Tiefraumphasen hrsg. von André Skora, Armin Rößler und Frank Hebben
Anthologie
Rezension von Ralf Steinberg
Verlagsinfo:
Ein dreckiger, toter Kosmos – Maschinenmenschen steuern Frachtschiffe im Methanregen; die dunkle Seite des Alls. Wir sind allein. Kolonisierte Planeten, von Konzernen ausgebeutet: Der Traum von den unendlichen Weiten hat sich nicht erfüllt. Abgrundtiefe Schwärze, überall. Alles strebt nach Glück und scheitert. Oder gibt es Hoffnungsschimmer? Finden die tragischen Helden ihren Frieden in der ewigen Stille oder ist am Ende nur der Tod?
Rezension:
In seinem Vorwort verspricht Michael K. Iwoleit neue und überraschende Vorstöße in eine schmutzige, den Traditionen des Cyberpunk verpflichtete Zukunft. Na, wenn der deutsche Meisterpunker so hohe Maßstäbe setzt, lohnt ein genauerer Blick. Und mit zwei Nominierungen und dem Gewinn des DSFP für die beste Kurzgeschichte 2014, scheinen einige LeserInnen seiner Einschätzung auch prompt zu folgen.
Richtig tief in den Dreck der menschlichen Psyche und den Abgründen der Zivilisation reitet Karla Schmidt ihre beiden Prospektoren Jorge und Somma in Dämmerzone. Gerade haben sie einen riesigen Goldnugget-Brocken im All für ihre Firma entdeckt und den Fund ordnungsgemäß gemeldet. Unsicher, ob sie die Provision tatsächlich werden einsacken können, beschließen sie, auf dem Asteroiden zu landen. Vielleicht liegt ja irgendwo etwas Gold lose herum. Doch nach einem überraschenden Angriff beginnt ein grausamer Wettlauf gegen Sonnstrahlung, Wahnsinn und Tod …
Die Mischung aus flapsigen Dialogen, darunter mit einer KI, und dem wahngetrübten Wahrnehmungen der hoffnungslosen Flucht machen den Reiz dieser Katastrophen-Story aus.
In Soulsave von Torsten Exter treffen wir auf den Menschenhändler Buster, der von Planet zu Planet zieht, um Material für Bordelle einzukaufen. Doch der Job geht nicht spurlos an ihm vorbei …
Die stark vom Horror der Opfer lebende Story bietet leider außer bereits oft gelesenen Versatzstücken keine neuen Ideen oder Ansätze.
Thorsten Küper schreibt seit Jahren fleißig gute Geschichten, die regelmäßig zweite Plätze abräumen. Der Hummer vor den Toren wurde zwar bisher nicht für irgendetwas nominiert, aber die Geschichte hat es trotzdem in sich.
Zunächst scheint es, als ob es einer Gruppe von Underdogs tatsächlich gelingt, ihrem verkorksten Leben eine neue Richtung zu geben. Sie konnten sich ihrer Bestrafung als Schwerverbrecher entziehen und versuchen den verkommenen Reichen in ihren Wohlstandsoasen zu zeigen, wo der Hammer hängt. Doch die Geschichte lehrt, auch Robin Hood hatte nicht immer Glück …
Zynisch und bitterböse, der Küperpunk bleibt sich und seinem Ruf treu.
Mit einer etwas anderen Art von Zynismus beschäftigt sich Christian Günther in seiner Geschichte Im ewigen Eis. Der einzige Überlebende einer Rettungsmission wird dafür gefeiert, das kostbare Schiff zurückgebracht zu haben. Doch Nolan spürt die tatsächlichen Lasten der Mission …
Die unprätentiöse Darstellung von Trauer und Schuld sind die Stärken dieser ebenfalls mit Standards spielenden Story.
Der erste, völlig aus dem Gewohnten ausbrechende Text dieser Anthologie stammt von Jakob Schmidt. Extremophile Morphologoiie beginnt mit einem gar nicht so trivialen Einkaufsbummel. Tobi ist auf der Suche nach einem neuen Körper für seine Freundin. Hannah. Die ertrank vor einigen Jahren, aber erst jetzt hat Tobi das Geld für den neuen Sleeve zusammen. Bei der Entscheidung helfen sollte eigentlich Tini, die quasi Sleevewechselsüchtig ist. Wer bereits Geschichten von Jakob Schmidt kennt, wird sich nicht wundern, dass Tobi schnell an die Grenzen seiner Fähigkeit stößt, eine Meinung entwickeln zu können. Im hochkomplizierten Geflecht von Eventualitäten und Alltagsbedrohungen schlingert Tobi verdammt kurvenreich auf eine dann doch noch recht entspannte Problemlösung zu …
Schräg, witzig und mit jeder Wendung hochkomprimierte SF; Schmidts Geschichte wurde zu Recht für den DSFP nominiert.
Gewonnen hat ihn aber Eva Strasser mit Knox. In der Tat ist die stilistisch überzeugende Geschichte mit ihrem emotionalen Plot gefälliger.
Aus der Sicht des geistig zurückgebliebenen und mit einem Wasserkopf geborenen Jungen Knox verfolgen wir die bedrückende Aussiedlung von Familien, denen das Leben auf der sterbenden Erde keine Zukunft mehr bietet und die dann auf dem Weg zu einem der Trabanten in der Zwischenstation Plutus stranden. Auch Knox Eltern bekommen keinen Weiterflug, wegen Knox. Während sie ihr Elend begreifen und daran zerbrechen, arrangiert sich Knox mit dem Leben auf der Station, denn er hat seiner Freundin Sophie etwas versprochen …
Happy Ends sind in einer Dysthopie-Anthologie eher unwahrscheinlich, aber »Knox« ist dann doch etwas zu vorhersehbar geraten.
