Interview: Merlin Thomas
 
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Interview mit Merlin Thomas

von Ralf Steinberg

 

Im Rahmen unserer Artikelreihe rund um die Space-Opera Die Neunte Expansion wagen wir auch immer wieder einen Blick hinter die Kulissen. So luden wir den Autor Merlin Thomas ein, uns einige Fragen zu beantworten, da er just als Lektor den jüngsten Band der Reihe, Holger M. Pohls Fünf für die Freiheit betreute:

 

Fantasyguide: Hallo Merlin, Du bist Teetrinker, Globalmoderator, Blogger, Autor und nun auch noch Lektor. Das kann man doch gar nicht alles gleich gut, worin bist Du Banause und worin Experte?

 

Merlin Thomas (lacht) Als Teetrinker bin ich definitiv Banause, obwohl ich das vermutlich von allem schon am längsten und auch am intensivsten mache. Ich werfe einen Teebeutel und zwei Süßstofftabletten in eine Tasse und gieße heißes Wasser darauf. Da habe ich keinen Anspruch auf kulturelle Hochwertigkeit in der Tradition asiatischer oder klingonischer Rituale. Ich wäre, glaube ich, der typische kettenrauchende Kaffeetrinker, wenn Zigaretten nicht so stinken und ich Kaffee mögen würde. So blieb mir nur der Tee als Laster.

Meine herausragende Eigenschaft als Globalmoderator ist vermutlich, dass ich noch da bin. Das SF-Netzwerk hatte in den letzten Jahren einen gewissen Schwund an Personal. Das Forum profitiert da von meiner Schwäche, dass mir Veränderungen widerstreben und ich mich daher von angefangenen Sachen nicht trennen kann. Inhaltlich ist die Arbeit derzeit nicht allzu aufwändig – toi, toi, toi, da hatten wir auch schon andere Zeiten – und verlangt auch keine besondere Expertise. Also auch da wohl eher Banause.

Kommen wir zum schwierigen Teil: Blogger, Autor, Lektor. Die hängen für mich eng zusammen. Ein Autor verfasst (wie ein Blogger) Texte und überarbeitet sie (wie ein Lektor). Sie unterscheiden sich lediglich in den Schwerpunkten und Zielen. Wer sich auf einem Gebiet auskennt, kann viel Wissen und Erfahrung in die anderen hinüberbringen.

Wie weit ich das gemeistert habe, müssten eigentlich andere beurteilen. Als Experte würde ich mich in keinem der Felder bezeichnen, da ich weiß, dass ich in allen Gebieten noch viel zu lernen habe. Aber auf der anderen Seite denke ich, dass ich auch kein blutiger Laie mehr bin. Neben der eigenen Erfahrung beschäftige ich mich auch theoretisch mit der Schriftstellerei. Ich würde mich da als fortgeschrittener Amateur einordnen.

Zusammenfassend bezeichne ich mich gerne als Generaldilettant, bei dem es zum Universalgelehrten nicht gereicht hat.

 

Fantasyguide: »Die neunte Expansion» entstand aus einem Thread im SF-Netzwerk, in dem Du momentan als Globalmoderator wortwerkelst. Wieviel SFN steckt in »D9E«?

 

Merlin Thomas Wer regelmäßig im SF-Netzwerk mitliest, wird die Zeichen schon zu deuten wissen. Es gibt immer wieder Anspielungen, zum Beispiel in der Namensgebung der Figuren. Da nutzen vor allem die Autoren, die sowieso Stammgäste im SFN sind, die Gelegenheit, den einen oder anderen Mitforisten zu verewigen. Das gefällt mir als Leser sehr gut, wenn ich so etwas erkenne, weil ich dann das Gefühl habe, ein Geheimnis mit dem Autor zu teilen und mich abgeholt fühle.

