Die Pappschachtel (Sherlock Holmes 43)
 
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Die Pappschachtel

Reihe: Sherlock Holmes 43

Hörspiel

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Die Menschen schwitzen – es sind deutlich über dreißig Grad in London. Dr. Watson träumt von einem Urlaub an einem schattigen Plätzchen. Zwei Dinge sprechen allerdings dagegen: das leere Bankkonto und sein Freund Sherlock Holmes. Den juckt es schon wieder in den Fingern, denn am Morgen hatte er einen Brief von Inspektor Lestrade erhalten. Die zurückgezogen lebende, ältliche Miss Susan Cushing hatte ein Paket ohne Absender erhalten. Darinnen: zwei abgeschnittene Ohren. Miss Cushing ist natürlich schockiert. Sie weiß überhaupt nicht, warum ihr jemand so einen grässlichen Streich spielen sollte. Auch Inspektor Lestrade ist einigermaßen verblüfft, wirkt Miss Cushing doch grundsolide und absolut ehrlich. Er konstruiert einen Fall, der auf Holmes unwahrscheinlich wirkt: Drei Medizinstudenten, die einst bei Miss Cushing als Untermieter wohnten, denen aber wegen ungebührlichen Verhaltens gekündigt wurde, sollen ihr diesen späten Streich gespielt haben. Holmes erkennt schnell, dass diese Ohren nicht aus dem Anatomie-Vorrat stammen, sondern frisch sind – Holmes vermutet daher, dass ein abscheulicher Doppelmord dahinter steckt.

 

Auch die dreiundvierzigste Folge der Sherlock Holmes-Reihe ist ein Krimi, der in erster Linie auf das Staunen setzt, welches aus Holmes messerscharfen Analysen erwächst: Eine ältliche Frau, die keinerlei Anlass zu kriminellen Taten bietet, erhält zwei abgeschnittene Ohren. Die Polizei fabuliert sich eine unwahrscheinliche Theorie zusammen und tappt völlig im Dunkeln, ohne sich dieses auch nur eingestehen zu können. Holmes indes wirft einen Blick auf die Ohren und die Pappschachtel, wechselt ein paar Worte mit der ratlosen Ohrenempfängerin und hat den Fall im Wesentlichen schon gelöst. Es fehlen nur noch ein paar Details, um ihn restlos zu verstehen, doch die wird Lestrade sicherlich vom Verbrecher selbst erfahren. Nur um eines bittet Holmes: Man möge seinen Namen nicht im Zusammenhang mit einem derartig leichten Fall bringen.

Damit zum Problem der Folge: Etwa das erste Drittel widmet sich der Ermittlungsarbeit. Die ist ob der 'Banalität' des Falls schnell abgeschlossen. Das zweite Drittel wird dann mit Holmes' Erläuterungen gefüllt, in denen er Dr. Watson erklärt, was es mit der Angelegenheit auf sich hat. Das letzte Drittel ist dann den fehlenden Details gewidmet, die der Verbrecher selbst nachreicht. Hier geht es in erster Linie um die Vorgeschichte des Falls, die in der Tat recht gewöhnlich ist. Nach meinem Dafürhalten gehen die beiden ersten Drittel, die eine relativ typische Holmes-Geschichte bieten, nicht gut mit dem letzten Drittel zusammen, das eher an Momente des Police Procedure-Krimis erinnert, vor allem solche mit sozialkritischem Duktus. Dabei wäre es ja ganz witzig gewesen, diesen für Polizei, Watson und Zuhörer zunächst undurchschaubaren Fall als holmes'sche Banalität zu präsentieren, aber dazu hätte der dritte Teil erheblich gekürzt werden müssen. Überhaupt hätte man wohl besser daran getan, auf die Tragik weitgehend zu verzichten (soweit Morde dieses eben zulassen) und die humorvollen Seiten im ersten und zweiten Teil zu betonen. Ob Holmes-Puristen damit noch zufrieden gewesen wären, ist allerdings eine andere Sache. So bleibt eine Dramaturgie, der es besonders im letzten Drittel deutlich an Spannung fehlt.

