Grindhouse Splatter (Autor: Marc Gore)
 
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Grindhouse Splatter von Marc Gore

Rezension von Torsten Scheib

 

Rezension:

Als der Norddeutsche Marc Gore vor nunmehr auch schon zwölf Jahren zum allerersten Mal auf sich aufmerksam machte, dachten wohl nicht wenige: »Ah, noch einer, der sich an seinen, zumeist indizierten, filmischen Vorbildern orientiert und dementsprechend in Splatter- und Goreexzessen austobt. Ein weiteres Strohfeuer.« Was Punkt Eins betrifft, so muss man diesen Zeitgenossen beipflichten. Und Gore macht ja auch keinen Hehl daraus, dass die B- und Trashmoviehelden aus dem Zeitalter der Exploitation und des Schmuddelkinos zu seinen Heroen zählen. Fulci und Deodato statt King und Koontz … warum auch nicht?

Auch ein Edward Lee steht ja dazu, wie sehr ihn die reißerischen Subversionen dieser Filmgattung beeinflusst haben, insofern gibt es daran nichts auszusetzen. Und was das »Strohfeuer« betrifft: nun, Marc Gore ist noch immer hier und verfasst weiterhin seine bewusst auf Härte und Gewalt gebürsteten Storys. So schlecht kann der Mann demnach wohl nicht sein, oder? Sowohl in den unterschiedlichsten Anthologien als auch als eigenständige Sammlungen. Grindhouse Splatter ist die mittlerweile zweite Ansammlung Gore'scher Kurzgeschichten und Novellen. Und ganz wie es der Titel bereits andeutet, darf man intellektuelle Reflexionen über das Wesen der Menschheit eher nicht erwarten, dafür aber knackig-brutale Splatterachterbahnfahrten und harte Hommagen an bereits erwähnte, »gute alte« Kinozeit. Voll auf die Omme gewissermaßen, möglichst politisch inkorrekt und ausnahmslos mit amerikanischem Ambiente.

 

Bevor es jedoch losgeht, meldet sich mit Thomas Backus, ein bekannter Name der hiesigen Horrorszene, zu Wort und assoziiert Gores Schaffen unter anderem mit DER Ikone des deutschen Heftroman-Horrors, Jason Dark. Womit der sympathische Nordhesse gewiss nicht falsch liegt.

 

Bereits mit der Auftaktgeschichte, Fatal Dessert – In der Wüste lauert der Tod, dürfte sich innerhalb der potenziellen Leserschaft die Spreu vom Weizen trennen; kommt bereits ein Markenzeichen Gores zum Einsatz. Denn auch hier, beziehungsweise ab jetzt gilt die Regel: entweder man mag es – oder nicht. Eine Grauzone erscheint ausgeschlossen. Doch zurück zur Geschichte, die – zur Überraschung des Rezensenten – zum einen gar nicht mal so blutig daher kommt und zum anderen nicht den Nachgeschmack eines beschlagnahmten B-Movies aus den späten 1970ern intus hat. Im Gegenteil. Denn beim Thema »Riesenameisen« kann eigentlich nur der Name Gordon Douglas fallen, der diese netten, überdimensionierten Tierchen mitsamt dem mehr oder minder gleichen Setting 1954 in Formicula hat unsterblich werden lassen. Oder der Autor hat in den frühen 1990ern maßlos It came from the Desert auf dem Amiga gezockt. Spielt ja auch keine Rolle. Mit Parabeln über nukleare Bedrohungen hat diese rasante, knackige und kurzweilige Geschichte jedenfalls nicht mehr sehr viel gemein und erhält selbstredend neben einer reichlich wilden Auflösung (die aber erneut was von alten Schwarzweiß-Scifischinken intus hat) auch einige Szenen der Marke FSK 18. Ein durchaus solider Start.

 

Mit Limb by Limb wendet sich Gore einer Thematik zu, die, trotz ihrer Faszination und Originalität leider immer noch in sehr überschaubaren Dosen auf die Leserschaft los gelassen wird: die des klassischen Hexenfluchs. Den bekommt nämlich der Protagonist der Geschichte, der gefühlskalte Kaufmann Darrell Norten zu spüren, nachdem er seiner lieben, vielleicht etwas verschroben anmutenden, aber auf alle Fälle noch ziemlich rüstigen Tanta Agatha nicht nur das Grundstück entreißt, sondern die Dame zudem in ein Altersheim verfrachtet. Dumm für Darrell, dass er über Tantchens übernatürliches Talent nicht im Bilde ist und für seine Gier und emotionale Kälte den entsprechenden Preis zu zahlen hat – Stück für Stück …