Ansonsten denke ich, dass vor allem der in dem erwähnten Thread ausformulierte Wunsch nach einer bodenständigen Science-Fiction eine Basis für die Reihe bildet. Es geht zwar um die Folgen eines interstellaren Krieges und die Vorzeichen eines möglichen nächsten, aber die Romane fokussieren sich stark auf Figuren, die normal genug sind, dass es mir als Leser möglich ist, mich mit ihnen zu identifizieren.

 

Fantasyguide: Was hat Dich nun aber daran gereizt, dem bissigen Kolumnisten Holger M. Pohl auf die Finger zu schauen und seinen »D9E«-Roman zu lektorieren?

 

Merlin Thomas Als ich das Angebot bekam, hatte ich zufällig Holgers Roman gerade schon gelesen. Er hatte im Forum eine Bemerkung gemacht wie etwa »Mal sehen, wo ich Testleser herbekomme.« Da hatte ich mich ihm angeboten. Warum, kann ich gar nicht ganz genau sagen. Zum einen war ich neugierig, schon mal einen Blick auf die Zukunft der Reihe zu werfen (aus dem Grund war ich auch schon Testleser für Niklas Peineckes ersten Roman im »D9E«-Universum, Das Haus der blauen Aschen, gewesen). Darüber hinaus denke ich, dass ich ganz gut darin bin, Probleme in Texten aufzuzeigen. Es passte halt gerade irgendwie.

Als Ernst mich fragte, ob ich das Lektorat übernehmen würde, wusste ich daher schon, was mich im Text erwartete, war aber andererseits relativ sicher, dass ich auch einen sinnvollen Beitrag leisten würde. Eine sehr komfortable Situation, um so eine Entscheidung zu treffen, wie ich finde.

 

Fantasyguide: Ich weiß ja, dass Holger schreiben kann. Welche Erfahrungen hast Du gemacht?

 

Merlin Thomas Da ich den Roman vorher kannte, war mir das ebenfalls klar. Für einen hoffnungslosen Text hätte ich mir auch gar nicht die Mühe gemacht.

Aber es ist schon ein Unterschied, eine Kolumne oder eine Kurzgeschichte zu schreiben oder einen ganzen Roman. Die Komplexität ist viel höher, man muss das Interesse des Lesers länger aufrecht erhalten. Ich glaube, das kann gar nicht richtig gut gelingen, wenn nicht jemand anders noch mal von Außen darauf guckt, der nicht das implizite Wissen hat, über das man als Autor seiner eigenen Geschichte natürlich verfügt. Und dann kann man als Lektor sagen »hier, Seite 95, warum der da das macht, verstehe ich nicht«, während das für den Autor eventuell ganz schlüssig ist, er hat nur dem Leser nicht alle Informationen gegeben, die der braucht, um das ebenfalls nachzuvollziehen.

Außerdem schreibt man einen Roman ja auch über einen längeren Zeitraum, so dass Brüche und Redundanzen auftreten, die das Gehirn des Autors mit seinen Zusatzinformationen beim Lesen einfach ausgleicht, die mir als Lektor aber deutlich auffallen.

Schließlich zeigen sich auf 200 Seiten natürlich gewisse sprachliche Manierismen viel deutlicher als auf 10 Seiten, zum Beispiel wenn zum wiederholten Male eine Formulierung wie »hob die Schultern« auftaucht.

Alles in allem gab es also ein paar Ecken und Kanten zu schleifen, um die Geschichte im bestmöglichen Licht dastehen zu lassen. Aber das ist bei einer so komplexen Kreation wie einem Roman ganz normal. Die Substanz stimmte auf jeden Fall und den Rest haben wir auch gut hinbekommen.

 

Fantasyguide: Musstest Du Dich erst in die Reihe einarbeiten, oder warst Du bereits auf dem neuesten Stand und verschlingst jeden Band am Erscheinungstag?

