Interview: Anja Kümmel
 
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Interview: Anja Kümmel

Redakteur: Ralf Steinberg


 

Anja Kümmels Roman Träume digitaler Schläfer lässt sich nicht bequem in eine Schublade stecken, vielmehr bietet er Genreübertretungen, die im besten Sinne phantastisch sind.

Da das Buch jede Menge Diskussionsstoff enthält, baten wir die Autorin, uns einige Fragen zu beantworten.

 

Fantasyguide: Für unsere Leserinnen und Leser ist der Name Anja Kümmel vielleicht noch kein Begriff. Was sollten sie über Dich wissen?

 

Anja Kümmel: Die hard facts stehen in meiner Biographie! :D

Deshalb nur so viel: Das Schreiben ist seit jeher mein bevorzugtes Ausdrucksmittel. Vor allem Romane kommen dabei heraus, aber ab und an auch Kurzprosa, Lyrik oder Songtexte. Ich lasse mich ungern auf bestimmte Themen oder Genres festlegen.

Nicht nur das Lesen beeinflusst mein Schreiben, auch Bildende Kunst, Theater, Musik, Film. Anleihen der Licht-/Schattenwelt von Metropolis bis Blade Runner, die kollektiven (Alp-)Träume von Francis Bacon bis David Lynch, Pedro Almodóvars queere Staffage – all das findet sich irgendwo in meinen Texten wieder.

 

Fantasyguide: Juli Zeh lehnte die Nominierung für einen SF-Preis ab – wie stehst Du zum Label/Stigma/Schublade Science Fiction?

 

Anja Kümmel: Ich würde einen solchen Preis sehr gern entgegennehmen!

Zwar ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich nicht »nur« SF schreibe, aber ich wehre mich gleichzeitig gegen das Vorurteil, dass SF ausschließlich literarisch minderwertige Genre-Literatur darstellt. Natürlich gibt es eine Menge literarisch nicht ernstzunehmende SF. Aber eben auch einige gute Werke, die vom Feuilleton teilweise auch akzeptiert werden – dann allerdings nicht unter dem Label SF, sondern einfach als »Literatur«!

Es liegt wahrscheinlich viel an negativ besetzten Begrifflichkeiten. Deshalb spreche ich, wenn ich über TDS rede, lieber von »Zukunftsdystopie« oder einem »Roman mit SF- und historischen Anteilen«, um nicht sofort in einer Schublade zu landen.

 

Fantasyguide: Ist SF für Dich ein spezielles Medium der Provokation, so eine Art dreckiger Literaturpunk, der das Feuilleton erschreckt?

 

Anja Kümmel: Was das Genre angeht, provoziere ich gar nicht so sehr absichtlich. Ich schreibe einfach über das, was mich interessiert. Oftmals lande ich damit in Ecken, die das Feuilleton abstößt: Queere Themen, Gothic, Horror, oder eben SF. Ich weiß, dass das nicht unbedingt hilfreich ist. Aber ich möchte mich dadurch nicht einengen lassen. Irgendwann werden die Verlage und Kritiker einsehen müssen, dass man über Zukunftswelten, Cyborgs, S/M-Beziehungen oder schwule Vampire auch ernstzunehmend schreiben kann!

 

Fantasyguide: Im SF-Fandom konnte Dein Buch bisher kaum Aufmerksamkeit erringen. Interessiert Dich das überhaupt?

 

Anja Kümmel: Mir ist daran gelegen, möglichst viele Leser_innen aus den unterschiedlichsten Bereichen zu gewinnen! Gerade bei einem genre-übergreifenden, dabei aber nicht besonders mainstream-tauglichen Werk ist es wichtig, sich nicht auf ein Zielpublikum zu beschränken.

Das Problem liegt wohl eher darin, dass thealit ein kleiner Verlag mit sehr begrenzten Ressourcen ist, so dass das Buch generell kaum Aufmerksamkeit bekommt. In der SF-Gemeinde haben wir versucht, so viel Werbung wie möglich zu machen, und die Resonanz war bislang recht gut. Der Otherland-Laden in Berlin vertreibt mein Buch, ich wurde zu einer SF-Con eingeladen …

 

Fantasyguide: Dein Roman »Träume digitaler Schläfer« erschien im »queer lab« des thealit Verlags. Was müssen Leserinnen und Leser von queer wissen?