Auch bei »Limb by Limb« lässt sich klar erahnen, woher die Inspiration kam: früher Body-Horror Marke David Cronenberg. »Limb by Limb« mag eine dieser Geschichten sein, bei der man kein ausgewiesener Genre-Fachmann sein muss, um den Ausgang zu erahnen, doch hier ist auch der Weg das Ziel. Gore schafft es mit wenigen Worten, aus Darrell Norten einen Kotzbrocken allererster Güte werden zu lassen, der sich der Antipathien der LeserInnen sicher sein kann. Genüsslich und reichlich explizit erinnert sein Niedergang, sein in immer größer werdenden Häppchen stattfindender Verfall an das wesentlich bemitleidenswertere Ende von Seth Brundle aus Cronenbergs eklig-genialem Remake von Die Fliege (1986). Eine der besten Storys, die neben Gores Markenzeichen – präzise ausgespielte Garstigkeit – außerdem die Stärke des Autors offenlegt, durchaus den klassischen Pfad von A nach B zu verlassen und eine vollkommen andere Richtung einzuschlagen. Dann kann aus einer altbewährten Thematik durchaus ausgewachsener Body-Horror werden.

 

Gab es eigentlich schon Horrorgeschichten, die während des Karnevals in Rio gespielt haben? Warum eigentlich nicht? Ähnliches muss auch Gore gedacht haben, bevor ihm die Inspiration für Carnival of the Dead – Schreckensnacht in Rio kam. Klingt nach B-Movie, ist es (wieder) auch. Mit dem Unterschied, dass dieser Beitrag weder Hommage noch ansatzweise Heldenverehrung, sondern etwas komplett autarkes ist. Der Grundgedanke – dass die Toten neidisch auf die Fähigkeit der Lebenden sind, sich ihres Daseins in Form von Feiern und Ausgelassenheit zu erfreuen – hat nämlich wirklich was und wird über weite Strecken ganz hervorragend geschildert, ohne dabei zu ausufernd zu werden. Wobei sich – neben den mitunter doch arg eindimensional porträtierten Charakteren – ein weiteres Manko offenbart: Gores Storys sind bisweilen einfach zu kurz und die Enden leider viel zu abrupt. Besonders bei »Carnival …« merkt man dies spürbar; legt sich viel zu rasch der Vorhang über das actionhaltige Kopfkino, das gerne 20-25 Seiten länger hätte sein dürfen. Trotzdem: eine sehr gute Story.

 

Weiter geht’s mit My beloved Mummy – Ich folgte einer Mumie. Noch ein klassisches Thema, welches aber leider a) schon viel zu oft verwendet wurde und b) nur sehr bedingt überzeugen kann. Die Thematik einer uralten Mumie, die sich an den Lebenden weidet um unter ebenjenen wieder wandeln zu können, ist einfach zu ausgedroschen und wird von Gore nicht unbedingt originell verwertet, um überzeugen zu können. Leider.

 

Da ist Devourer – Der Verschlinger von einem komplett anderen Kaliber. Diese längere Geschichte, bereits im letzten Jahr in der ersten Mängelexemplare-Anthologie erschienen, zeigt ganz ähnlich wie »Carnival …« Marc Gores Stärken auf – wenn er sie denn richtig ausspielt. Grob betrachtet, könnte man »Devourer …« durchaus als eine Art Zwilling zur (Un-)Totenjagd in Rio betrachten. Es ist temporeich, die Dialoge sind knackig, der Dramatis Personae wird genug Ellbogenfreiheit eingeräumt, damit sie nicht flach erscheint. Sehr schönes Kopfkino eben und eine der schönsten Verbeugungen auf das kultige Blob-Filmmonster seit Christoph Marzis Nachtfahrt (aus Nimmermehr). Wobei sich Marzi wohl eher am Original aus den 1950ern orientiert hat, Kollege Gore an dem wesentlich heftigeren (aber sehr gutem!) Remake aus den späten 1980ern. Und wie schon bei »Limb by Limb« ist nicht immer alles, wie es scheint …

An dieser Geschichte sollte sich der Autor meiner Meinung nach in Zukunft orientieren, denn sie offenbart womöglich am eindeutigsten, was in dem Autor Marc Gore alles steckt.

