Die Insel der Stimmen (Autor: Robert Louis Stevenson; Bibliothek von Babel Bd. 24)
 
Zurück zur Startseite


  Platzhalter

Die Insel der Stimmen von Robert Louis Stevenson

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 24

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Mit dem vierundzwanzigsten Band der Bibliothek von Babel gibt J. L. Borges eine Sammlung von Geschichten des Briten Robert Louis Stevenson heraus. Die Insel der Stimmen enthält vier in den Jahren von 1885 bis 1893 entstandene Kurzgeschichten amerikanischer Prägung. Sie verwenden zumeist Märchenmotive, die jedoch ob ihrer Grausigkeit die Nähe zum Horror suchen.

 

Die Insel der Stimmen (34 S.): Kalamake ist der weise Mann von Molokai. Er liest in den Sternen, deutet die Zukunft aus den Körpern der Toten und fängt sogar ihre Seelen im Reich der Dämonen ein um sie zu befragen. Niemandes Rat wird auf der Insel mehr geschätzt als seiner. Etwas unklar ist den Mitmenschen, woher der unheimliche Zauberer seine sprichwörtlich gewordenen Dollars bekommt. Seinen Schwiegersohn Keola weiht er ein: Kalamake verdunkelt den Raum und verbrennt mystisch murmelnd magische Kräuter. Dieser Zauber versetzt den Hexenmeister und seinen Schwiegersohn auf eine fremde Insel. Als Keola einige Zauberpflanzen sammelt, bemerkt er andere Menschen auf der Insel – die scheinen ihn aber nicht sehen, sondern nur hören zu können. Kalamake sammelt unterdessen einige Muscheln ein, die sich in eben jene blanken Dollars verwandeln. Zurück auf Hawaii erhält Keola einen kleinen Anteil. Den verprasst er schnell. Aber das stillt seine Gier nicht, denn er hätte gerne eine Ziehharmonika. Seine Frau Lehua warnt ihn: Wer Kalamake bedrängt, von dem hört man nie wieder! Der junge Mann aber schlägt den Ratschlag in den Wind – er will jetzt eine Ziehharmonika und ist doch kein kleines Kind, das sich herumkommandieren lässt! Der Schwiegervater scheint mit der Forderung kein Problem zu haben; dazu müsse man nur auf die See hinaus. Und nein, das neue Boot wolle man nicht nehmen, das alte müsse dazu wieder flott gemacht werden.

Trotz der Nähe zur Horrorgeschichte ist es ein Kunstmärchen: Stilistisch ist sie sehr schlicht gehalten und auch die Figuren sind Archetypen. Hinzu kommen Handlungsmotive, die ebenfalls daher bekannt sind. Dennoch geht die Schilderung der Horror-Motive über das Märchen hinaus, wozu vor allem die zurückhaltende Psychologisierung der Figuren beiträgt. Der Schauplatz Südsee ruft sofort Erinnerungen an Jack Londons Das Haus Mapuhis (z. B. in Die konzentrischen Tode) wach, doch der Erzählton ähnelt eher Jeff VanderMeers Der Gott der Haie gegen den Gott der Kraken (in Ein Herz für Lukretia).

Der Flaschenteufel (52 S.): Keawe schlendert durch San Francisco und sieht sich die schönen Häuser an. Er hätte selbst gerne eines. Ein besonders schönes wird von einem trübsinnigen, ältlichen Mann bewohnt. Der lädt den staunenden Keawe ein und erzählt ihm seine Geschichte. Das schöne Haus konnte er sich nur leisten, weil er eine Flasche mit einem Teufel darinnen besitzt. Dieser Teufel erfüllt dem Besitzer jeden Wunsch – stirbt man aber im Besitz der Flasche, so erhält der Teufel die Seele des Besitzers. Man kann die Flasche nicht verschenken, verlieren oder zerstören – man muss sie für Münzgeld veräußern, wobei der Verkaufspreis geringer als der Einkaufspreis sein muss. Eigentlich will Keawe damit nichts zu schaffen haben, aber der Alte trickst ihn aus und so ersteht Keawe sie für fünfzig Dollar. Der pragmatische Keawe nimmt das Gute mit dem Schlechten und wünscht sich sein Traumhaus. Er erhält es aber zu einem grausigen Preis. Anschließend verkauft er seinem Freund Lopaka die Flasche. Keawe ist glücklich und dazu verliebt er sich noch in die hübsche Kokua. Sie willigt ein Keawes Frau zu werden. Nun ist Keawe überglücklich. Doch am selben Abend stellt er entsetzt fest, dass er Lepra hat. Nur der Flaschenteufel kann helfen.

Schauplatz ist wiederum weitgehend die Südsee; die Beschreibung des Schauplatzes ist etwas ausführlicher als in der vorherigen Geschichte, aber immer noch recht knapp. Auch stilistisch ist dieses Anti-Kunstmärchen eher schlicht. Bei den Figuren gelingt Stevenson Eigentümliches: Einerseits verhalten sich die Figuren nicht entsprechend einer Märchenlogik, sondern relativ realistisch, andererseits sind sie ausgeformt wie typische Märchenfiguren – sie wirken damit flach und realistisch zugleich.

Bei der Verwendung von Handlungsmotiven wird dieses Spiel ebenfalls betrieben: Der Flaschenteufel erinnert deutlich an die Geschichte Der Fischer und der Dämon aus Tausendundeine Nacht, in der ein bösartiger Flaschengeist erst überlistet werden muss, bevor er Wünsche erfüllt; das frei gewährte Wünsche meist zu nichts Gutem führen wie beim Grimmschen Märchen vom Fischer und seiner Frau oder gar einen bitteren Preis haben wie bei W. W. Jacobs Die Affenpfote ist bekannt. Dennoch schafft Stevenson es aus diesem ausgelaugtem Boden noch eine überraschende, kräftige Pflanze zu ziehen.

