Der Fluch des Colorado River hrsg. von Stefan Cernohuby und Wolfgang Schroeder
Rezension von Torsten Scheib
Rezension:
Western und Horror, zwei Genregattungen, die eigentlich nicht so wirklich miteinander können. Eigentlich. Denn bei genauerer Betrachtung greift zwangsläufig jener, mittlerweile fast schon inflationär verwendete Spruch von den Anziehungskräften zweier Gegensätze.
Schon zu Hochzeiten der legendären Pulp-Magazine vorwiegend US-amerikanischer Prägung wurden Geister, Magie und selbst griechische Gottheiten in den Wilden Westen verfrachtet, der fortan zum Weird West (dt. Seltsamer Westen) mutierte. Es blieb aber nicht dabei. Ob Autoren wie Stephen King, Joe R. Lansdale oder Vielschreiber Alan Dean Foster – sie alle haben mehr oder weniger Spuren in diesem höchst interessanten und sicherlich experimentellen Nebenzweig zweier Literaturgattungen hinterlassen. Und von Comics (DC’s Jonah Hex), der Flimmerkiste (Der wilde, wilde Westen und Die Abenteuer von Brisco County, Jr.) oder dem Kino (Blueberry oder – kein Witz – Billy the Kid vs. Dracula) wollen wir erst gar nicht anfangen! Insofern hat eine Weird West-Anthologie wie Der Fluch des Colorado River definitiv eine Berechtigung – und war als rein deutschsprachiges Produkt längst überfällig.
Allerdings werfen die beiden Herausgeber Stefan Cernohuby und Wolfgang Schroeder nicht irgendwelche Geschichten in ihren Kessel Buntes. Vielmehr orientiert sich jeder der insgesamt 19 Beiträge an einer Art Ausgangspunkt beziehungsweise Vorgeschichte. Nachfolgend der erklärende Klappentext:
»Als Angus McGlenn einen ersten Spatenstich in den trockenen Boden eines Berghangs setzt, ahnt er nicht, dass er die Geschichte des amerikanischen Westens für immer verändern wird. Auf der Suche nach Gold entdeckt er ein natürliches, im Fels verborgenes Wasserbassin. Schon seit Jahrhunderten ist dieser heilige See der Ute-Indianer das Gefängnis böser Geister. Doch davon ahnt der Goldschürfer nichts, als er das Wasser ins Freie leitet. Durch das Rinnsal entfliehen die einstigen Gefangenen in die Fluten des Colorado River ...«
En detail berichtet Stefan Cernohubys Eröffnungs- und gleichzeitig Titelstory, Der Fluch des Colorado River, davon. Ein solider Einstieg, dem jedoch ein bisschen das Besondere, der Kick fehlt.
Mit Kutsche nach Grand Junction meldet sich mit Alfred Wallon ein deutschsprachiger Western-Routinier zu Wort. Leider fühlt sich sein, zweifelsohne sehr flüssiger und lebendig verfasster Text eher wie eine Art Fingerübung an; leichte Kost inklusive eines etwas zu klischeehaften Versatzstücks, der im Grunde das gleiche Problem vorzuweisen hat wie Cernohubys Beitrag.
Nun liegt es an Chris Schlicht (die sich auch für die exzellenten Innenillustrationen verantwortlich zeichnet), die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Mit Kokopelli gelingt ihr dies ganz hervorragend. Sehr gekonnt dringt die Autorin – deren hervorragender Steampunk-Roman Maschinengeist unlängst bei Feder & Schwert veröffentlicht wurde – in die Mythen- und Geisterwelt diverser indianischer Völker ein und beweist erneut ihr Können. Sicherlich eines der Highlights dieses Bandes.
Jedoch muss sich Sabrina Železnýs Chili con Sangre keinesfalls dahinter verstecken. Ihre raffinierte und mit einem erfrischenden Augenzwinkern versehene Geschichte macht einfach Laune und beschert dem Leser einige amüsante, aber niemals lächerliche Momente.
Mit Tränensteine oder Die Geschichte von Jack Headshot steigern sich nochmals die Ansprüche. Der Grund? Vincent Voss, ein (noch) relativ neuer Autor, dessen Elaborate jedoch mit zum Besten zählen, was es in der deutschsprachigen Phantastik zu entdecken gibt. Hier lässt er die Zombies los: Rasant, spannend, actiongeladen. Als Belohnung gab es dafür – völlig zu Recht – den dritten Platz in der Kategorie Deutschsprachige Kurzgeschichte beim diesjährigen Vincent Preis.
Leider, leider dümpeln die beiden folgenden Texte, Die Schuld der Anderen von Marcel Klocke und Susanne Haberlands Das Greenhorn von Harte’s Pocket zu sehr im (guten) Durchschnitt, um nachhaltigen Eindruck zu schinden.