 

Anja Kümmel: Queer bezeichnet Personen oder Handlungen, die von der Norm abweichen. Im englischen Sprachraum wurde es lange Zeit als Schimpfwort benutzt (ähnlich wie »schwul«). Im Lauf der 1980er Jahre wurde queer von den so Bezeichneten positiv umgedeutet und dient seither als eine Art Sammelbecken für Menschen und Praktiken, die in irgendeiner Weise von der Heteronormativität abweichen. Also Lesben, Schwule, Transgender, aber auch Asexuelle, BDSMler oder Menschen, die sich gar nicht auf ein Geschlecht oder eine sexuelle Identität festlegen wollen.

Identität, Begehren und Sexualität werden als fließend und wandelbar verstanden. In meinem Roman wird dies in den Träumen oder auch im virtuellen Raum deutlich.

Ein »queerer Text« überschreitet Grenzen, sprengt Genres und verquert die Narration – so ungefähr könnte das Motto der »queer lab«-Reihe lauten.

 

Fantasyguide: Grenzt sich queer von Bewegungen wie Feminismus ab? Welche Bedeutung spielt das?

 

Anja Kümmel: Queer grenzt sich von bestimmten Ausprägungen des Feminismus ab, insbesondere von differenzfeministischen Positionen. Diese gehen davon aus, dass es essentielle, auch biologisch begründete Unterschiede zwischen den Geschlechtern gibt, die wiederum »typisch weibliche« Eigenschaften hervorbringen.

Queer knüpft an den Gleichheitsfeminismus (geprägt durch Simone de Beauvoir) an und trägt ihn noch einen Schritt weiter, indem der Queerfeminismus das »Frausein« als Identitätskategorie zurückweist. In der Frauenbewegung wurden durch das Beharren auf die Kategorie »Frau« immer wieder bestimmte Personengruppen ausgeschlossen, wie z.B. schwarze Lesben, Menschen mit Behinderung, Transfrauen. Der Queerfeminismus ist offener und gleichzeitig inklusiver. Die politischen Ziele sind dabei ähnlich wie im Gleichheitsfeminismus.

 

Fantasyguide: Ich sah beim Lesen den Schwerpunkt des Romans nicht unbedingt bei Emanzipation, sondern eher in der Umschlingung zweier verwandter Seelen; in Liebe?

 

Anja Kümmel: In meinen Augen geht es ganz zentral um beides. Emanzipation hat ja nicht nur mit der Frauenbewegung zu tun, sondern bedeutet ganz allgemein »Selbstermächtigung«. Die Figuren in TDS müssen, um sich selbst annehmen und »lieben« zu können, erst einmal diesen Prozess der Selbsterkenntnis und Selbstermächtigung durchlaufen. Erst dadurch wird die »Umschlingung« einer anderen Seele überhaupt möglich.

Emanzipation beinhaltet die Bewusstmachung von Machtmechanismen, wie z.B. die Diskriminierung als Frau, als Jüdin, oder als überwachtes Subjekt in einem totalitären Staat. Aber auch innere Zwänge und Verhaltensmuster, die ständig wiederholt werden, einfach weil keine anderen Vorbilder oder Denkstrukturen existieren, müssen überwunden werden. Sowohl Emanzipation als auch Liebe bedeuten letztendlich, sich auf das Neue, Unbekannte einzulassen!

 

Fantasyguide: Gibt es in »Träume digitaler Schläfer« überhaupt einen Subtext als Botschaft oder als Rätselspiel, um den Intellekt anzuregen?

 

Anja Kümmel: Der Roman ist auf verschiedenen Ebenen angelegt. Zunächst kann man ihn einfach als – hoffentlich spannende – Reise durch fremde Welten lesen und mit den Protagonisten mitfiebern.

Steigt man etwas tiefer ein, gibt es in der Tat verschiedene Subtexte.

Zum einen stecken natürlich viele philosophische Überlegungen im Text, die aus dem poststrukturalistischen Umfeld, aber auch aus den Religionswissenschaften oder der Soziologie kommen. Zum Beispiel fragen sich die Figuren immer wieder, wie es um die Integrität des Subjekts bestellt ist. Also: Was passiert mit dem »Ich«, wenn ich verschiedene Realitätsebenen durchquere?

Wer nur auf »Action« aus ist, fühlt sich durch diese kontemplativen Passagen und theoretisch aufgeladenen Dialoge vielleicht im Lesefluss gestört. Aber das habe ich in Kauf genommen, weil mir diese tiefere Bedeutungsebene eben auch wichtig ist.

Zum anderen habe ich immer wieder kleine Hints eingebaut, die auf die Parallelen der verschiedenen Realitätsebenen und Identitäten hinweisen … Ich könnte mir vorstellen, dass sich da der »Aha-Effekt« erst beim zweiten Lesen einstellt!