 

Merlin Thomas Die erschienen Bände kannte ich alle, auch wenn ich es nicht immer gleich am Erscheinungstag schaffe, sie zu lesen. Durch den langen Vorlauf waren das zu dem Zeitpunkt, als das Lektorat begann, drei, wenn ich mich recht erinnere. Außerdem verfügte ich als Moderator des SFN-internen »D9E«-Autorenforums auch noch über die ein oder andere Insider-Information, so dass ich ohne weitere Vorbereitung für die Aufgabe gut gerüstet war. Um einen guten Anschluss an vergangene Ereignisse innerhalb der Reihe zu gewährleisten, habe ich dann während der Lektoratsphase noch das Manuskript von Dirk van den Booms Ein Leben für Leelu gelesen.

 

Fantasyguide: Der technische Hintergrund von »D9E« wird von Niklas Peinecke betreut. Brauchtest Du seine Hilfe, oder konntest Du als alter SF-Profi problemlos auf Holgers Finger klopfen, wenn er Flugscheiben, Darkener oder Portale ins »D9E«-Universum einschmuggeln wollte?

 

Merlin Thomas Die Technik in Holgers Roman fügt sich sehr unauffällig in den Hintergrund ein, den die zuvor erschienenen Romane vorgegeben hatten. An den ein, zwei Stellen, wo es mir ein wenig zu unplausibel wurde, sind wir uns schnell einig geworden.

 

Fantasyguide: Was darfst Du uns vorab zu seinem Roman verraten? Wird es Verknüpfungen zu den anderen Roman geben?

 

Merlin Thomas Wie schon erwähnt, habe ich »Ein Leben für Leelu« gelesen und das nicht nur zum Spaß, sondern um einen guten Anschluss zu ermöglichen. Wer den Kampf um die Raumstation aufmerksam verfolgt hat, dem wird vielleicht aufgefallen sein, dass die Wege gewisser Figuren sich getrennt haben. Und einem dieser Wege folgt Holger in seinem Roman.

Inhaltlich geht es darum, den mysteriösen Hondh und ihren Agenten nicht länger die Initiative zu überlassen. Die Den-Haag-Stiftung, die ja ebenfalls ein verbindendes Element in den Romanen der Reihe darstellt, rekrutiert daher Spezialisten für eine gefährliche Mission, die dem Zweck dient, Informationen aus erster Hand zu sammeln, um die freien Völker der Galaxis auf die befürchtete neunte Expansion vorzubereiten.

 

Fantasyguide: Hast Du nun selbst Lust, als Autor in die Reihe einzusteigen? Was könntest Du als Autor einbringen? Revolutionäre Ideen, blasphemische Gedanken, Konzeptumstürze?

 

Merlin Thomas Lust hätte ich natürlich, aber ich glaube, weitere Autoren würden der Reihe im Moment nicht zwangsläufig gut tun. Es gibt ja schon mehrere relativ unabhängige Handlungsstränge und die Leser müssen jeweils rund ein Jahr auf die Fortsetzung warten. Noch mehr Fäden in die Handlung einzubringen halte ich da nicht für sinnvoll.

Und tatsächlich ist das Team schon recht breit aufgestellt, da würde es mir schwerfallen, noch etwas ganz Neues einzubringen. Der Plot, den ich im Sinn hätte, würde sich eher dadurch auszeichnen, dass er etwas weglässt. Er würde nämlich ohne Raumflüge auskommen.

 

Fantasyguide: Gibt es etwas, was Dir in »D9E« fehlt? Kann man überhaupt noch etwas verbessern?

