Offenbarung (Autor: Alastair Reynolds; Inhibitor Bd. 3)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Offenbarung von Alastair Reynolds

Reihe: Inhibitor Bd. 3

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Zweiundzwanzig jahrelang hatten die Siedler von Ararat, die einst vor den mörderischen Unterdrückern vom Planeten Resurgam flohen, ein relativ ruhiges Leben unter der Führung des Exilsynthetikers Clavain und des Hyperschweins Scorpio gehabt, doch dann wird eine geheimnisvolle Raumkapsel aus dem Meer geborgen. Clavain nimmt an, dass darin sein alter Freund Remontoire sei, doch er irrt, die Synthetikersignale stammen von der Exsoldatin Ana Khouri. Sie bringt verstörende Nachrichten: Remontoire hat den auf lange Sicht aussichtslosen Kampf mit den Unterdrückern aufgenommen; ihre Tochter Aura brachte das nötige Spezialwissen mit, doch jetzt wurde sie von Clavains Erzfeindin Skade entführt.

Zweiundfünfzig Jahre später auf den Lichtjahre entfernten Planeten Hela macht sich das frühreife Wunderkind Rachmika, das ein großes Interesse an Flitzerfossilien hat, auf ihren verschollenen Bruder in der fahrenden Kathedrale der Quaichisten zu suchen.

 

Der erneute Besuch von Reynolds Inhibitor-Setting führt den Leser auf die aus Die Arche bekannte Neukolonie Ararat und auf den Mond Hela. Ararat ist eine unwirtliche Wasserwelt; nur wenige Inseln ragen aus dem Meer. Eine der größeren wurde von den Flüchtlingen besiedelt. Allerdings hat man bei der Entwicklung der Welt in den letzten zwei Dekaden keine Fortschritte gemacht: Der Planet lässt sich nicht den Bedürfnissen anpassen und die nötigen Werkzeuge fallen immer häufiger aus. Hela dagegen ist ein Mond des Gasriesen Haldora; seine Umwelt ist lebensfeindlich: Es gibt keine Atmosphäre. Dennoch hat sich dort aus zwei Gründen eine Kolonie angesiedelt: Zum einen gibt es Überreste der bizarren Flitzer, einer ausgelöschten Alien-Kultur, die bei den Reichen anderer Systeme sehr begehrt sind. Zum anderen verschwindet Haldora in unregelmäßigen Abständen für Sekundenbruchteile. Als Horris Quaiche das System erkundete, war er mit einem religiösen Indoktrinationsvirus infiziert und hielt dieses Verschwinden für ein Zeichen Gottes. Entsprechend hat sich auf Hela eine Theokratie herausgebildet, die in der Endzeit starken Zulauf erhält. Um kein Wunder zu verpassen, muss der Gasriese stets beobachtet werden. Dieses wird von den Kirchenfürsten auf ungewöhnliche Weise gelöst: Sie erbauten mobile Kirchen, die mit einem Drittel Meter pro Sekunde auf dem Ewigen Weg den Mond umkriechen, so dass der Planet immer im Zenit steht.

Doch die Schauplätze sind nur ein farbenfrohes Ambiente, vor dem die Figuren agieren; eine weitergehende Rolle spielen sie nicht.

Es gibt erwartungsgemäß viele phantastische Elemente: Interstellare Reisen mit Lichtschiffen, mobile Kathedralen, Boserstrahler und Piezomesser, gewaltige Weltraumgeschütze, die Unterdrücker genannten Maschinenwesen und andere Aliens, die genmanipulierten halbmenschlichen Hyperschweine und Cyborgs wie Ultras oder Synthetiker; der Autor fährt das ganze Inventar der Space Opera auf. Wer die früheren Roman der Reihe kennt, der wird hier nur wenig qualitativ Neues entdecken. Insgesamt gibt der Autor sich viel Mühe, diese Elemente mit anerkannten physikalischen Prinzipien z. T. ausführlich zu erläutern; damit gehört der Roman zur Hard-SF.