 

Fantasyguide: Dein Zukunftsbild der Geschlechter geht vom Wegfall signifikanter Merkmale aus. Findest Du eine solche Entwicklung zwingend notwendig oder vielleicht auch angsteinflößend?

 

Anja Kümmel: Was wir als typisch »weiblich« oder »männlich« wahrnehmen, sind ja in der heutigen Welt erst einmal nicht die Genitalien, sondern vor allem Dinge wie Kleidung, Frisur, Stimme, Verhalten etc.

Ich halte ein Aufbrechen der Zweigeschlechterordnung auf jeden Fall für wünschenswert. Das muss aber nicht unbedingt auf einen »Wegfall signifikanter Merkmale« hinauslaufen. Ich selbst finde Androgynität sehr anziehend, aber genauso auch bewusste Inszenierungen von Weiblichkeit oder Männlichkeit. In meiner Wunsch-Zukunft könnte es auch eine Vervielfältigung der Geschlechter geben, d.h. eine totale Vermischung typisch »weiblicher« und »männlicher« Merkmale.

 

Fantasyguide: Führt eine Zersplitterung der Sexualität nicht zu Kommunikationsproblemen und zu Missverständnissen mit den Leserinnen und Leser, die ja von ihrem eigenen Geschlechtsempfinden ausgehen?

 

Anja Kümmel: Für mich sind »Zersplitterung der Sexualität« und Geschlechtslosigkeit nicht unbedingt dasselbe (s.o.). Es ist allerdings wahr, dass man in einer Welt, in der es keine »Männer« und »Frauen« mehr gibt, natürlich auch nicht mehr von Heterosexualität als Norm ausgehen kann.

Ich habe bewusst darauf verzichtet, die geschlechtslosen Körper genau zu beschreiben, weil ich die Vorstellungen in den Köpfen der Leser_innen nicht zu sehr auf ein bestimmtes Bild festlegen wollte.

Von einer geschlechtslosen Welt zu lesen ist sicherlich für die meisten gewöhnungsbedürftig, zumindest am Anfang. Aber das Fremde ist ja auch gerade der Reiz an SF. Man muss sich auf eine Welt einlassen, die ganz anders funktioniert als die gewohnte.

 

Fantasyguide: Mir fielen Ähnlichkeiten zu Die steinernen Götter von Jeanette Winterson auf – gibt es neben dem im Nachwort erwähnten Orlando von Virginia Woolf auch aktuelle literarische Anregungen für Deinen Roman?

 

Anja Kümmel: In der Entstehungszeit habe ich einerseits viel Cyberpunk von William Gibson & Co. gelesen und entsprechende Filme angeschaut – was man dem Setting sicher auch anmerkt –, andererseits feministische SF von Marge Piercy, Joanna Russ, Margaret Atwood etc. gelesen. Daraus entstand die Idee, diese Elemente miteinander zu verknüpfen und gleichzeitig ein wenig zu »modernisieren«.

Mit aktueller deutscher SF kannte ich mich zu dem Zeitpunkt leider wenig aus. Höchstens die Cyberpunk-Romane von Myra Çakan kann ich noch als Einfluss nennen.

Die Idee für den Renaissance-Teil kam mir während eines Studienaufenthalts in Madrid, als ich gerade mit einer Hausarbeit über Juana la Loca beschäftigt war. Daraufhin wollte ich mehr über das Leben von Mädchen/Frauen in dieser Umbruchphase schreiben.

Der Paris-Teil ist vielleicht ein wenig durch die Tagebücher der Anaïs Nin inspiriert.

 

Fantasyguide: Und was an »Orlando« findest Du für unser heutiges Leben bedeutsam und für Dich selbst?

 

Anja Kümmel: Die Idee potentieller Unsterblichkeit finde ich sehr faszinierend … Und natürlich das Spannungsfeld von Wandelbarkeit und Konstanz einer Identität über die Zeiten hinweg. Wie sich Orlando durch die verschiedenen Epochen, Länder, Kulturen und Geschlechterrollen bewegt, ist für mich eine erfrischende Version der Reinkarnationsidee. Gleichzeitig wird das Gewohnte dadurch in Frage stellt, dass bei jeder neuen »Wiedergeburt« ganz andere Erwartungen an eine Figur gestellt werden, die sich im Prinzip immer gleich »fühlt«. Das wollte ich unbedingt aufgreifen und vertiefen.

 

Fantasyguide: War es schwer, für die Figuren die neutrale Form »es« zu verwenden?

 

Anja Kümmel: Anfangs hatte ich sehr mit dem Problem zu kämpfen, wie ich in einer durch und durch vergeschlechtlichten Sprache über eine geschlechtslose Welt schreiben sollte. Dann habe ich mich für das neutrale »es« entschieden, und erstaunlicherweise habe ich mich sehr schnell daran gewöhnt.