 

Wer sich mit Heftromanen auskennt, dem könnte beim Lesen von Clint Morrions best friends eventuell der Name Dan Shocker in den Sinn kommen. Innerhalb seiner visionär-wild-kultischen Reihe Macabros ließ der Mann, der im wahren Leben Jürgen Grasmück hieß, in der Ausgabe mit dem Titel Die Leichenpilze kommen menschenfressende, halbwegs intelligente Riesenpilze auf ahnungslose Passanten los. Hört sich trashig an, ist es auch. Aber eben auch leidlich unterhaltsam und kurzweilig. Zwar sind Clint Morrisons beste Freunde keine Pilze, aber auch diese Pflanzenwesen können kräftig zubeißen, wie ein gieriger Bauunternehmer mitsamt seiner Entourage erfahren darf. Eine solide Geschichte, abermals mit einem wohl bekannten Thema als Fundament. Leider setzt Gore hier ein bisschen zu sehr auf Action und Gekröse. Etwas mehr Atmosphäre, ja vielleicht sogar der eine oder andere stille Moment hätten dem Ganzen sehr gut getan.

 

Benito ist eines von diesen Werken, bei denen im Grunde schon ein Wort den ganzen Spaß am Lesen verderben kann. Darum nur so viel: im Zentrum steht eine Dreiecksbeziehung zwischen der in sich gekehrten, schüchternen Melissa, ihrem neuen, ersten Freund Richy und einem schwarzen Kater. Und nun rate jeder, worauf das alles hinausläuft …

Auch dieser Beitrag kann – abgesehen von dem wieder einmal viel zu hastigen Finale – im Großen und Ganzen überzeugen. Wo zuvor die Atmosphäre fehlte, kommt sie hier prächtig zum Einsatz. Auch die sorgfältig verwendeten, erotisch angehauchten Passagen sind weder reiner Selbstzweck noch konterkarieren sie den Stil. Im Gegenteil, durch sie wird das unweigerlich auftauchende Grauen sogar noch verstärkt. Unterm Strich bleibt ein überdurchschnittlicher Beitrag, der trotz oder gerade wegen seiner relativen Gemächlichkeit zu überzeugen weiß.

 

Etwas Ähnliches hätte man auch von Fear – Die Angst im Nacken erwarten können; Marc Gores Tribut an die klassischen Giallo-Thriller aus vorwiegend italienischem (Film-)Hause. Oder eventuell doch Hitchcock? Wie dem auch sei, das viel zu knapp geratene Kammerspiel wirkt über große Strecken einfach unausgegoren, plump. Als hätte der Autor auf den letzten Drücker noch eine Story gebraucht und ebendiese niedergeschrieben. Sehr schade.

 

Für alle, die schon immer mal in Marc Gores Schaffen »reinschnuppern« wollten, dürfte »Grindhouse Splatter« durchaus der passende Einstieg sein – sofern man weiß, was einen erwartet. Gores Prosa ist roh, blutgetränkt und bisweilen – bewusst oder unbewusst – nicht immer fehlerfrei. Hie und da sind die Klischees einfach zu abgedroschen, die Handlungen schlicht zu bekannt und die Enden wie bereits erwähnt einfach zu rasch abgekurbelt. Doch Gore deswegen auf einen Filmfreak zu reduzieren, der seine Lieblinge im Grunde mehr oder minder nacherzählt – dass wäre auch zu einfach. Ebenso, wie ihm Selbstständigkeit respektive eine eigene Stimme abzuschlagen. Der Metal-Fan hat schon was drauf, wie er hier mehrmals beweist. Bloß, dass er seine Stärken einfach (noch) viel zu selten ausspielt; leider. Immerhin: was die zügellose Gewalt betrifft – die wurde hier überwiegend eingeschränkt, wenngleich die kongenialen Bilder von Sonja Bender anderes vermuten lassen. So verkommen diese Passagen aber nicht zu einer Karikatur des Angestrebten. Nichts desto trotz bleibt unterm Strich eine kurzweilige, überwiegend unterhaltsame Geschichtensammlung mit bewusstem B-Movie- und Trashcharme, die aufgrund besagter Ausrichtung gewiss einen Sonderstatus intus hat. Strohfeuer sehen anders aus.

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Buch:

Grindhouse Splatter

Kurzgeschichten

Autor: Marc Gore

Vorwort: Thomas Backus

Buchlader / Edition Lepidoptera, Januar 2014

Titelbild und Innenillustrationen: Sonja Bender

Taschenbuch, 156 Seiten

Inhalt:

<typolist>

Fatal Desert – Iin der Wüste lauert der Tod

Limb by Limb

Carnival of the Dead – Schreckensnacht in Rio

My Beloved Mummy – Ich folgte einer Mumie

Devourer – Der Verschlinger

Clint Morrisons Best Friends

Benito

Fear – Die Angst im Nacken

</typolist>

 

ISBN-10: 3941809180

ISBN-13: 978-3941809185

 

Erhältlich bei: Amazon

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240427010924e1c8c1f4
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Erstellt: 11.06.2014, zuletzt aktualisiert: 03.12.2021 16:09, 13583