 

Die Figuren sind eher flach und je wichtiger sie sind, desto exzentrischer werden sie; eine Entwicklung der Charaktere über die etwa 950 Seiten des Romans bleibt weitgehend aus. Dafür gibt es sehr viele Figuren. Neu sind vor allem die des Hela-Strangs. Horris Quaiche ist ein Glücksritter, dem das Glück ausgeht. Aber seine Auftraggeberin, die unberechenbare und grausame Ultrakönigin Jasmin, gibt ihn noch eine Chance: Er soll Profit aus dem System des Gasriesen Haldor schlagen. In einer Krise erlebt er dann das Wunder von Hela. Fortan wird er zu einem fanatischen Gläubigen mit wirren Plänen. Er schließt sich mit dem sadistischen Arzt Grelier zusammen, der auf menschliches Blut fixiert ist. Die beiden sind die Antagonisten der siebzehnjährigen Rachmika, einer unglaublich gescheiten Flitzerforscherin, die jede Lüge durchschaut. Sie begibt sich auf die Suche nach ihrem verschwundenen Bruder, wird aber dabei immer tiefer in die Ereignisse um die Flitzer und den verschwindenden Planeten verwickelt.

Der Strang um die Sehnsucht nach Unendlichkeit, dem in Unendlichkeit eingeführten von Schmelzseuche befallenem Lichtschiff, mit dem Capitan Branningan in Die Arche schließlich zur Gänze verschmilzt, führt nur wenige neue Figuren ein. Besonders wichtig sind der Sicherheitsdienstler Vasko Malinin – einer der ältesten gebürtigen Ararater – der ein ernsthafter Patriot und politischer Aufsteiger ist, und Ana Khouris Tochter Aura, die bereits im Uterus mit Synthetikerimplantaten ausgerüstet wird um der Mutter die genetisch implantierten Pläne für Wunderwaffen kommunizieren zu können. Sonst treten allerhand alte Bekannte auf: der alte, von Schuldgefühlen geplagte Meisterstratege Clavain, die zweifach wiederauferstandene 'Muttergottes' Ana Khouri, die ihrer Tochter gegenüber absolut loyal ist, die mittlerweile gesetzte Raumpilotin Antoinette Baxter, Clavains alter Freund Remontoire und einige weitere; von den alten Figuren wird nur das in Die Arche eingeführte Hyperschwein Scorpio etwas ausführlicher behandelt.

Dabei verhalten sich die Figuren nicht immer plausibel: Scorpio hört auf seine Instinkte und erläutert seine Vorhaben nicht weiter. Alle – er selbst eingeschlossen – halten ihn für einen miesen Planer. Etwa jedes zweite Mal sind seine Entscheidungen falsch. Er streitet ständig mit dem Rat und schreckt vor Grausamkeiten nicht zurück. Warum wird er als Führer akzeptiert? Er ist weder Diplomat noch Stratege. Es heißt, er würde gebraucht – wofür, das bleibt ein Rätsel. Die Figuren gehören zweifelsohne nicht zu den Stärken des Romans.

 

Ähnlich schwierig ist der Plot. Auf dem ersten Blick ist der Strang der Sehnsucht nach Unendlichkeit eine typische Space Opera: Die Underdogs, eine kleine Schar mutiger und unglaublich fähiger Menschen, stellt sich den technologisch und zahlenmäßig weit überlegenen Aliens. Es gilt nun in einer Art Kommandounternehmen die Schwäche des Feindes zu finden und auszunutzen. Man erwartet nun zahllose Konflikte, die durch Tricks und Kämpfe gelöst werden. Doch offenkundig wollte sich Reynolds diesen Erwartungen entziehen: Die Protagonisten reagieren bloß auf ihrer fortgesetzten Fluch, die Kämpfe sind entweder sehr kurz oder werden zur Gänze ausgeblendet und die behandelten Konflikte sind eher gruppenintern; da die Figuren nur schwach charakterisiert werden und sich zuweilen unplausibel verhalten, kann sich hier keine Spannung aufbauen.

Ungeschickt ist auch die frühe Verabschiedung vieler Figuren. Üblicherweise gibt es in den letzten Kapiteln einen Ausblick, der das Schicksal der Protagonisten abrundet. In diesem Strang beginnt dieses sehr früh, so dass lange vor dem Höhepunkt immer wieder eine Ausklang-Stimmung erzeugt wird. Dieses wirkt sich auf den ohnehin schon kriechendlangsamen Plotfluss weiter negativ aus.