 

Merlin Thomas Verbesserung ist ab einem gewissen Niveau ja immer eine Frage der Perspektive. Was für den einen eine Verbesserung darstellt ist für den anderen ein Verschlechterung. Das Setting der Reihe gefällt mir sehr gut, da wüsste ich momentan nichts, was ich ändern würde. Die einzelnen Romane liegen mir als Leser natürlich mal mehr, mal weniger. Was ich vielleicht noch schön fände, wäre ein stärkeres Gefühl von sagen wir mal Kohärenz. Dass sich das »D9E«-Universum organischer anfühlt und ich den Eindruck gewinne, wenn an der einen Ecke etwas passiert, hat das auch nachvollziehbare Auswirkungen an ganz anderen Stellen. Aber im Endeffekt ist das ja nicht das Konzept der Reihe. In Ansätzen gibt es das natürlich, vor allem im Sinne einer fortschreitenden Zeit, die auf den (befürchteten) Beginn der neunten Expansion zuschreitet. Aber im Kern ist »D9E« ein Shared Universe, in dem Autoren ihre eigenen Geschichten unterbringen können, ohne sich an vorgegebene Exposés halten zu müssen. Unter dem Gesichtspunkt gibt es schon recht viele Verknüpfungen, die man als Leser entdecken kann, wenn man genau hinschaut.

 

Fantasyguide: Wirst Du weitere Werke lektorieren?

 

Merlin Thomas Lektorat ist im Endeffekt ein undankbarer Job. Er ist zeitintensiv und anstrengend. Die zur Verfügung stehende Zeit schrumpft zusammen, wenn der Autor seinen Abgabetermin überschreitet. Man befasst sich mit Material, das jemand anderes erstellt hat und muss versuchen, diesen jemand zu überzeugen (oder nötigenfalls zu überreden) gewisse Sachen zu ändern, um das Werk noch besser zu machen. Wenn man das schafft und mit seiner Meinung auch noch richtig lag, dann bekommt es niemand mit, weil kein Leser die Rohfassung kennt. Andersrum heißt es höchstens, dass das Lektorat geschlampt hat, wenn im Text Unstimmigkeiten vorhanden sind.

Daher also: ja. Ich übernehme auch das Lektorat für Holgers Fortsetzung seines »D9E«-Handlungsstranges.

 

Fantasyguide: Wie war die Zusammenarbeit mit Verleger Ernst Wurdack? Bestimmt ist es ganz nützlich, Kontakte zu knüpfen und schon mal Hallo gesagt zu haben?

 

Merlin Thomas Im Großen und Ganzen gab es nicht so viel zusammenzuarbeiten. Wir haben uns am Anfang ein wenig über die Aufgabe abgestimmt und hin und wieder hatte ich natürlich eine Frage danach, wie Ernst eine bestimmte Sache gerne gelöst haben möchte, gerade in formalen Aspekten, damit es zu seinen anderen Publikationen passt. Aber ansonsten habe ich hauptsächlich mit Holger gearbeitet und offensichtlich haben wir mit dem, was wir am Ende abgegeben haben, Ernsts Anforderungen erfüllt.

Ich habe mich sehr über diesen Vertrauensvorschuss gefreut und bin zufrieden, dass ich die Erwartungen erfüllen konnte.

 

Fantasyguide: Als Autor konntest Du Dich bereits in etlichen Kurzgeschichten beweisen, Operation Heal kam gerade erst frisch aus der Nominierungsrunde des DSFP zurück. Obwohl Bartträger bekanntermaßen preisunwürdig sind, bleibst Du am Ball. Was motiviert Dich?

 

Merlin Thomas Ich glaube, im Kern ist der Grund dafür, dass ich schreibe, ein Gefühl, das ich gelegentlich habe, wenn ich Bücher (oder Geschichten) lese, die veröffentlicht wurden: »Das könnte ich besser.« (Damit meine ich jetzt gar nicht die Kleinverlags-Phantastik-Szene, in der wir uns bewegen, sondern insbesondere Romane, die in großen Publikumsverlagen veröffentlicht wurden.)

Das mag überheblich klingen, ist aber nicht so gemeint. Es ist erst mal nur mein eigener Eindruck, der sich natürlich in der Praxis beweisen muss. Aber aufgrund der bisherigen Rückmeldungen zu meinen Geschichten scheine ich meine Sache nicht ganz falsch zu machen. Und solange das so ist, werde ich vermutlich auch weiter machen.

