Die Weltenschöpfer Band 1 (Autor: Charles Platt)
 
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Die Weltenschöpfer Band 1 von Charles Platt

Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre war die Science-Fiction-Literatur in den USA und England auf einem Höhepunkt angelangt. Es wurde nicht nur viel geschrieben, sondern auch viel verlegt, gekauft und gelesen. Damals gab es noch jede Menge Magazine, die Kurzgeschichten veröffentlichten (u. a. sorgte das gut zahlende Prestigeobjekt OMNI von Penthouse-Gründer Bob Guccione für Furore).

 

Die Honorare für Bücher von Bestseller-Autoren wie Isaac Asimov, Arthur C. Clarke oder Robert A. Heinlein erreichten neue Dimensionen. So erhielt beispielsweise Heinlein für ein ungeschriebenes Buch ein Garantiehonorar von 500.000 US-Dollar. Dies kommentierte sein Kollege Frederik Pohl mit den Worten: »In den Dreißigern hätte man mit einer halben Million zehn Jahre lang sämtliche Geschichten aller lebenden Science-Fiction-Autoren bezahlen können.«.

 

Dieses Zitat und viele andere hochinteressante Aussagen und Gedanken sind zu finden in dem ersten Band der Reihe Die Weltenschöpfer. Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren von Charles Platt, der im Berliner Kleinverlag Memoranda erschienen ist. Kurioserweise ist darin keine einzige Autorin vertreten.

 

Das Buch versammelt Essays, die alle jeweils auf einem persönlichen Gespräch mit SF-Schriftstellern basieren. Platt schrieb damals selbst SF und interessierte sich darüber hinaus nicht nur für die Menschen hinter den Geschichten, sondern auch für das Schreiben von Science Fiction und die Branche oder das Business an sich.

 

Im Original sind 1980 und 1983 zwei dieser Dream-Makers-Bücher erschienen, die fast 40 der bekanntesten und wichtigsten SF-Schriftsteller porträtierten. Nur zwei Personen haben nach der Anfrage einem Interview nicht zugestimmt: Robert A. Heinlein und Ursula K. Le Guin. Dazu Platt im Vorwort: »Heinlein gab nie Interviews, und seine Frau schickte mir einen schnippischen Brief und schalt mich, dass ich überhaupt auf so ein dreistes Ansinnen kommen könnte. Le Guin gab keine Erklärung.« Für den zweiten Band nahm Platt bei Le Guin einen neuen Anlauf, aber sie sagte immer noch Nein und ihre Erklärung war diesmal, dass sie dazu neige, durch Interviews »gestört und desorientiert« zu werden.

 

Auf Deutsch erschien der erste »Dream-Makers«-Band bereits 1982 unter dem schönen Titel Gestalter der Zukunft als Hardcover im Hohenheim Verlag. Diese Neuedition bei Memoranda ist in mehrfacher Hinsicht etwas Besonderes. Erstmals erscheinen alle Texte komplett auf Deutsch, verteilt über drei Bände.

 

Darüber hinaus hat Charles Platt jeden Beitrag durchgesehen und mit neuen Kommentaren ergänzt. Die meisten der Interviewten sind inzwischen verstorben, so hat man nicht nur eine Bestandsaufnahme dieser SF-Hochphase, sondern teilweise auch einen Bezug auf die Zeit danach.

 

Platt ist der Typ von Journalist, der auch schon mal kritische Fragen stellt oder Stellung bezieht. Berüchtigt waren auch seine Rezensionen. So behauptete er in einem hochnäsigen Verriss des Buchs Hammer’s Slammers, einer Sammlung von David Drakes Militär-SF-Geschichten, dass Drake nicht so einen »üblen Voyeurismus« geschreibselt hätte, wenn er dem Krieg wirklich ins Auge gesehen hätte. Drake, ein Vietnamveteran, antwortete damals nicht direkt, sondern nahm das zum Anlass, in seinen Geschichten eine verachtenswerte Figur mit dem Namen »Platt« einzuführen.

