Die Große Streifenlüge. Inspiration Kate Bush (Herausgeber: Michael Haitel)
 
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Die Große Streifenlüge hrsg. von Michael Haitel

Inspiration Kate Bush

Anthologie

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Kate Bush ist unbekannt.

Oder Kult.

 

Kate-Bush-Fans gehören einer Gruppe von Menschen an, die … Kate Bush und ihre Musik lieben. Die beim Hören ihrer Songs Bilder sehen, Filme. Geschichten im Kopf entwickeln. Und aufschreiben.

 

Kate Bush, die Ende der 70er Jahre mit ihrem ersten Hit »Wuthering Heights«, der Vertonung einer alten englischen Gespenstergeschichte, bekannt und berühmt wurde, hatte immer einen Hang zu Texten, die etwas von gutem, altem englischen Horror in sich bargen, etwas Mysteriöses, etwas Seltsames, etwas schwer zu Beschreibendes, etwas Besonderes. Gemeinsam mit ihrer auch heute noch unübertroffen außergewöhnlichen Stimme hat Kate Bush eine Generation von Musikfans beeinflusst. Und eine Gruppe von Fans ihrer Musik hinterlassen, die Tag für Tag nach einem neuen Album darbt und lechzt.

 

Kate Bush ist Kult.

Diese Geschichten sind ihr gewidmet.

 

Rezension:

Kate Bush als Inspiration für eine Science-Fiction Anthologie zu wählen, erscheint irgendwie plausibel, wenn man bei der Erwähnung ihres Namens etwa an das Video zu Cloudbusting denkt.

Nach den Anthologien Hinterland (David Bowie) und Enter Sandman (Metallica) ist die Idee, sich von Songs inspirieren zu lassen, also immer noch ertragreich. Dabei spürt man in den Storys von Die Große Streifenlüge sehr deutlich, dass Popsongs einen sehr persönlichen Weg in Herz und Hirn der HörerInnen finden.

 

Die Auftaktstory Agnes von Tedine Sanss handelt von einer jungen Frau in einem viktorianischen Steampunk-Universum. Es ist die Welt des 19. Jahrhunderts. Auch die Planeten des Sonnensystems richten sich nach den Vorstellungen jener Zeit, sind also bewohnt und bewohnbar. Die Menschen können mittels Sonne, Äther und Segelschiffen zu Merkur und Venus reisen. Agnes ist die junge Frau eines Missionars, der von seiner Gemeinde zum Merkur entsandt wurde, den dortigen Wilden geistiger Beistand zu sein.

Allerdings nimmt das Paar keinen Äthersegler, sondern ein abgewrackt scheinendes Dampfschiff. Während der Reise lernt Agnes eine Menge. Nicht nur über das Reisen im Äther sondern auch über ihren Mann und den Geschäften des smarten Kapitäns.

Die typisch romantische Steampunkstory beruht auf den Song Coral Room und stellt die Emanzipation der Hauptfigur in den Mittelpunkt, ohne dabei die bekannten Pfade zu verlassen oder den eigentlich sehr interessanten Weltenbau näher zu beleuchten.

 

The Saxophone Song gehört zu den bekanntesten Stücken Kate Bush’s. Enzo Asui formt daraus in Der Preis der Pianistin eine Geschichte über die Wirkung von Musik. Interessant ist hier weniger die Handlung als die Extrapolation der Zukunft. Eine Behörde, die unterschwellige Werbung in Musik aufspüren soll, erscheint gar nicht einmal so abwegig.

 

Karsten Beuchert ist mit zwei Storys vertreten, also nicht wundern, wenn einem der Inspirationstext am Ende von Ägypten bekannt vorkommt, es ist derselbe wie bei Atmen.

Die Post-Doomsday Story beleuchtet das Schicksal eines Pärchens, dass durch eine Quantenbombe zusammengeschmolzen wurde. Feinfühlig erzählt, aber zu kurz, um mehr als ein Schlaglicht zu sein.

 

Die dichteste und auch komplexeste Story der Anthologie stammt von Ralph Doege. Der Regenmacher nimmt sich Cloudbusting vor und verknüpft den Song mit der Biographie von Wilhlem Reich. Doege hat seinen jugendlichen Protagonisten mit bewundernswerter Leichtigkeit im Griff und schafft es, dessen Diskriminierung als Sohn eines Japaners in den USA der 50er Jahre eindringlich zu schildern. Aber auch Reichs Theorien zur Orgonenergie baut er organisch in die Geschichte ein. Ganz großes Theater, dass sich neben dem Video zum Song nicht zu verstecken braucht. Definitiv das Glanzstück der Anthologie.

