Die Wurmloch-Odyssee (AutorInnen: Angela und Karlheinz Steinmüller, Erik Simon, Werke 7 / 5)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Die Wurmloch-Odyssee von Angela Steinmüller, Karlheinz Steinmüller und Erik Simon

Eine Weltraum-Operette in acht Episoden

Reihen: Steinmüller-Werke in Einzelausgaben Band 7 / Simon’s Fiction Band 5

 

Rezension von Ralf Steinberg

 

Verlagsinfo:

Fasziniert von den bizarren Schätzen eines Trödelbasars, der einen ganzen Mond einnimmt, verpasst ein Navigator den Abflug seines Raumschiffs. Er muss sich fortan allein unter Außerirdischen durchschlagen, zurück zur Erde – und der Weg dorthin ist weit. Noch weiter gerät die Heimreise jedoch für sein Schiff, die Mercurius Quarbis, die nunmehr ohne Navigator durch das Raum-Zeit-Gefüge irrt. Die Begegnung mit einem zeitfressenden Weltenlaicher ist da noch die geringste Schwierigkeit. Schließlich langt man, dem engagierten Bord-Chor sei Dank, doch noch bei der Erde an, nur um festzustellen, dass der Navigator längst dort angekommen und schon wieder abgereist ist …

Mit der vorliegenden Weltraum-Operette in acht Episoden finden die Werkausgaben Erik Simons wie auch der Steinmüllers eine gemeinsame Fortsetzung.

 

Rezension:

Die Editionsgeschichte der Die Wurmloch-Odyssee macht dem Titel der Weltraum-Operette alle Ehre.

Die zugrundeliegende Kurzgeschichte Der Trödelmond beim Toliman der Steinmüllers erschien 1984 in Windschiefe Geraden und stand Pate für die Trödelmond-Anthologie von Olaf R. Spittel, die, noch zu DDR-Zeiten geschnürt und frisch erschienen, in der vereinigten BRD eher unterging. Für diese Storysammlung, deren Ziel eine Verortung phantastischer Geschichten auf dem Trödelmond im Sinne einer Shared World war, schrieb auch Erik Simon zwei Beiträge. In seinen ausführlichen Anmerkungen am Ende der »Die Wurmloch-Odyssee« erläutert Simon haargenau und vor allem amüsant, wie es zur Bündelung, Verzahnung und Erweiterung der nun als »Weltraum-Operette in acht Episoden« untertitelten Kollaboration der drei befreundeten SF-Schaffenden kam. Diese Anmerkungen sollte man, wie auch vom Autor empfohlen, jedoch erst im Nachhinein goutieren, da sie zu viel verraten und zudem die Freude an der eigenen Spurensuche schmälern.

 

Alle Texte werden durch lateinische Zitate eingeleitet und sollen nicht nur den Zusammenhalt verstärken, sondern auch klarstellen, dass alles Dargebotene reines Flottenlatein ist.

 

Den Beginn bildet natürlich »Der Trödelmond beim Toliman«. Den Bericht über den Besuch des PH-SK-Navigators Desh Kemeny auf dem riesigen Fremdweltler-Basar verdanken wir dem eher widerwillig involvierten Hirnhörer 2. Grades, Ruhestifter in kommissarischer Verwendung der Himmelskörpersicherheit im Toliman-System, Breg’cl’orileino.

Mit diesem kleinen, vorangestellten Hinweis findet sich die erste von vielen Erweiterungen der bereits aus anderen Veröffentlichungen bekannten Texte. Sie bilden eine harmonisierende Sammlung von Berichten und Protokollen, die insgesamt die Abenteuer der Mercurius Quarbis vor uns ausbreiten. Auch der Name des Schiffes gehört in diese Konsolidierung – Erik Simon und Karlheinz Steinmüller verfassten Texte für der Quarber Merkur.

Der rasante Text stürzt die Leserschaft mitten hinein in eine völlig exotische Welt, in der ein Mensch ebenfalls zu den Absonderlichkeiten zählt, wenn auch zu den weniger interessanten. Kemeny verliert dort nicht nur jegliches Zeitgefühl, sein Zurückbleiben auf dem Trödelmond stellt auch den eigentlichen Start der Odyssee dar, denn Kemeny war der einzige an Bord der Mercurius Quarbis, der sich mit der Wurmlochreiserei, dem Knuxen, auskannte.

 

Im zweiten Text, Toliman – Ilion C: Flugverlauf normal beschreibt Erik Simon den Alltag an Bord der Mercurius Quarbis und warum der Vorgesetzte Kemenys sowie der Rest der Besatzung vom Verschwinden ihres Navigators ewig nichts mitbekommen.

Die bitterböse Satire auf den kulturpolitischen Alltag in DDR-Betrieben, Schulen und anderen Bereichen offenbart sich inzwischen schon wieder als hochaktuell. Erstaunlich, wie sich Geschichte selbst unter entgegengesetzten Vorzeichen wiederholt.

 

Der von Erik Simon arg negativ dargestellte Verwaltungsoffizier Raf Effarig (was für ein toller Name!) darf sodann seinen Unmut über den Trödelmond-Tourismus in einem Brief Per Lichtspruch – dringend an das Weltraumflotten-Oberkommando loswerden. Diese Blaupause eines pedantischen Bürokraten und Parteisekretärs, heute als Manager weitverbreitet, dient auch in den weiteren Geschichten als dramatischer Kristallisationspunkt und dürfte zu dem meistgemobbten Figuren der Science-Fiction gehören. Das sympathische der hier versammelten Texte ist, dass Effarig sich nie wirklich durchsetzen kann. Welch bezaubernde Utopie!