 

Der erste Autor, den Platt interviewte, war Isaac Asimov. Platt gibt zu, dass er damals noch etwas unerfahren und möglicherweise leicht befangen war. Denn er hat bestimmte Fragen nicht gestellt, die man einfach hätte stellen müssen. Als Beispiel führt er Asimovs eingebildete Art und sein Verhältnis zu Frauen an. Unter dem Pseudonym »Dr. A« hat Asimov ein ziemlich peinliches Werk mit dem Titel The Sensuous Dirty Old Man verfasst, welches Ratschläge im Umgang mit Frauen gibt, die selbst für damalige Standards nicht mehr akzeptabel waren. Das Buch hatte ich mir interessehalber vor einigen Jahren antiquarisch besorgt. Es ist zwar mehr oder wenig witzig geschrieben, aber das transportierte Frauenbild ist inakzeptabel und macht einen stellenweise sprachlos. In seinen zusätzlichen Anmerkungen, die Platt fast 30 Jahre nach Asimovs Tod (und fast 40 Jahre nach dem Interview) in dem vorliegenden Buch ergänzt, demontiert er das Bild des Menschen Asimov nachträglich.

 

Auch Ben Bova, der damals Chefredakteur für »OMNI« war, nach fast sechs Jahren in der gleichen Position bei ANALOG, kommt nicht so gut weg. Zumindest aus dessen Sicht. Als Platt ihm den Text zur Überprüfung schickte, zog Bova seine Erlaubnis zurück. Der Bova-Text wurde bislang nur ein einziges Mal veröffentlicht, und zwar in der britischen Erstausgabe, da diese bereits im Druck war und nicht mehr gestoppt werden konnte. Andere Ausgaben und Nachauflagen erschienen ohne dieses Porträt. Umso schöner, dass es in der Memoranda-Ausgabe zu lesen ist.

 

Und bei Harlan Ellison gibt es fast 15 Seiten Anmerkungen, in denen Platt kein gutes Haar an dem kontroversen Autor lässt, den er als aggressiven Schläger darstellt. Das Ganze wirkt fast schon wie eine nachträgliche Abrechnung mit einem Menschen, der sich nicht mehr wehren kann und hierlässt unterm Strich einen zwiespältigen Eindruck.

 

Bereits der erste Band bietet eine gute Sicht auf das »Who’s Who« der SF-Schriftsteller aus USA und Großbritannien aus dieser spannenden Zeit. Neben den bereits genannten finden sich: Thomas Disch, Kurt Vonnegut jr., Norman Spinrad, Philip K. Dick, Alfred Bester, A.E. van Vogt und viele andere mehr.

 

Die deutsche Ausgabe lässt in ihrer inhaltlichen Vollständigkeit keine Wünsche offen. Man könnte höchstens bemängeln, dass eine Sache fehlt: Fotos der vorgestellten Autoren. Das gehört meiner Ansicht nach einfach dazu, dass man hier zu jedem Porträt mindestens ein Foto abdrucken müsste. Die alte Hohenheim-Ausgabe konnte damit immerhin glänzen und es wäre ein leichtes gewesen, hier jeweils eine Bebilderung wie bei den jeweils vier Buchtitelbildern pro Autor mitzugeben. Auch die Literaturhinweise auf die deutschen Übersetzungen sind nicht immer vollständig oder beziehen sich teilweise auf alte deutsche Ausgaben, wo es doch neuere gibt (wie z. B. von Dicks Eine andere Welt wird die Heyne-Ausgabe von 1977 genannt, wo es doch bessere Versionen oder aktuell eine Neuauflage bei Fischer Klassik gibt).

 

Dessen ungeachtet ist für mich Band 1 der »Weltenschöpfer«-Reihe eines der besten Bücher zum Thema »SF-Literatur«, das seit langem auf Deutsch erschienen ist. Wer sich dafür interessiert, was hinter den Kulissen passiert, wer die Menschen sind, die SF geschrieben haben oder schreiben, ist hier goldrichtig. Eine wahre Perle, die so faszinierende Lektüre bietet wie ein guter Roman. Ein Must-Have für jede SF-Sammlung.

 

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Buch:

Die Weltenschöpfer Band 1

Original: Dream Makers, 1980 und 1983

Autor: Charles Platt

Taschenbuch, 356 Seiten

Memoranda, 12. November 2021

Titelillustration: S. Beneš

Übersetzer·innen: Frank Böhmert, Andreas Fliedner, Horst Illmer, Bernhard Kempen, Matita Leng, Jasper Nicolaisen, Michael Plogmann, Erik Simon, Simon Weinert

 

ISBN-10: 3948616604

ISBN-13: 978-3948616601

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B09K79KCZ5

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 04.12.2021, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 09:19, 20374