Wo nie ein Kind gewesen ist … (Autor: Bartholomäus Figatowski)
 
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Wo nie ein Kind gewesen ist … von Bartholomäus Figatowski

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Die literarische Science Fiction hat seit dem Erscheinen der Werke von Jules Verne und H.G. Wells ein besonderes Interesse an den sozialen Folgen des technischen Fortschritts erkennen lassen. Doch was bedeutet das für die spezifische Science Fiction für junge Leser, die nur selten literaturwissenschaftlich betrachtet wird? Inwieweit wird in neueren Kinder- und Jugendromanen ein Wechselverhältnis zwischen Kindheit, Technik und Gesellschaft imaginiert und wie lässt es sich qualifizieren? Wird Kindheit idealisiert oder überwiegen kritische Darstellungen, die sich an den tatsächlichen Umwelten von Heranwachsenden orientieren, sodass eine Lektüre im Kontext soziologischer Diskurse nahegelegt wird? Und schließlich: Welche Bezüge werden in der Kinder- und Jugendliteratur zum Motivschatz und der Erzähltradition der erwachsenenliterarischen Science Fiction sichtbar? Bartholomäus Figatowski legt seiner Studie die Annahme zugrunde, dass seit den 1980er-Jahren zunehmend Science-Fiction-Romane für junge Leser erschienen sind, die sich mit den heutigen Umwelten von Kindern und Jugendlichen im Zeichen des technischen und sozialen Wandels auseinandersetzen. Als Grundlage für die exemplarische Analyse aktueller Kindheits- und Jugendbilder dienen Figatowski Erzähltexte von Gudrun Pausewang, Isolde Heyne, Margaret Peterson Haddix, Andreas Eschbach, Charlotte Kerner, Bettina Obrecht, Gillian Cross, Andreas Schlüter und Terry Pratchett.

 

Rezension:

Die Inauguraldissertation von Bartholomäus Figatowski stammt aus dem Jahre 2010 und es ist dem Kid Verlag zu verdanken, dass sie nun einer breiteren Öffentlichkeit zu einem fairen Preis zur Verfügung steht.

 

Wo nie ein Kind gewesen ist … ist ein literaturwissenschaftliches Buch und nicht populärwissenschaftlich aufbereitet. Daraus ergeben sich einige Probleme, doch zunächst einige Worte zu Struktur und Aufbau.

 

Der erste Teil beschäftigt sich mit grundlegenden Begriffen zum Thema SF für Kinder und Jugendliche. Hier wird nicht nur definiert, was der Autor unter SF versteht, sondern auch herausgearbeitet, wann es sich um SF für Kinder und Jugendlich handelt. Diese Untersuchung liefert Nachdenkenswertes in Bezug auf Zielrichtung der Werke, etwa wenn hinterfragt wird, ob die Werke für Kinder geschrieben wurden, ob Kinder die Hauptfiguren sind oder ob sie die Erzählperspektive beanspruchen.

Weiterhin findet eine Abgrenzung zur SF für Erwachsene statt, um darauf aufbauend Handlungsschemata und Motive des Genres vorzustellen.

 

Zum Abschluss des ersten Teils gibt es ein hochinformatives Kapitel zur Geschichte der SF für Kinder und Jugendliche.

 

Bei der Lektüre muss man jedoch wie bereits erwähnt mit einigen Problemen kämpfen. So sind die Fußnoten im Text belassen worden, was in einer Doktorarbeit notwendig, für nichtakademische Leser jedoch fatal ist. Hier hätte man problemlos mit einem Anhang arbeiten und den Großteil der Kommentare und Buchzitate direkt in den Text einarbeiten können. Gerade die Erklärungen und Beispiele hochwissenschaftlicher Aussagen finden oft in den Fußnoten statt.

Ein weiteres Problem stellt die Prämisse des Textes dar, sich mit anderen wissenschaftlichen Arbeiten auseinandersetzen zu müssen. Dadurch wird oft gar nicht klar, wessen Meinung man eigentlich gerade liest, die des Autors oder die eines anderen Wissenschaftlers. Auch die Relevanz dieser Meinungen für die eigentliche Aussage wird dadurch unklar.

Gerade bei der Bewertung der verschiedenen Motive und pädagogischen Ziele fehlt eine deutliche Abgrenzung des Autors. Das wäre ganz besonders deshalb wichtig gewesen, weil er in der Werkauswahl für den zweiten Teil eine so explizite Richtung bevorzugte.

 

Vermutlich liegt dieser Auswahl die Notwendigkeit zu Grunde, Erwartungshaltungen an literarischer Qualität zu genügen. Doch das hätte man in dieser Ausgabe durchaus kommentieren können.

 

Die Gründe für die Zusammenstellung der Bücher lesen sich darum auch etwas fragwürdig.

