Hals reißt, kommt eine Spinne heraus, die mit jedem Schritt größer wird. David Drayton in Der Nebel (aus: Im Morgengrauen, 1985) bekämpft gigantische mutierte Spinnenmonster, Jack Chamber wird von übergroßen Spinnen in Das schwarze Haus (2002) attackiert, Devin Jones in Joyland (2013) träumt von Spinnen, die aus dem Mund kriechen, und Mordred in Der Turm (2004) ist eine einstmals prophezeite Werspinne, halb Mensch, halb Gott, Spinne in tatsächlicher Gestalt.

Omen für Schlechtes

Kings Wertschätzung der Krabbler als Angstmacher der Oberliga, – ob er sie persönlich in natura nun mag oder doch eher nicht, wie man verschwörerisch flüstert, sei hier dahingestellt –, hat eine alte Geschichte: In streng christlichem Sinn gilt die Spinne als Omen für Schlechtes, Unglück und Gefahr, Sünde und Verderbnis folgten ihr bei Fuß im Mittelalter. Als Schöpferin von Sonne, Mond und Sternen taucht sie in afrikanischen Mythen auf, in indianischen Kulturkreisen nennt man sie Mutter allen Lebens, deren Kraft Gut und Böse unterliegen. Ihr Netz symbolisiert in Indien die kosmische Ordnung, steht hier auch für den Schleier der Göttin Maya, Meisterin der Illusionen.

 

Die trügerische Hinterlist der Spinne, – sie lauert gemütlich in ihrem Versteck, wartet, bis ihr Opfer sich völlig im Netz verfangen hat, um es dann mit giftigem Biss zu töten oder es lebendig in einem Kokon in ihre Speisekammer zu hängen –, gilt als typisch weibliche Eigenschaft: Erst umgarnen und anlocken, dann nicht mehr loslassen. Auffressen eben. Da haben wir es.

 

Logischerweise hat eine Frau der Spinne ihren Namen gegeben: Arachne war eine talentierte lydische Teppichweberin, bei Athene in die Lehre gegangen und zum Ärger der Göttin bald deutlich besser als sie. Als Arachne der gekränkten Lehrerin stolz ihr Meisterstück mit Liebesszenen zwischen Göttern und Sterblichen zeigte, war diese über solch eine Unverfrorenheit derart aufgebracht, dass sie Arachne wirklich gruselig verwandelte: Der Oberkörper blieb menschlich, ab der Taille war sie eine Spinne. Scheußliche Situation, zumal auch Arachnes Nachkommen vom Fluch nicht verschont blieben.

 

Es bei King: Natürlich auch weiblich. Und in freudiger Erwartung. Aber mit Mutterliebe endet die genial erzählte Geschichte nicht. Wissen wir alle. Das uralte, urböse Wesen wird getötet, seine Eier werden vernichtet. Happy End?! Im Leben nicht und überhaupt: Gut, dass uns die Furcht bleibt. Vor Etwas. Vor Spinnen. Vor uns. Vor der Dunkelheit. Das muss so sein. Denn wir sind schlau.

 

»Je weniger Geist, desto weniger Angst.«

Søren Kierkegaard

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Erstellt: 28.05.2020, zuletzt aktualisiert: 09.04.2024 19:17, 18646