 

Eine dramaturgische Lücke in den Abenteuern der Mercurius Quarbis schließt Da-Unten, Hier-Draußen. Die Steinmüller bauen hier weitere Verbindungen zu ihrem eigenen Kosmos auf. Der als bewohnt markierte Planet mit dem provisorischen Namen »Da-Unten« gehört, wie auch Andymon und Spera, zu Kolonialisierungsprojekten der relativistischen Raumfahrt. Riesige Archen wurden zu Planeten ausgesandt, um in deren Orbit via Inkubatoren Menschen zu gebären, die sich dem Terraforming verschreiben sollten. Wie in Andymon beschrieben, sandten jene Kolonisten unter Umständen selbst wiederum Archen los.

Doch die Besatzung der Arche, die »Da-Unten« besiedeln sollte, überließ den Planeten lieber ihren Robotern, die nun eine Bevölkerung simuliert, während sie selbst die Unendlichkeit simulierter Welten erforscht. Ihre philosophischen Implikationen würzen die Steinmüller nicht ohne Grund mit Anspielungen auf Per Anhalter durch die Galaxis.

 

Die wissenschaftlicher Untersuchung des Xenobiologen Sven Sörensen Zur Frage des Zeitfressenden Weltenlaichers greift auf eine Passage aus »Der Trödelmond beim Toliman« zurück. Gleichzeitig gelingt den Steinmüllers mit ihrer Kreatur die Erschaffung eines Hindernisses, das in seiner Größe an »Scylla und Charybdis« aus der ursprünglichen Odyssee heranreicht.

 

Über das weitere Schicksal von Desh Kemeny klärt uns Erik Simon in Desiderius Felis auf. Dabei werden wir nicht nur Zeuge einer erstaunlichen Wertschöpfung, sondern können auch einer satirisch-kritischen Religionsbetrachtung beiwohnen. Die als Erinnerungsbericht eines Roboters verfasste Story bietet erneut einen eigenen Sprachstil und kredenzt ihre Spitzen mit trockener Schärfe.

 

Auch der Kapitän der Mercurius Quarbis darf zu Wort kommen. Sein Bordtagebuch: Auf dem halben Planeten verlässt nur selten den offiziellen Ton. Dabei geht es um jede Menge Hanf, schrecklichen Gesang und recht bösartige Versuche, einen ungeliebten Verwaltungsoffizier loszuwerden.

Die Mercurius Quarbis muss den Planeten »Virginia Nova« anfliegen, um ihren Vorrat an Z-Astrin (Zaster genannt) aufzufrischen, der seltsamerweise schrumpfte und sich schwer herstellen lässt. Zum Glück wächst auf Virginia Nova Hanf – Zaster-Rohmaterial. Angebaut und verarbeitet wird der Hanf von einer kleinen Menschenkommune, die sich ganz dem ursprünglichen Leben der Hrengeng, der intelligenten Saurier vom Planeten Pulaster, verschrieben haben. Auch von denen lebt eine Kolonie auf dem Planeten, jedoch wollen die eher wie Menschen leben.

Das verfassende Triumvirat fabuliert hier nach dem Exposé von Gundula Sell aus dem Vollen und nutzt jede mögliche Gelegenheit, ihre Werke gegenseitig kreuz und quer zu vernetzen.

 

Ganz zum Schluss darf der Odyssee-Verursacher, Desh Kemeny, die Handlungsfäden verknüpfen. Heimkehrer ist die Geschichte einer besonderen Freundschaft und dient tatsächlich vor allem dem Aufräumen.

 

»Die Wurmloch-Odyssee« schwelgt über weite Strecken in einem herrlich unmodernen Sprachduktus, der mit Nonchalance Spott ebenso feinziseliert darbietet, wie er mit Freude an der eigenen Fabulierkunst Ausschweifungen zulässt, farbenprächtige Bilderwelten eröffnet und feinsinnige Parodien liefert. Ein literarischer Hochgenuss, der ein wenig melancholisch stimmt.

 

Die Gestaltung des Bandes soll laut Verleger Hardy Kettlitz das Design der beiden Werkausgaben aufnehmen und bildet durch ihre Eleganz in der Tat etwas fürs Auge. Den Platz der Vignette füllt eine passende Zeichnung von Thomas Hofmann.

 

Fazit:

Der erste Band mit Werken aus der Zusammenarbeit von Erik Simon und dem Ehepaar Steinmüller ist eine amüsante Sammlung miteinander verwobener Geschichten. Teils bereits anderswo veröffentlicht, teils extra für die »Die Wurmloch-Odyssee« verfasst, bietet sich eine fast klassisch anmutende Vielfalt an erzählerischen Ideen, Stilen und Hinterlistigkeiten. Eine hochgeistige Schachtel mit SF-Pralinen.

 

Nach oben

Platzhalter

Buch:

Die Wurmloch-Odyssee

Eine Weltraum-Operette in acht Episoden

Reihen: Simon’s Fiction Band 5; A. und K. Steinmüller: Werke in Einzelausgaben Band 7

AutorInnen: Angela & Karlheinz Steinmüller und Erik Simon

Taschenbuch: 183 Seiten

Memoranda, 26. Juni 2017

Titelvignette: Thomas Hofmann

 

ISBN-10: 3946503160

ISBN-13: 978-3946503163

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B073HGN1JD

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 22.08.2017, zuletzt aktualisiert: 10.03.2024 18:58, 15999