Supernova (Autor: Cixin Liu)
 
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Supernova von Cixin Liu

Rezension von Matthias Hofman

 

Entgegen meiner sonstigen Gepflogenheit beginne ich diese Rezension mit einer Inhaltsangabe und fasse den Plot des Romans Supernova des chinesischen SF-Autors Cixin Liu zusammen.

 

Man stelle sich folgendes Szenario vor:

 

Der Untergang der Welt des frühen 21. Jahrhunderts steht kurz bevor. Eine acht Lichtjahre entfernte Supernova hat einen verheerenden Effekt auf die Erde und ihre Bewohner, denn sie schickt einen riesigen Strahlenmantel in unser Sonnensystem. Eine Woche lang wird alles Leben, jede Zelle, auf der Erde verstrahlt. Als Folge davon sterben alle Menschen, die älter sind als 13 Jahre. Die Erde wird eine Welt der Kinder.

 

Da ihre DNA unglaublich schnell zerfällt, haben die Erwachsenen rund ein Jahr Zeit, um ihr gesamtes Wissen und alles was menschliche Zivilisation ausmacht, auf ihre Kinder zu übertragen. Alle Länder halten Spiele unter ihren Schülern ab, um die besten Charaktere zu ermitteln, die später die Geschicke ihres Landes leiten sollen, wenn es keine Erwachsenen mehr geben wird. Kinder sollen nicht nur lernen zu regieren, sondern im Ernstfall auch Kampfflugzeuge zu fliegen und Atombomben zu werfen.

 

Und was machen die Kinder wirklich, als es so weit ist? Sie wollen spielen. Es sind schließlich Kinder. So gibt es viele, die einfach nicht arbeiten und die bestehende Infrastruktur aufrechterhalten wollen. Langeweile vertragen sie gar nicht und so kommt eines Tages der Punkt, an dem die von Kids regierten Länder untereinander Krieg spielen. Kinder können grausam sein. Es macht ihnen nichts aus, wenn sie per Knopfdruck mit Massenvernichtungswaffen jede Menge Leben auslöschen.

 

Und als selbst das Weltkrieg-Spiel nicht mehr unterhaltsam ist, dann tauschen sie als nächstes ihre Länder aus. So zieht ganz China dahin, wo die Vereinigten Staaten von Amerika sind und die US-Amerikaner reisen nach Asien und übernehmen das Gebiet der Volksrepublik China.

 

Na, wie klingt das? Ganz schön crazy, um nicht zu sagen … hirnverbrannt. Aber gemach, gemach. Wir haben es mit einem Buch des chinesischen Vorzeigeschriftstellers Cixin Liu zu tun. Der darf das.

 

Seit seiner weltweit preisgekrönten Trisolaris-Trilogie zählt er zu den wichtigsten Vertretern der Hard-SF. Seine Visionen stehen denen von Arthur C. Clarke, Isaac Asimov oder Robert A. Heinlein in nichts nach. Liu geht weiter in die Zukunft als viele andere und entwirft Szenarien, die sind so raffiniert, da bleibt einem die Spucke weg.

 

Um es vorwegzusagen: »Supernova« zählt zu Cixin Lius Frühwerk. Der Roman wurde in China fünf Jahre vor dem ersten »Trisolaris«-Band veröffentlicht. Er ist fast 20 Jahre alt. Im Zuge des Booms von SF aus China wurde der Roman, ähnlich wie Kugelblitz, auf den deutschen Markt gespült. Wäre er zuerst veröffentlicht worden, wahrscheinlich hätten danach jede Menge mehr potenzielle Leser einen weiten Bogen um seine weiteren Romane gemacht.

 

Die Story über die Kinder, die die Welt regieren, liest sich wie ein Szenario, das sich ein Kleinkind ausdenken würde. Sie handelt von Waisenkindern, die Erwachsene sein müssen. Zwar übernehmen sie Verhaltensweisen von ihren Eltern, aber gleichzeitig wollen sie Spaß haben.

 

Cixin Liu erklärt und prognostiziert viel, was den gesamten Roman mehr zu einem Gedankenexperiment macht, welches mitunter nüchtern und aufgeblasen wirkt. Falls man den Plot ernst nimmt, wird man unweigerlich Opfer der Realitätsfalle. Die meisten realen Kinder agieren nicht so wie es die Minderjährigen in dem Roman tun. Sie würden sich nicht auf Länderebene verabreden und Konferenzen abhalten und versuchen, diplomatisch zu sein. Und von dem Verhalten der Kinder abgesehen, würde die Welt komplett »unterbevölkert« und Infrastrukturen wie Energieversorgung innerhalb kurzer Zeit einfach lahmgelegt sein.

 

Wenn man die Handlung jedoch als Satire betrachtet, kann man den Roman in Teilen als Science Fiction im besten Sinne betrachten. Dann ist es auch egal, dass die Kinder aus China die klügsten und besonnensten Knirpse der Welt sind. Oder die US-Kids die kriegstreibenden Egoisten. Es kommt auf das Konzept an: Was wäre, wenn …

 

Der Roman wurde an manchen Stellen mit Herr der Fliegen verglichen. Das kann man machen, aber das Psychodrama, das William Golding entworfen hat, in dem er sechs- bis zwölfjährige Jungen auf einer Insel stranden lässt, deren Innerstes nach außen kehrt und zeigt, zu welchen Grausamkeiten Kinder fähig sind, ist doch um einiges stringenter und schlicht besser.

 

Auch wenn Cixin Lius Fantasie arg versponnene Blüten treibt, sie schillert in interessanten Farben und beschreibt faszinierende Möglichkeiten. Somit geht es vor allem mehr um Konzepte, Systeme und die Entwicklung der Menschheit unter schwierigen Bedingungen, als um glaubhafte Charaktere. Wer sich stets mehr für das große Ganze und weniger für die Details begeistert, dürfte an dem Roman durchaus Gefallen finden.

 

Die Leser, die Cixin Lius »Trisolaris«-Trilogie gelesen und schätzen gelernt haben, werden maßlos enttäuscht sein. Es ist daher ratsam, vor Beginn der Lektüre keine allzu hohen Erwartungen zu hegen.

 

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Buch:

Supernova

Original: 超新星纪元 (Chaoxinxing Jiyuan / The Supernova Era), 2003

Autor: Cixin Liu

Taschenbuch, 512 Seiten

Heyne, 13. Dezember 2021

Übersetzung: Karin Betz

Titelillustration: Stephan Martinière

 

ISBN-10: 345332031X

ISBN-13: 978-3453320314

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B08MCC74XG

 

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Erstellt: 05.02.2022, zuletzt aktualisiert: 18.02.2024 09:28, 20564