Markheim (30 S.): Markheim geht zum Kuriositätenhändler, bei dem er bereits das ganze Kabinett seines Onkels versetzt hat. Es ist Sonntag und Markheim kann dem Händler nicht in die Augen schauen – das heißt, wie der Schacherer feixend erklärt, dass Markheim weniger bekommen wird. Der jedoch will dieses Mal nichts abgeben, sondern etwas erwerben. Er versucht den Händler in ein Gespräch zu verwickeln, etwas von der menschlichen Seite zu erfahren – allein der Händler blockt ab und wird ungehalten. So führt Markheim seinen Plan aus: Er erdolcht den Mann und sucht nach dessen Geld. Gleichzeitig beginnt ihn die Unsicherheit zu quälen. Und hört er da Schritte?

Was wie ein psychologischer Krimi mit Ersttäter beginnt, schlägt später ins Wunderbare um; die unglaublich dichte Beschreibung der Ängste, die den Mörder nach der Tat quälen, lassen den Leser beinahe Mitleid mit ihm empfinden.

Die krumme Janet (19 S.): Seit fünfzig Jahren ist Reverend Murdoch Soulis der Pastor der Moorlandgemeinde Balweary im Duletal; er ist ein Furcht einflössender Mann, der seine Schafe mit harschen Worten über den Satan geißelt. Das war nicht immer so: Einst war er ein mitfühlender Seelsorger, der seine abergläubische Gemeinde gemahnte die von einem Schlaganfall gezeichnete Janet M'Clour mit Nächstenliebe zu behandeln, doch am 17. August 1712 ereignet sich ein Vorfall, der das Leben des aufgeschlossenen Theologen für immer verändern wird: Auf dem alten Friedhof begegnet er dem Schwarzen Mann.

In dieser Horrorgeschichte spielt Stevenson auf die schottische Sage an, nach welcher der Teufel den Hexen als "Schwarzer Mann" erscheint. H. P. Lovecraft nutzt diese Sagen in Träume im Hexenhaus (z. B. in Das schleichende Chaos) um den "Schwarzen Mann" als Avatar des Dämonengottes Nyarlathotep zu etablieren.

 

Der Schauplatz wird in keiner der Geschichten ausführlich beschrieben; am ausführlichsten in Der Flaschenteufel. Dieses ist allerdings weder bei den beiden auf das Märchenhafte zielenden Erzählungen, noch bei den Horror-Kurzgeschichten zu erwarten.

Bei den Figuren ist das etwas anders: Die Insel der Stimmen verwendet recht archetypische Märchenfiguren, auch wenn dieses aufgrund des Schauplatzes nicht gleich auffällt, und die Figuren in Der Flaschenteufel halten diese eigenwillige Balance zwischen realistischer Plausibilität und märchenhaftem Typus. In Markheim werden die Figuren ungewöhnlich gehandhabt: Der Händler heißt nur "Händler", der Gast nur "Gast" und auch Markheim hat keinen Vornamen. Der Leser erfährt fast nichts über das Leben der Figuren, der Händler wird sogar unwirsch, als dessen menschliche Seite näher beleuchtet werden soll. Nur die Ängste Markheims werden sehr detailliert geschildert. Eine Entwicklung der Figur wird nur angedeutet. Die krumme Janet dagegen soll die Entwicklung des Reverends erläutern, doch hier geht es weniger um den Charakter als viel mehr um das ihm widerfahrenden Ereignis.

Sieht man von Markheim ab, das eine 'reine' Horrorgeschichte ist, so vereinen die Geschichten alle Märchen- oder Sagenmotive mit denen des Horrors. Während die beiden Südsee-Geschichten den Horror als Reiz für ihre Märchenstruktur verwenden, ist es in Die krumme Janet umgekehrt: Das Sagenmotiv wird als Aufhänger für eine Horrorgeschichte verwendet.

Auch der Erzählstil der beiden Südsee-Geschichten erinnert in seiner Schlichtheit sehr an Märchen. Der Erzählstil in Die krumme Janet ist im Original deutlich an Berichte aus dem 18. Jh. angelehnt, was in der deutschen Übersetzung allerdings verloren geht. Bei Markheim fällt auf, dass sich das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit aufgrund der Handlungsarmut und des ausführlichen internen Konfliktes mehr als üblich bei phantastischen Geschichten zur Erzählzeit neigt.

 

Fazit:

Ob in der Südsee oder in Schottland, Stevenson zeigt, dass Horror gut zum Märchen bzw. zur Sage passt. Mit Markheim wird eine weitere Geschichte mit Horrorelement beigegeben, bei der der Fokus auf dem internen Konflikt liegt. Mit Der Flaschenteufel fügt der Band nicht nur einige interessante Geschichten zur Phantastik hinzu, sondern ist auch eine echte Ergänzung der Variationen.

Nach oben

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240328133328d8b96e13
Platzhalter

Titel: Die Insel der Stimmen

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 24

Original: Ohne Angabe

Autor: Robert Louis Stevenson

Übersetzer: Richard Mummendey

Verlag: Edition Bücherglide (Januar 2008)

Seiten: 149-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3-940111-24-1

Erhältlich bei: Amazon


Platzhalter
Platzhalter
Erstellt: 15.05.2008, zuletzt aktualisiert: 17.04.2023 20:56, 6519