Visionen & Wirklichkeit (Herausgeber: Michael Haitel und Jörg Weigand)
 
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Visionen & Wirklichkeit herausgegeben von Michael Haitel und Jörg Weigand

Rainer Eisfeld zum 80. Geburtstag

 

Rezension von Matthias Hofmann

 

Wie alt das deutsche SF-Fandom ist, kann man daran sehen, dass seine Gründerväter, die Aktiven der Anfangstage in den 1950er Jahren, längst den Weg alles Irdischen gegangen sind. Die Männer der ersten Stunden, Leute wie Walter Ernsting, Julian Parr, Walter Spiegl oder Heinz Bingenheimer, hatten sich vor bald 70 Jahren zusammen getan, um die utopisch-phantastische Literatur unter dem neuen Etikett »Science Fiction« salonfähig zu machen.

 

Einer, der als 15jähriger Teenie früh mit von der Partie war, lebt noch heute und wurde am 4. April 2021 stolze 80 Jahre alt: Rainer Eisfeld. Er wurde nicht nur von Walter Ernsting ins Fandom eingeführt, sondern bekam auch früh Aufgaben und Redakteursposten innerhalb des Science Fiction Club Deutschland und nachfolgend auch Übersetzerjobs.

 

Eisfeld war von Beginn an nicht bloß offen für die Science Fiction, sondern auch für die ganze Welt. So traf er Koryphäen wie Hugo Gernsback, John W. Campbell Jr. oder Forrest J. Ackerman persönlich. Ackerman, der gute Kontakte zu Ernsting und der westdeutschen SF-Szene unterhielt, traf 1957 erstmals auf Eisfeld. So schrieb die US-amerikanische SF-Ikone Ackerman in seinem offiziellen Conbericht nach Besuch des 15. SF-WeltCon in London über Eisfeld, der für den Trans-Atlantic-Fan-Fund (TAFF) im Gespräch war: »Ein 16 Jahre alter Superboy aus Deutschland verbuchte einen großen individuellen Erfolg. Sein Name – Rainer Eisfeld, mit gerade mal 16. Ich konnte es nicht fassen. Ich verglich das mit mir selbst, im Alter von 22, sechs Jahre älter als er und im Land meiner Muttersprache, zitternd wie eine Portion grüner Wackelpudding, verängstigt von dem Klang meiner eigenen Stimme, wortkarg und fürchtend, dass man mich kaum als Forry erkennen könnte … Und da kam der junge Rainer, ein bloßer Teenager, zum ersten Mal im – für ihn – fremden Land namens England, spricht in einer Sprache, die nicht seine eigene ist, und hält eine von ihm selbst geschriebene und übersetzte völlig frei vorgetragene Rede.«

 

Damals wohnte Eisfeld in der Effertzstraße 56 in Bonn, was Ackerman damals allen schriftlich verkündete, die Kontakt mit dem Deutschen aufnehmen wollten. Datenschutz nahm man in den 1950er Jahren nicht so genau.

 

Rainer Eisfeld ist also 80 Jahre alt geworden. Grund genug für die Herausgeber Michael Haitel und Jörg Weigand eine Art Geburtstagsgeschenk in Form eines Büchleins zusammenzustellen. Wie mir scheint, haben Gedenkbände in diesen Jahren Hochkonjunktur. Im SF-Fandom haben sie auf jeden Fall eine lange Tradition. Sie enthalten meist persönliche Anekdoten und Texte über und von den mit einem solchen Buch geehrten Menschen. Walter Ernsting alias Clark Darlton wurde mit einer Vielzahl von Gedenkbüchern bedacht, schon zu Lebzeiten und natürlich danach. Erst 2020 erschien das Sekundärwerk Unser Walter von Wolfgang Thadewald und Ulrich Blode anlässlich Ernstings 100. Geburtstag.