 

Die Besetzungsliste fällt in Hinsicht der Länge recht durchschnittlich aus – ich zähle zehn Sprecher. Dabei sind die wiederkehrenden Rollen mit den angestammten Sprechern besetzt: Christian Rode spricht Sherlock Holmes, Peter Groeger Dr. Watson und Volker Brandt Inspektor Lestrade, den man gerade erst im vorigen Hörspiel Das Rätsel von Boscombe Valley hören konnte. Diese Drei sind überaus erfahren und machen ihre Sache erwartungsgemäß gut.

Auch bei den Gastsprechern sind nur erfahrene Hörspielsprecher zu hören – alle haben zumindest an verschiedenen Maritim-Hörspielen mitgewirkt. Die wunderbare Anke Reitzenstein spricht Susan Cushing. Reitzenstein ist dem Hörer vielleicht als Synchronstimme Whitney Houstons oder aus Hörspiel-Reihen wie … und nebenbei Liebe, Die Morde des Émile Poiret oder John Sinclair bekannt. Tina Eschmann spricht Susans Schwester Sarah. Eschmann ist Schauspielerin und trat in verschiedenen Fernsehkrimis wie der Tatort-Reihe auf. Hörspiele hat sie eher wenige gemacht, war aber schon an der Seite ihrer 'Schwester' in Émile Poirets erstem Fall zu hören. Andreas Borcherding spricht James Browner. Borcherding ist ebenfalls Schauspieler – er war vor Kürzerem in Der Baader Meinhof Komplex zu sehen. Er hat schon für einige Hörspiele eingesprochen, wobei seine Rolle als Mr. Baker in der Top Secret-Reihe vielleicht bisher die prägendste ist. Schließlich ist noch Ghadah Al-Akel zu erwähnen, die leider wieder mal nur viel zu kurz zu hören ist. Die Synchronsprecherin Jennifer Lopez' war ebenfalls in Die Morde des Émile Poiret zu hören, ist aber auch jenseits von Maritim tätig: Jan Tenner und Professor Zamorra gehören dazu. Die Performanz der vier Gastsprecher ist durchwachsen, neigt aber deutlich ins Positive. Während die Eschmann einige negative Ausreißer hat, in denen sie etwas gekünstelt klingt, sind die anderen drei, vor allem Reitzenstein und Al-Akel, nuanciert und stimmig.

 

Bei der Inszenierung setzt man auf die bewährte gemäßigte altmodische Art. Obschon es keinen Erzähler im engeren Sinne gibt, übernimmt Dr. Watson zuweilen dessen Funktion. Oft ist dieses aber gar nicht nötig, da das zweite Drittel in erster Linie ein Monolog von Holmes ist und das letzte Drittel ein Monolog des Verbrechers. Die häufig an Jazzklänge erinnernde Musik wie auch die Geräuschkulisse werden nur unterstreichend und eher spärlich eingesetzt. Nichtsdestoweniger ist dieser Aspekt der Inszenierung sehr stimmig.

 

Fazit:

Die unbescholtene und vollkommen harmlose Miss Susan Cushing erhält ein Paket mit zwei abgeschnittenen Ohren – wer mag ihr diese grausige Pappschachtel zugesandt haben? Die Pappschachtel ist ob der vermurksten Dramaturgie eine eher schwache Holmes-Folge, doch die weitgehend gute Vorstellung der Sprecherriege machen sie zu einem Hörspiel, das man immer noch gut nebenher hören kann.

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 202404190037105885a338
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Hörspiel:

Die Pappschachtel

Reihe: Sherlock Holmes 43

Vorlage: Arthur Conan Doyle

Produzent: Studio Maritim

Buch: Imke Noack

Label: Maritim

Erschienen: Dezember 2009

Umfang: 1 CD, ca. 49 min.

ASIN: 3867142580

Erhältlich bei: Amazon

 

Sprecher (Auswahl):

Christian Rode

Peter Groeger

Volker Brandt

Anke Reitzenstein

Tina Eschmann

Ghadah Al-Akel

Andreas Borcherding


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Erstellt: 08.01.2010, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 19:24, 9834