Ich glaube, da ging es mir beim Schreiben ähnlich wie den meisten meiner Leser_innen. Auf anfängliche Irritation – »Es? Das können doch keine Menschen sein, das sind bestimmt Roboter …« – folgte eine rasche Gewöhnung. Das war eine interessante Erfahrung – zu merken, wie sehr vergeschlechtlichte Sprache und vergeschlechtlichtes Denken reine Gewohnheitssache sind!

 

Fantasyguide: Sprache und darin ausgedrückte sexuelle Diskriminierung scheinen eine Glaubensfrage zu sein. Interessieren Dich die sprachwissenschaftlichen Hintergründe, etwa die Diskussion um das »generische Maskulinum«?

 

Anja Kümmel: Mit den sprachwissenschaftlichen Hintergründen habe ich mich noch nicht wirklich beschäftigt. Ich versuche so viel wie möglich die Unterstrich-Methode zu verwenden, um alle Geschlechter einzubeziehen. Ich bin darin aber auch nicht konsequent, sondern lasse mich eher von der Sprachästhetik leiten.

 

Fantasyguide: Die Pariser Handlungsebene klingt auto- zumindest aber biographisch. Sind Gertrude Stein oder Gisèle Freund mehr für Dich als nur Namen?

 

Anja Kümmel: Genau wie Emrys hätte ich die Protagonist_innen der Left Bank-Szene sehr gerne erlebt und kennengelernt! Ich habe viel über sie gelesen, und so habe ich diese Persönlichkeiten als eine Art Sehnsuchtsmotiv mit einfließen lassen.

Außerdem war es mir wichtig zu zeigen, dass es schon in der Vergangenheit immer wieder an bestimmten Orten sehr lebendige, offene Gemeinschaften gab, in denen viel künstlerische und sexuelle Freiheit möglich war.

 

Fantasyguide: Einige Historiker bezweifeln das »Recht der ersten Nacht« und gehen von nicht legitimierten Einzelfällen aus. Du aber lässt damit die Kastilienebene platzen, obwohl es bereits ausreichend Gewalt darin gab. Warum hast Du Dich für so ein ambivalentes Fanal entschieden?

 

Anja Kümmel: Es ging mir gar nicht so sehr um das »Recht der ersten Nacht«. Ohne zu viel zu verraten: die Aufdeckung des Geheimnisses hat mit den perversen Ritualen eines bestimmten Ordens zu tun. Ob dies nun ein Einzelfall ist oder nicht, sei dahingestellt.

Beim Schreiben habe ich mich allerdings auch gefragt, ob die Darstellungen vielleicht übertrieben sein könnten. Zur Sicherheit habe ich nochmal recherchiert und den Eindruck gewonnen, dass die Wirklichkeit mindestens so brutal gewesen sein muss wie in meiner Fiktion.

Z.B. wurden Mädchen schon mit sieben Jahren als reif für die Ehe angesehen. Sexueller Missbrauch an Kindern gehörte zum Alltag. Und dass viele religiöse Orden Bordelle betrieben, habe ich auch nicht erfunden!

 

Fantasyguide: Die Träume bewirken eine Fragmentierung der Persönlichkeiten. Siehst Du das als reines Stilmittel oder als Ausdruck einer eher psychoanalytischen Analyse der Figuren?

 

Anja Kümmel: Ich halte Träume für sehr aufschlussreich, auch im psychoanalytischen Sinne. Wobei in TDS ja hinzukommt, dass der Akt des Träumens an sich in der Zukunft etwas sehr ungewöhnliches ist, womit die Figuren erst einmal lernen müssen umzugehen. Im Lauf der Geschichte kommen sie dahin, die Träume als Erinnerungen an vergangene Leben zu deuten.

Dass sie sich darin als andere Menschen wahrnehmen, in denen aber gleichzeitig auch Anteile ihres jetzigen Denkens und Fühlens angelegt sind, gehört mit zum Erkenntnisprozess. Das, was in den vergangenen Leben geschieht, kann sicherlich auch als verdrängte Ereignisse oder Persönlichkeitsanteile im jetzigen Leben gelesen werden – hier habe ich die Interpretationsmöglichkeiten bewusst offen gelassen.

 

Fantasyguide: Ist es nicht gerade modern in den Abgründen der Figurenpsyche zu wühlen, quasi Mainstream?

