Das Universum nach Landau (Autor: Karsten Kruschel; Das Universum nach Landau)
 
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Das Universum nach Landau von Karsten Kruschel

Roman in Dokumenten und Novellen

Reihe: Das Universum nach Landau

 

Rezension von Erik Simon

 

Manchmal ist das Ärgerlichste an Büchern, dass sie mit ihrem Titel Erwartungen wecken, die sie dann nicht erfüllen – und nicht erfüllen wollen.

Mit diesem Satz beginnt auf Seite 139 von Karsten Kruschels Buch die dreiseitige Rezension eines (fiktiven, in ferner Zukunft erscheinenden) Sachbuchs namens »Raumfahrende Menschheit«. Es gehört schon ein gesundes Selbstbewusstsein dazu, dem Rezensenten eines Buches in ebendiesem Buch solch eine Vorlage zur Kritik zu liefern. Insonderheit, wenn die Kritik berechtigt ist. Das Selbstbewusstsein allerdings auch.

 

Was am Universum nach Landau falsche Erwartungen weckt, ist freilich nicht der Titel – es ist der Untertitel: »Roman in Dokumenten und Novellen«. In den drei Vilm-Bänden Kruschels wachsen die darin enthaltenen Erzählungen tatsächlich zu Romanepisoden zusammen (und das ist dann ein Roman in drei Bänden, denn wo ein Band endet und der nächste beginnt, folgt ausschließlich aus verlagsökonomischen Erwägungen und der Entstehungsgeschichte); auch in Galdäa gibt es ein Geflecht zusammenhängender Sujetlinien. Im »Universum nach Landau« haben wir nichts von alledem, nur eben das Universum, einen einheitlichen Hintergrund, der der nämliche ist wie in den anderen Büchern. Das Buch besteht aus sieben Erzählungen, separat lesbar und auch nur separat funktionierend, und im Inhaltsverzeichnis erkennt man sie daran, dass in jedem Titel eine Farbe vorkommt. Dito am Umfang – die übrigen, zwischengestreuten Texte sind sichtlich kürzer, fiktive Dokumente unterschiedlicher Art. Manche davon sind recht witzig (mein Favorit ist das Juliette-Bugatti-Testament, übrigens auch das einzige, das über bloßes Namedropping hinaus mit anderen Texten verzahnt ist), andere recht überflüssig; was sie wohl eigentlich leisten sollten, leisten sie nicht: ein bisschen Kitt für die Erzählungen zu liefern.

Die Erzählungen freilich sind – mit einer noch anzumerkenden Einschränkung – sehr gelungen: gut konstruierte Handlung, plastische, überzeugende Charaktere, die eher lakonische Erzählweise mit einer Spur Ironie, dazu eine erhebliche Zahl an phantastischen, bildhaften, dabei aber stimmigen Details. Die Texte sind thematisch vielfältig, und ich werde sie nicht alle einzeln referieren; allerdings fällt auf, wie oft das Motiv einer Verwandlung von Menschen (oder Außerirdischen) in etwas ganz anderes wiederkehrt. Diese Transformation wird oft als Pointe und als (mitunter nur partielle) Problemlösung präsentiert, und es schwingt ein merkwürdiges Wunschdenken darin mit. Aber ich will ja keine Rezension von der psychoanalytischen Sorte schreiben – mich interessiert weniger, was der Autor sich dabei gedacht haben mag, sondern was zu denken er mir anbietet.

Auf ein gemeinsames Thema der Erzählungen weist der Werbetext auf dem Rücktitel hin, nämlich dass der Mensch alle möglichen Katastrophen übersteht und weitermacht. Unerwähnt bleibt dabei zweierlei, was aber leicht zu bemerken ist: Erstens, die Erzählungen sind chronologisch angeordnet, und nicht nur die Bedrohungen nehmen zu (ausgenommen die zweite Erzählung Rote Bonbons oder: Eskimos sind auch nur irgend so ein Feind, die eher eine Etüde ist), sondern auch die technischen Mittel der Menschen, ja die Dimensionen des Menschseins selbst, was in der letzten Erzählung Schwarz:Netz:Schwarz schon wirklich grandios wirkt (und nicht nur, wie in mancher Space Opera, bloß verbal bombastisch).