 

Ähnlich gut ist Gabriele Behrends Lichtgestalten, basierend auf dem Song Wow. Zwar spielt die Story mit bekannten Szenarien einer Medien-zentristischen Zukunft, in der man aus dem Unterschichten-Ghetto nur über einen medialen Erfolg ausbrechen kann, aber die Autorin variiert das Thema doch ausreichend genug, um einen frischen Eindruck zu hinterlassen. Auch gelingt es ihr, den dystopischen Charakter bis zum Schluss durchzuziehen.

 

Gottes Auge von Manfred Lafrentz beginnt zunächst mit einem spannend klingenden Steampunk-Weltenbau, aber wie so oft in diesem Teilbereich der Phantastik kann auch er daraus keine funkelnden Ideen schöpfen, die zu einer besonderen Handlung führten. Das als Gotteserlebnis beschriebene Finale ergibt im Zusammenspiel mit dem Rest der Story keinen Sinn und beendet sie fast willkürlich.

 

Auch Ägypten, die zweite Story von Karsten Beuchert, bietet keine klassische Handlung. Vielmehr wird davon berichtet, wie etwas noch nicht geschieht. Als Beginn einer Geschichte über das Wiedererwachen ägyptischer Götter bestimmt brauchbar. Doch so ganz alleine befriedigt es die Neugierde nicht.

 

Die SF ist reich an Storys über Cyborgs, die ihre Schöpfer überleben und sinnlos gewordenen Programmen folgen. Abel Inkun scheint das Thema so zu lieben, dass er es wie schon in Mutter sagt aus der Anthologie Enter Sandman auch in Geboren am 20. Juli aufnimmt. Vielleicht sind es auch Teile einer größeren Geschichte. Bisher ist es dem Autor aber noch nicht gelungen, dem Stoff etwas Neues abzugewinnen.

 

Mit dem Song Jig of life bot sich Carla Heinzel bereits thematisch eine Zeitreisegeschichte an. Mein Teil deines Lebens ist tieftraurig, wenn auch mit zynischem Ton erzählt. Schade ist, dass die Ursache des festgeschriebenen Leids nicht näher beleuchtet wird.

 

Auch die letzte Geschichte der Anthologie ist irgendwie traurig, wenn auch mehr in Richtung Melancholoie. VoynixSF erzählt in Brân von den Bemühungen eines Überlebenden, in den Trümmern Londons die Einsamkeit zu vertreiben. Anrührend und eindringlich gelingt es dem Autor, eine postapokalyptsche Atmosphäre zu schaffen, die man fast greifen kann. Ein abschließendes Highlight von epischer Schönheit.

 

Lothar Bauer wählte für das Cover ein Bild der jungen Kate Bush, wunderschön und traurig zugleich, die Streifen des Titels aufnehmend. Ein Hingucker!

 

Fazit:

Zwischen viktorianischem Steampunk und kybernetischer Postapokalypse bewegen sich die Geschichten, denen Songs von Kate Bush Inspiration waren. Nicht alle können überzeugen, aber ein Grund, sich mit den alten Platten und CDs zurückzuziehen, sind auch sie allemal. Und mit Ralph Doeges »Der Regenmacher« fand ein ganz besonderer Text den Weg zu seinen LeserInnen.

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Buch:

Die Große Streifenlüge. Inspiration Kate Bush

Anthologie

Herausgeber: Michael Haitel

Reihe: AndroSF 32

p.machinery, August 2013

Taschenbuch, 180 Seiten

Cover: Lothar Bauer

 

ISBN-10: 3942533693

ISBN-13: 978-3942533690

 

Erhältlich bei: Amazon

Inhalt:

  • Tedine Sanss: Agnes

  • Enzo Asui: Der Preis der Pianistin

  • Karsten Beuchert: Atmen

  • Ralph Doege: Der Regenmacher

  • Gabriele Behrend: Lichtgestalten

  • Manfred Lafrentz: Gottes Auge

  • Karsten Beuchert: Ägypten

  • Abel Inkun: Geboren am 20. Juli

  • Carla Heinzel: Mein Teil deines Lebens

  • VoynixSF: Brân


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Erstellt: 20.03.2014, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 13480