 

Anja Kümmel: Ja, sicherlich. Aber ich finde, es gibt Themen, die einfach zur Literatur dazugehören. Ein Buch ohne irgendeine Art von Figurenpsychologie wäre wohl nicht sehr interessant.

Auf die Machart kommt es an. Wird die Gefühlswelt gezeigt, oder nur behauptet? Ist sie plausibel? Gibt es Brüche? Oder nur vorgekaute Klischees?

Bewundernswert finde ich gerade die Texte, die nicht explizit »wühlen«, sondern die Psyche ihrer Figuren quasi »en passant«, durch ihre Handlungen, offenlegen.

 

Fantasyguide: Den wirtschaftlichen und politischen Hintergrund Deiner Utopie beleuchtest Du nur am Rande und er weist im Wesentlichen auf klassische dystopische Urängste hin, wie etwa auf die Opferung der Welt durch globale Konzerne des schnöden Mammons wegen. Wie tief wolltest Du in dieses Thema einsteigen?

 

Anja Kümmel: Mir erschienen viele Prognosen aus bekannten Dystopien durchaus plausibel – gerade was Umweltverschmutzung, zunehmende Überwachung und Konsumorientierung angeht. Deshalb übernehme ich hier einiges, auch wenn es vielleicht nicht besonders »originell« ist. An anderen Stellen werden gängige Cyberpunk-Klischees ja auch wieder gebrochen.

Das Thema der geschlechtslosen Welt und das damit einhergehende Problem der Reproduktion ist sicherlich vorrangig bei mir und macht das »Besondere« meines Szenarios aus. Aber es war mir auch wichtig zu zeigen, dass verschiedene Unterdrückungsmechanismen ineinander greifen. Z.B. gibt es nicht nur die Unterteilung in XX- und XY-Menschen, sondern auch sehr strikte Arbeitshierarchien und ein krasses Nord-Süd-Gefälle.

 

Fantasyguide: Sind Dir alle drei Handlungsebenen gleich wichtig oder hast Du eine besonders liebgewonnen?

 

Anja Kümmel: Ich würde sagen, meine Vorlieben haben phasenweise gewechselt. Im Ursprungstext fand ich sicherlich die Zukunfts-Ebene am spannendsten. Den Paris-Teil hatte ich dagegen ziemlich vernachlässigt. Deshalb habe ich vor der Veröffentlichung noch einmal viel dazu gelesen und recherchiert und diesen Teil komplett überarbeitet.

Schlussendlich sind mir alle drei Handlungsebenen gleich wichtig geworden. Auch wenn die Rahmenhandlung rein textmäßig den größten Teil ausmacht!

 

Fantasyguide: Mich hast Du mit dem Ende überrascht, mir schienen die Rollen vertauscht zu sein. Ist das so gewollt oder liegt das an meinem Empfinden darüber, wer oder was stärker ist?

 

Anja Kümmel: Für mich sind Ashur und Elf gleich »stark«. Ein Rollentausch war also nicht beabsichtigt.

Das Überraschende des Epilogs ist wahrscheinlich, dass es zwei Versionen gibt. Einmal ein imaginiertes Ende, das auf einen möglichen guten Ausgang verweist. Und dann noch ein Ende, das sehr viel düsterer aussieht.

 

Fantasyguide: Womit beschäftigen sich Deine nächsten Projekte?

 

Anja Kümmel: Ich habe zwei Romanmanuskripte in der Schublade liegen, die in der Gegenwart spielen. Die Vermischung von Realitätsebenen – Träume, Fantasien und Fiktion – ist allerdings auch hier ein zentrales Thema.

Momentan arbeite ich an einem Roman, der erstmals wieder in Richtung SF geht. Allerdings geht es diesmal nicht um eine ferne Zukunft, sondern um ein leicht verzerrtes Abbild der Gegenwart. Und wieder kommen mehrere Zeitebenen und Orte darin vor.

Die Hauptfigur ist ein schwuler Mexikaner, der 1980 in New York ein Schiff besteigt und einige Wochen später in einem London der nahen Zukunft landet. Dann gibt es eine Auftrags-Killerin aus einem Island der Zukunft, die es nach London im Jahre 1980 verschlägt. Außerdem spielen ein leicht autistischer Überwachungs-Spezialist und ein Graffiti-Künstler, der mit einer Hasenmaske herumläuft, eine Rolle. Mehr wird noch nicht verraten! :D

 

Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview!

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Buch:

Träume digitaler Schläfer

Autorin: Anja Kümmel

Taschenbuch: 407 Seiten

Verlag: thealit (Mai 2012)

Cover: Florian Hauer

 

ISBN-10: 393092420X

ISBN-13: 978-3930924202

 

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 26.10.2012, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 12800