Danach wird es wieder gruselig. In Der Leuchtturm im Canyon von Alina Schad dreht sich alles um Gier, in diesem Falle der Gier nach Gold. Jedoch gibt es Wesenheiten, denen man die in der Erde verborgenen Schätze nicht entreißen sollte, wie der Goldgräber Jonathan am eigenen Leib erfahren muss …
Besonders in Sachen Atmosphäre kann Alina Schad überzeugen – sowie einem fast sehr gelungenen, fast schon Filmreif anmutenden Ende.
Wer oder was ist ein Ipinuk? In ihrer gleichnamigen Geschichte geht Bettina Ferbus diesem Wesen auf den Grund respektive ihr Protagonist Brian Cooper, der nach einem langen, zehrenden Ritt auf eine Blockhütte stößt und etwas anderes …
Eine routinierte Erzählung, die sich dennoch sehr gut liest.
Bei Christian Endres verhält es sich ähnlich wie mit Vincent Voss: Man erwartet einfach etwas Besonderes. Allein der Titel Tot oder lebendig macht neugierig. Trotz der gerade mal siebeneinhalb Seiten schafft es Endres prächtig, den Leser in seine Welt hineinzusaugen. Einfach toll, wie er bekannte Versatzstücke mit Horror- und Gruselelementen kombiniert.
Lucas Edel beackert daraufhin mit Kimama das gleiche Feld, jedoch nicht ganz so erfolgreich.
Schon nach wenigen Absätzen von André Wieslers Schwefel drängt sich folgende Frage auf: Verbeugt sich da einer vor seiner Romanheft-Vergangenheit? Sein Protagonist, der indianische Geisterjäger Doyadukubichi besitzt jedenfalls diverse Eigenschaften seiner prominenten Vorgänger – exklusive der Klischees. Dazu hat er es als Halbblut, der einen gefährlichen Geist zur Strecke bringen muss, nicht gerade einfach bei den weißen Siedlern …
Ein weiteres Highlight. Wiesler hält sich nicht lange auf und demzufolge ist seine Geschichte rasant und spannend bis zum Schluss. Sehr gut!
Auch Navina Kleemanns Sybills Vermächtnis kann durch einen gesunden Tritt aufs Gaspedal punkten. Die – vermeintliche – Erbschaftserschleichung samt übernatürlicher Komponente ist ein weiterer Höhepunkt.
Bei Dirk Radtkes Silberregen wird’s schmutzig, rau und authentisch. Ich wage mal die Behauptung, dass der Mann seine Spaghetti-Western aus dem Effeff kennt. Dies kommt seiner Goldrausch-Story sehr zugute, die ferner eines der besten Enden der hier vertretenen Kurzgeschichten vorweisen kann.
Claudia Cernohuby spielt daraufhin in Gut gemeinte Ratschläge mit einem immer wieder gerne genommenen Trope: dem Dorf samt düsterem Geheimnis. Jedoch zieht sie sich im Großen und Ganzen prächtig aus der Affäre. Eine gute, solide Story.
Doch wo waren bislang die Bankräuber? Ah, da sind sie ja – nämlich in Bernd Teubers Heilige Erde. Wäre da nur nicht der emsige Sheriff Tom Milligan, der den beiden flüchtigen Bensonbrüdern das Leben schwer macht. Und ein alter Ute-Indianer …
Eine weitere knackige Geschichte, die zwar kurzweilig ist, trotzdem gerne ein paar Seiten länger hätte sein können.
Einen sehr originellen und interessanten Ausgangspunkt gibt es in Heike Pauckners Douglas Creek zu bewundern, in der ein vermeintliches Heiltonikum ungeahnte und grausame Konsequenzen heraufbeschwört …
Auch diese Geschichte zählt zu den Besten innerhalb des Bandes. Pauckner weiß mit ihrer Idee ebenso umzugehen wie mit der Prosa. Gut gemacht!
Den Ratschlag Pokere nie mit Dämonen! von Mit-Herausgeber Wolfgang Schroeder sollte man durchaus ernst nehmen. Schade nur, dass auch diese Geschichte trotz ihres ansprechenden Themas nur bedingt zu gefallen weiß, da erneut besagter Kick fehlt.
Die finale Story, Schießerei am O.K. Corral, steuert kein Geringerer als Andreas Gruber bei. Der vielseitige und erfolgreiche österreichische Autor stellt auch hier erneut und auf beeindruckende Weise sein Talent und seine Versatilität unter Beweis. Absolut brillant, wie er die Geschichte von Tombstone, Wyatt Earp und einem ganz bestimmten Mediziner neu erzählt: schmutzig, düster, begründet, brutal – und ein bisschen untot.
Fazit:
Trotz der einen oder anderen mittelprächtigen Story weiß »Der Fluch des Colorado River« zu überzeugen. Die Mischung aus Western und gepflegtem Gruseln / deftigem Schrecken hebt sich erfrischend aus dem Wust der Konkurrenz hervor und darf gerne eine Fortsetzung erhalten. Sicherlich ein weiterer Beweis für unsere alles andere als langweilige Phantastik-Szene.
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