Der Hela-Strang startet quasi als Queste: Rachmika macht sich auf die Suche nach den verschollenen Bruder. Die Intrigen von Quaiche und Grelier spielen Anfangs kaum eine Rolle, werden dann aber dominanter, während die Suche nach dem Bruder langsam in den Hintergrund gerät und schließlich durch die Ziele der Protagonisten des anderen Strangs ersetzt wird. Der Hela-Strang ist ein einigermaßen interessanter Polit-Thriller; da die Figuren ausführlicher gestaltet werden, funktioniert dieser Strang besser, wenn auch nicht besonders gut; hinzu kommt, dass viele Details schon aus den Vorgängerromanen inhaltlich bekannt sind und damit an Kraft verlieren wie etwa das schon aus Chasm City bekannte Indoktrinationsvirus.

 

Auch bei der Erzähltechnik gibt es einiges zu monieren. Auf dem ersten Blick reiht es sich bei den Vorgänger ein: Es gibt zunächst drei Erzählstränge, von denen zwei schnell miteinander und der letzte spät mit den anderen vereint wird. Die Erzählperspektive ist eine Mischung aus auktorialer und zahllosen personalen Perspektiven. Ähnlich wie in den früheren Bänden sind die Dialoge nicht sonderlich gelungen – sie wirken gestelzt und, schlimmer noch, sie werden häufig durch Banalitäten gestreckt. Die Streckungen sind überhaupt ein Problem: Es gibt nicht nur viele überflüssige Sätze, es gibt sogar ganze Szenen, die nichts zum Plot hinzufügen.

In der Erzählstruktur wird es dann schlimm: Es gibt Substränge, die im Sande verlaufen oder in einer spannenden Situation abgebrochen werden und später nur zusammenfassend und in Rückblende aufgelöst werden; es gibt nur unzureichend eingebundene Szenen; es gibt nicht eingehaltene Vorausdeutungen; es gibt wichtige Informationen, die dem Leser lange Zeit vorenthalten werden und dann spät in einer Rückblende nachgereicht werden, und der Schluss ist ein Witz: Es ist kein offenes Ende, es ist überhaupt kein Ende.

 

Schließlich ist dieser Band der Abschluss der Inhibitor-Reihe. Man kann ihn zwar lesen ohne die Vorgänger zu kennen, doch viel zu häufig wird der Leser dann Zusammenhänge nicht erkennen können, vor allem was die alten Figuren angeht. Als Abschluss der Reihe funktioniert der Band allerdings noch weniger. In Unendlichkeit wurden die Grundlagen zum Konflikt zwischen der Menschheit und den Unterdrückern gelegt: Dan Sylveste weckte die Maschinenwesen. In Die Arche wurde die Übermacht der Unterdrücker demonstriert: Mehr als eine Flucht, die den Konflikt nur aufschob und nicht aufhob, war trotz der Weltraumgeschütze nicht zu erreichen. In Offenbarung sollte nun eigentlich der Konflikt auf die eine oder andere Art gelöst werden – wird er aber nicht. Behandelt werden eine Fortsetzung der Flucht und die vom Unterdrücker-Krieg unabhängigen wirren Pläne eines religiösen Fanatikers. Die Auflösung erfolgt dann in wenigen Sätzen im Epilog.

 

Fazit:

Die Crew der Sehnsucht nach Unendlichkeit muss zunächst Aura, die letzte Hoffung der Menschheit, retten und dann vor den Unterdrückern fliehen; Rachmika, deren Schicksal für das Überleben der Menschheit bedeutend scheint, sucht ihren verlorenen Bruder und wird dabei in die Intrigen des Kirchenfürsten Quaiche verwickelt.

Ich halte diesen Roman für eine literarische Katastrophe und mag ihn eigentlich niemand empfehlen. Wer aber Hard-SF mag, die Reihe bisher sehr schätzte und nun wissen will, wie es mit Clavain, Khouri & Co. weitergeht, für den könnte der Roman dennoch interessant sein.

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024041920481829408b63
Platzhalter

Offenbarung

Reihe: Inhibitor Bd. 3

Autor: Alastair Reynolds

Broschiert: 940 Seiten

Verlag: Heyne TB (Januar 2008)

ISBN-10: 3453523628

ISBN-13: 978-3453523623

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 31.12.2007, zuletzt aktualisiert: 05.09.2020 15:12, 5564