 

Während es Sinn macht, populärer SF-Autoren wie Clark Darlton, Karl-Herbert Scheer, Ernst Vlcek, Hanns Kneifel oder auch Thomas R.P. Mielke mit solchen Büchern zu gedenken, denn sie waren über viele Jahre für Romanserien aktiv oder veröffentlichten jede Menge Werke in Heft- und Buchform und haben dadurch eine gewisse Fanbasis, tauchen inzwischen Bücher über Personen auf, die längst nicht so beliebt oder bekannt sind. Haben wir ein Buch über Jörg Weigand vermisst? Eher nicht. Und wird ein solches viele Interessenten und Käufer finden? Dito.

 

Und nun ein Buch für und über Rainer Eisfeld? Sagen wir es mal so: Wenn es gut gemacht ist, wenn die Herausgeber ihre Hausaufgaben gemacht haben, dann könnte das eine schöne Sache sein. Aber machen wir uns nichts vor: Eisfeld ist sicherlich ein Name, den nur noch Fans der ersten Stunde kennen, denn er spielte schon ab den 1980er Jahren keine signifikante Rolle mehr. Allerdings hat er danach immer wieder mit interessanten Projekten und Sekundärwerken auf sich aufmerksam gemacht.

 

Eisfelds investigativer Journalismus in Bezug auf Wernher von Brauns Nazi-Vergangenheit ist legendär. Sein Buch Mondsüchtig (1996) zählt zu den Meilensteinen der Sekundärliteratur zum Thema Raumfahrt. Mit dem 2007 erschienen Buch Die Zukunft in der Tasche mit dem Untertitel »Science Fiction und SF-Fandom in der Bundesrepublik. Die Pionierjahre 1955–1960« setzte er nicht nur der Szene, sondern auch sich selbst ein prächtiges Denkmal. Mit seinen Neuübersetzungen von A. E. van Vogts Null-A-Romanen sowie Die Expedition der Space Beagle bewies er vortreffliches Sprachgeschick und wetzte nebenbei eine Scharte aus seiner Anfangszeit aus, als er 1958 die Originale für den Balowa Verlag unter dem Pseudonym Armin von Eichenberg mehr schlecht als recht übersetzt hatte.

 

Man merkt schon, ein Buch über Rainer Eisfeld hätte viele interessante Ansatzpunkte. Leider ist Visionen & Wirklichkeit eher eine Art unfertiger Prototyp eines Gedenkbuchs geworden. Der Inhalt wirkt unausgegoren und angereichert mit irrelevanten Beiträgen. Es scheint, als hätte man einen Aufruf gestartet und dann all das Material zwischen einen Buchumschlag gepackt, was sich bis zum Redaktionsschluss in der Schublade angesammelt hat.

 

Interessante Anekdoten, wie die von mir eingangs erwähnte von Forrest J. Ackerman, sucht man vergeblich, ebenso wie Fotomaterial aus Eisfelds wilder Sturm-und-Drang-Zeit. Das absolute Highlight ist daher das Titelfoto, welches aus dem unerschöpflichen Archiv von Heinz J. Galle stammt, der ebenfalls wie Eisfeld in den 1950er Jahren schon dabei war und im Gegensatz zu Eisfeld auch heute noch aktiv im sekundärliterarischen Bereich aktiv ist.

 

Die Qualität der Textbeiträge schwankt naturgemäß stark. Das Buch beginnt mit einem Rundumschlag von Jörg Weigand, einer Art Zusammenfassung von Eisfelds Wirken, die schlecht konstruiert, gespickt mit Einschüben und sonstigen Lesestolperfallen, alles vorweg nimmt, was die anderen später schreiben werden. Er schafft damit ohne Not eine gewisse Redundanz. Aber was sollte er auch sonst als Vorwort schreiben? Das ist irgendwie symptomatisch, denn gleich zu Beginn wird nicht wirklich klar, welche persönliche Beziehung Weigand, wie auch Haitel, der als Herausgeber gar keinen Text beisteuerte, zu dem Geehrten haben. Es scheint nicht über große Ehrfurcht, Respekt vor dem Œuvre, ein paar kurze Recherche-Kontakte und Plaudereien auf OldieCons hinauszugehen.