Mit Topoi klassischer Piratengeschichten spielt Armin Rößler El Dorado. Während eines ganz normalen Transportfluges stößt Hans Aurel auf eine treibendes Wrack. Offensichtlich von Piraten geplündert. Und obwohl er seinen Auftrag aufs Spiel setzt, geht Aurel längsseits und stößt zwar nicht auf Schätze, aber auf zwei überlebende. Die bieten ihm dann doch die Möglichkeit, das sagenhafte El Dorado zu erreichen …
In jeder Hinsicht klassische Weltraumabenteuerunterhaltung, die kaum das lange Warten auf einen neuen Roman des Autors lindern kann.
Jan-Tobias Kitzel lässt in Erdenglück die Bergbauschiffe dreier konkurrierender Konzerne für einen Flug in ein neues Abbaugebiet zusammenarbeiten.
Ondo, Kapitän der »Hammer« sucht in seiner Freizeit nicht nur vergeblich nach außerirdischem Leben, er muss auch im Dienst eine verzweifelte Entscheidung treffen …
Kitzel packt jede Menge deprimierende Zukunftsaussichten in die kleine Story und bleibt doch sehr dicht an seiner Hauptfigur.
Auch Karsten Kruschel Echo & Schatten ist ganz dem dystopischen Flair der Anthologie verpflichtet. Das Pärchen Echo und Schatten lebt in einer Welt, in der man den Körper mit diversen technischen Ersatzteilen reparieren oder verbessern kann. Schatten ist nicht nur Erzieherin, sie produziert in ihrer künstlichen Brust auch seltene Chemikalien. Echo hingegen untersucht künstliche Körperteile auf ihre Verwertbarkeit. Sie wohnen in einem Hochhaus aus Maschendraht, zwar ärmlich, kommen aber eigentlich zurecht. Doch da macht Schattens Augenimplantat plötzlich Probleme …
Kruschel transportiert ein klassisches Horror-Sujet in eine Art Schrottzukunft und leistet dabei solide Arbeit.
In Peter Hohmanns Nichts muss sich ein weiterer Frachterkapitän mit atypischen Passagieren herumschlagen. Dass man manchmal zu seinem Glück gezwungen werden muss, ist die unerwartet positive Quintessenz der actionreichen Geschichte.
Sven Klöpping wählte für seine Story Kill me, Motherfuckers! eine ungewöhnliche Erzählweise. Kolban begleitet ein planetares Zivilisationsexperiment. Die auf dem Planeten Erid 1 lebenden Roboter halten sich für Menschen und Kolbans Aufgabe ist es, sie auf ihn wütend zu machen. Damit soll die KI der Roboter in Richtung Kreativität optimiert werden.
Immer wieder vermischt Klöpping die Erzählebenen und variiert auktoriale und Innensichten. Handlungsszenen wechseln mit erklärenden Passagen, alles in einem schnodderigen Tonfall gehalten, der die inhaltlich doch recht dünne Geschichte aufpumpt.
Das düstere Leben von Wanderhuren beschäftigt Andreas Winterer in Ein Schiff wird kommen. Der Titel weist den Weg in Richtung Romanze und so ein bisschen davon findet man auch in der Geschichte. Bordellteamleiterin Matea lernt den Priester Cherty kennen und mit ihm den verführerischen Geschmack der Erlösung.
Kaum an der Oberfläche kratzender Einblick in die Zukunft der Prostitution.
Fast dachte man, die Anthologie würde auch sanft ausplätschern, da bietet Kurzgeschichtenmeister Niklas Peinecke Manchmal enthalten sie Sirenen dann doch noch eine brecherhohe Storywelle.
TOS 0227 stammt vom Jupitermond Ganymed und ist so etwas wie ein Nachkomme intelligenter Raumschiffe, Reste der irdischen Zivilisation und immer auf der Suche nach Nahrung. Denn die konventionellen Methoden der Energiegewinnung brachen nach und nach weg, nicht zuletzt mangels Reparaturmöglichkeiten. Den letzten Rest gab der Technik eine Seuche: FREXX. Wie gut, dass Tos auf den verführerisch leckeren Wal stößt, der sich im Orbit des Jupiter verbirgt …
Eine Geschichte mit Rundumglücklichpaket. Knackiger Weltenbau, außergewöhnliche Figuren und ein berührender Plot.
Auch wenn die Anthologie nur wenige Höhepunkte unter den Geschichten aufzuweisen hat, besticht sie durch eine ganze Reihe herausragender Illustrationen, die entweder am Ende oder am Anfang einer Story zu finden sind. Gerade das Zusammentreffen oft sehr unterschiedlicher Zeichenstile macht einen großen Reiz der Anthologie aus. Von klassisch bis experimentell gibt es hier doch eine weitaus größere Bandbreite.
Alles in allem muss man aber den Herausgebern André Skora, Armin Rößler und Frank Hebben danken, dass sie die Kurzgeschichten-Fahne hochhalten und den Science-Fiction Autorinnen und Autoren eine Plattform geben, sich einmal so richtig düster auszutoben in jener schmutzigen, den Traditionen des Cyberpunk verpflichteten Zukunft. Was auch immer man darunter verstehen mag.
Fazit:
Science-Fiction Geschichten zwischen trostloser Zukunft, verkommenem Zivilisationsabfall und menschlicher Perversion. »Tiefraumphasen« bebildert den Cyberpunk mit lesenswerten Geschichten und beeindruckenden Illustrationen.
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