 

Zweitens aber ist das, was der Mensch mit so bewundernswerter Tapferkeit immer wieder überlebt – und immer weitermacht –, seine eigene Dummheit. Ebendies ist schon in der ersten Erzählung Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers zu beobachten, und hier funktioniert es nicht so recht. Die Geschichte ist detektivistisch mit einem guten Schuss Horror aufgebaut, mit vielen schönen Details wie in einem Trickfilm von Miyazaki, und die SF-Idee besteht darin, dass man, um die Menschenwelt zu ernähren, die Pflanzenwelt mit Gibberellinen zum Riesenwuchs animiert hat und sich ihrer nur noch erwehren zu können meint, indem man auch die Tierwelt ins Gigantische züchtet. Das liest sich gut, aber diese Mad-Scientist-Geschichte im Stil eines Mickymaus-Comics passt nicht in den Kontext der übrigen Erzählungen. Das steht in der Tradition jener Geschichten von winzigen Menschen oder entsprechend riesigen Insekten, die der Belehrung von Kindern (Sixtus, Das Geheimnis des Riesenhügels) oder der Unterhaltung kindlicher Gemüter dienen und sich nicht einmal um den Anschein von physikalischer oder biologischer Plausibilität zu scheren brauchen, und wenn Top-Wissenschaftler dümmer sind, als die Genrekonvention erlaubt, kriegt man eben das, was man englisch idiot plot nennt. (Auch Bildungslücken en détail manifestieren sich: Wieso gibt es wegen der wuchernden Pflanzenwelt besonders viel Sauerstoff in der Luft? Wo kommt der her?) Dass das viel besser geschrieben ist als die Referenzwerke, die einem so einfallen, kaschiert die gedankliche Austerität recht erfolgreich, ändert aber nichts an ihr.

 

Die anderen Erzählungen sind allesamt deutlich besser durchdacht, und wo alles weit jenseits gegenwärtiger Wissenschaft stattfindet, zählt eh nur die Plausibilität der Bilder, der Charaktere und der Beziehungsgeflechte. Dort fallen einem dann auch erfreulichere Vergleiche ein: So denkt man in Violets Verlies wegen des Ozeans und der merkwürdigen Gebilde darin zunächst einmal an Lems Solaris, aber ein viel engerer Bezug findet sich zu Themen und Erzählduktus eines anderen Autors, nämlich Alfred Lemans. Für die beste Erzählung des Bandes halte ich nicht die letzte (grandioseste), sondern Gelb wie Zwiebelgras, Jahre vor dem Frühlingsende, eine Geschichte von Generationen menschlicher Siedler auf einem fernen Planeten, erzählt von einem wirklich fremdartigen Außerirdischen – das hat was von James Tiptree, Jr., nicht nur thematisch, sondern auch in der ganz eigenartigen Stimmung.

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Buch:

Das Universum nach Landau

Reihe: Das Universum nach Landau

Roman in Dokumenten und Novellen

Autor: Karsten Kruschel

Taschenbuch: 278 Seiten

Wurdack Verlag, 1. Juni 2016

Cover: Ernst Wurdack

 

ISBN-10: 3955560937

ISBN-13: 978-3955560935

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B01GEO5CLW

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition

Inhalt:

  • Das Universum nach Landau

  • 1. Grün: Im Sternzeichen des Rasenmähers

  • E-Mail von Landau an alle

  • Rezept für Katzenbaby-Crépinette à la chatte étouffée

  • 2. Rote Bonbons oder: Eskimos sind auch nur irgend so ein Feind

  • Lexikoneintrag: Atibon Legba

  • 3. Violets Verlies

  • Das Testament des Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Christofor Antonowitsch Juliette-Bugatti

  • 4. Ende der Jagdsaison auf Orange

  • Vorletzter Tag der Jagdsaison, um die Mittagsstunde

  • Vorletzter Tag der Jagdsaison, abends

  • Letzter Tag der Jagdsaison

  • Erster Tag nach dem Ende der Jagdsaison

  • Rezension von »Raumfahrende Menschheit«

  • 5. Gelb wie Zwiebelgras, Jahre vor dem Frühlingsende

  • Geburtsurkunde, leicht beschädigt

  • 6. Weiß: Der Ausweg Blanche

  • Unvollständige Liste der unauffindbaren oder unauffindbar gewesenen Welten

  • 7. Schwarz:Netz:Schwarz

  • Unwesentlicher Kommentar

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240425220353232365b4
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Erstellt: 12.03.2018, zuletzt aktualisiert: 10.04.2024 18:52, 16565