 

Und sogleich sind wir wieder beim Grundproblem des Buchs: die fehlende Stringenz. Viele der Autorinnen und Autoren kennt man vom Namen her. Manche jedoch nicht. Wieso schaffte man es nicht, alle Mitwirkenden im Anhang kurz vorzustellen, damit sich die Leserschaft ein ungefähres Bild darüber machen kann, in welcher Relation die Personen zu Eisfeld und zum Fandom stehen? Oder handelt es sich bloß um die ewiggleiche Kerntruppe der Leute, die wie ein Wanderzirkus von Gedenkband zu Gedenkband tingeln, um dort reproduzierend die Seiten zu füllen?

 

Und wieso finden sich einem einen solchen Band SF-Kurzgeschichten? Die ganzen Beiträge von Rainer Schorm (mehrfach), Monika Niehaus & Co. wirken wie Füllmaterial, so eine Art modifizierte Stärke, um die Suppe reichhaltiger erscheinen zu lassen, bieten jedoch keinerlei Nährwert. Selbst die aufwendig mit Insiderwissen aufgerüstete Parallelweltgeschichte von Karl-Ulrich Burgdorf nicht, die sich als leicht perfide Leichenfledderei an Walter Ernsting entpuppt, wenn man sie genau liest.

 

Auch über Beiträge wie den von Herbert Kalbitz könnte man streiten. Weil Eisfeld als Westernfan Bücher wie Hundert Jahre deutsche Westernmythen veröffentlicht hat, gibt es eine überproportionierte Bilderstrecke mit Titelbildern alter Westernromane, die darin gipfelt, dass man seitenweise nur Titelschriftzüge abbildet, in denen das Wort »Colt« vorkommt. Und warum das Ganze? Weil Eisfeld sich daran vielleicht erfreuen könnte, wie Kalbitz in seiner Einleitung spekuliert? Oder wohl eher weil Kalbitzens Kumpel Weigand Leihbuch-Fan ist und noch mindestens 20 Seiten brauchte, um über die 150-Seiten-Marke für das Buch zu kommen?

 

Die besten Beiträge, die dem interessierten Leser auch wirklich etwas bringen, sind die Texte von den Autoren, die das Konzept eines solchen Gedenkbuchs auch wirklich verstanden haben. Was Franz Rottensteiner, Dieter von Reeken, Klaus N. Frick, Heinz J. Galle, Jürgen vom Scheidt oder Hans-Dieter Furrer schreiben, ist persönlich und relevant. Und diese retten den Gesamteindruck glücklicherweise in den grünen Bereich.

 

Unter dem Strich hinterlässt »Visionen & Wirklichkeit« einen zwiespältigen Eindruck. Es ist leider viel Irrelevantes im Buch. Besonders die Kurzgeschichten wirken deplatziert, zumal sie insgesamt durchschnittlich sind, wie Fingerübungen, die man mal schnell daher geschrieben hat. So bekommt man ein mit viel heißer Luft aufgepumptes Buch, welches während der Lektüre in sich zusammenfällt, mit Beiträgen von Namen, die man zu einem Drittel nicht einordnen kann. Symptomatisch ist die Buchrückseite, auf der sich einer der beiden Herausgeber selbst zitiert. Mangels Alternativen? Man weiß es nicht …

 

So ist »Visionen & Wirklichkeit« insgesamt eine vertane Chance. Da wäre viel mehr drin gewesen. Auf jeden Fall können wir gespannt sein, welche Persönlichkeit mit dem nächsten Gedenkbuch geehrt wird. Wann hat eigentlich Kurt S. Denkena Geburtstag?

 

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Buch:

Visionen & Wirklichkeit

Rainer Eisfeld zum 80. Geburtstag

Herausgeber: Michael Haitel und Jörg Weigand

Taschenbuch, 192 Seiten

p.machinery, 4. April 2021

Titelillustration: Foto von Rainer Eisfeld

 

ISBN-10: 3957652324

ISBN-13: 978-3957652324

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B091SM9FBZ

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 01.06.2021, zuletzt aktualisiert: 16.08.2023 14:37, 19785