Es geht grundsätzlich um die »Darstellungen beobachteter Kindheit und Jugend«. Also eine Sicht, die das Interesse der Kinder- und Jugendliteraturforschung bedient. Die Bücher sollen das Panorama einer veränderten Gesellschaft und den sozialen Wandel abbilden und somit den Geschmack gegenwärtiger soziologischer Kindheits- und Jugenddiskurse treffen bzw. ihn reflektieren. Letztlich ergibt sich die Intention, nur solche Bücher näher zu betrachten, die aus erzieherischen Gesichtspunkten gut für Kinder und Jugendliche sind oder dem entsprechen, was Germanisten spannend finden.

 

Die Frage stellt sich, für wen ist »Wo nie ein Kind gewesen ist …« Buch gedacht? Natürlich in erster Linie für Literaturwissenschaftler. Gleich danach dürften sich Lehrer freuen, bekommen sie besonders anhand des zweiten Teils eine Anzahl pädagogisch wertvoller Texte didaktisch aufbereitet serviert.

Schwieriger dürfte es für Eltern werden, die ihre Kinder mit SF infizieren wollen. Zwischen den analytischen Texten findet sich nur selten etwas, das sich mit dem Lese-Wert des Buches beschäftigt. Ob es spannend ist, Lesespaß bereitet oder cool aufgemacht ist.

Damit dürfte klar sein, dass auch Kinder und Jugendliche eher schwer Lektüreempfehlungen finden werden. Mich hätte nach den Buchvorstellungen als Kind nur der Pratchett gereizt.

Ein Vorteil ist aber auch für Schüler zu entdecken: Da zum Beispiel Gudrun Pausewangs Die Wolke bereits Unterrichtsstoff ist, finden Schüler hier sicherlich genügend Material für Hausaufgaben – gerade die Inhaltszusammenfassungen dürften sehr nützlich sein.

 

Was aber bietet nun der zweite Teil konkret?

 

Es werden neun Bücher näher vorgestellt, eingeteilt in drei Gruppen nach einer groben inhaltlichen Ausrichtung Katastrophe, Klone und Cyberspace. Erfreulicherweise sind überwiegend deutsche Werke zu finden, sodass man hier durchaus von ein löblichen Förderung deutscher SF reden kann.

Die Werke sind im einzelnen:

Gudrun Pausewang: »Die Wolke«

Isolde Heyne: Wenn die Nachtigall verstummt

Margaret Peterson Haddix: Schattenkinder

Andreas Eschbach: Perfect Copy

Charlotte Kerner: Blueprint – Blaupase

Bettina Obrecht: Designer-Baby

Gillian Cross: Auf Wiedersehen Cyberspace

Andreas Schlüter: Level 4 – Die Stadt der Kinder

Terry Pratchett: Nur Du kannst die Menschheit retten

 

Jedes Buch wird eingehend betrachtet. Es gibt eine Inhaltsangabe, Erklärungen zur Handlungsstruktur, die Erzählweise und die sprachliche Gestaltung werden dargestellt. Desweiteren wird die politische oder soziale Problematik des Buches kontextbezogen dargestellt und mit einigem Fachwissen unterfüttert. Es folgt eine didaktische Einordnung mit weiteren Untersuchungen zu erziehungswissenschaftlichen Themen, die in dem Buch zu finden sind. Den Abschluss bildet eine ausführliche Zusammenfassung der Buchanalyse.

Alle neun Betrachtungen sind fundierte Auseinandersetzungen mit dem Werk, im Rahmen der vorab festgelegten Schwerpunkte. Auch hier wäre eine Zusammenfassung von Text und Fußnoten mit Zitaten vorteilhaft gewesen. Ebenfalls schwierig sind die moralischen Einordnungen, da sich Bartholomäus Figatowski zwar bemüht, anhand von AutorInnen-Zitaten klarzustellen, wo ihre Intentionen liegen, jedoch böten sich hier genügend Ansatzpunkte um die thematisierten gesellschaftlichen Topoi zu hinterfragen. Gerade weil hier Texte mit erzieherischem Anspruch betrachtet wurden, hätte man klären können, ob sie diese Ansprüche auch erfüllen.

 

Neben diesen kritischen Worten muss man aber betonen, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit SF für Kinder und Jugendliche ist, die leider immer noch zu oft in die Schundecke gesteckt wird.

 

Fazit:

Ohne Zweifel ist »Wo nie ein Kind gewesen ist …« ein informatives Werk zum Thema Kinder und Jugend-SF. Es liefert sowohl Grundlagen zur Theorie, als auch umfassende Beispiele. Eine Umwandlung in ein populärwissenschaftliches Werk und die Einbeziehung von Texten, die den Spaß am Abenteuer fokussieren, ist wünschenswert.

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Buch:

Wo nie ein Kind gewesen ist …

Autor: Bartholomäus Figatowski

Taschenbuch: 441 Seiten

Kid Verlag, Juni 2012

Titelbild: Mark Salakowski

 

ISBN-10: 3929386356

ISBN-13: 978-3929386356

 

Erhältlich bei: Amazon

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Erstellt: 04.07.2012, zuletzt aktualisiert: 05.01.2024 16:23, 12615