 

Fantasyguide: Magisches Handwedeln in der SF, wie oft setzt Du in Deinen Geschichten auf außergewöhnliche dramaturgische Hilfsmittel?

 

Merlin Thomas Ich versuche, es zu vermeiden. Aber manchmal bist du betriebsblind und bemerkst es gar nicht und es macht dich dann erst später ein Leser darauf aufmerksam und dann denkst du »Ach, Mist, da hätte ich eine bessere Lösung finden können.« So war es in der Tat bei »Operation Heal«, wo die Nanobots sicherlich unnötigerweise eine solche Rolle spielen.

Auf der anderen Seite glaube ich, dass es heutzutage recht schwierig ist, Science-Fiction zu schreiben, die komplett auf Handwedeln verzichtet. Die wissenschaftlichen Erkenntnisse in vielen Bereichen sind so weit vorangeschritten, dass eine einzelne Person nicht mal mehr ansatzweise den Überblick bewahren kann. Ich glaube, das ist ein Grund, warum ich relativ wenig Science-Fiction schreibe, obwohl es als Leser eigentlich mein bevorzugtes Genre im phantastischen Bereich ist. Der Aufwand, den Weltenbau in einem Science-Fiction-Setting wasserdicht zu bekommen, ist sehr hoch. Ich merke, dass ich da selbst recht kritisch bin, wenn ich Science-Fiction lese oder sehe und möchte daher auch etwas entsprechend Schlüssiges liefern. Da besteht aber die Gefahr, dass der Rechercheaufwand überhand nimmt und in keinem vernünftigen Verhältnis zur erzählten Geschichte mehr steht.

Vielleicht bin ich da überkritisch mit mir selbst, aber ich glaube, dass ist einer der Gründe, warum ich eher zu Settings neige, in denen absolute Konsistenz mit heutigen Gegebenheiten weniger ausschlaggebend ist oder in denen ein ein übernatürliches Element in die heutige Welt eingeführt wird.

(Und ganz ohne empirische Bestätigung vertrete ich auch die These, dass das eine Ursache für die gefühlte Popularität von Steampunk derzeit ist.)

 

Fantasyguide: Reizen Dich Ausschreibungen? Wie gehst Du an gestellte Themen heran? Springen Dir die Ideen ins Genick oder musst Du erst Deine Muse küssen?

 

Merlin Thomas Ausschreibungen reizen mich insofern, als dass sie drei meiner Schwächen entgegenwirken:

1) Ich bin faul. Eine Ausschreibung hat einen Abgabetermin, der mich unter den nötigen Druck setzt, um einen Text fertig zu bekommen.

2) Ich bin zu vielseitig interessiert und kann mich schlecht entscheiden, welche Idee ich verfolgen soll. Eine Ausschreibung gibt üblicherweise ein Thema oder zumindest einen Ansatzpunkt vor.

3) Ich bin nicht besonders gut darin, mich selbst zu vermarkten. Die Vorstellung, einen Text fertig zu haben und für den dann eine Veröffentlichungsmöglichkeit suchen zu müssen, erschreckt mich. Bei einer Ausschreibung hat der Herausgeber mich ja explizit aufgefordert, ihm etwas zuzuschicken. Da kann ich meine Unsicherheit leichter überwinden.

Wie leicht die Ideen kommen, ist recht unterschiedlich. Ich habe da auch noch nicht mein optimales Verhältnis zwischen Plotten und entdeckendem Schreiben gefunden. Normalerweise ist es schon so, dass ich zu dem Thema der Ausschreibung ein Brainstorming mache, um möglichst viele verschiedene Aspekte abzudecken und dann versuche, die dabei entstehenden Figuren, Orte, Begriffe etc. miteinander in Zusammenhang zu bringen. Daraus entwickele ich dann einen Plot, von dem ich zumindest Anfang, Mittelpunkt und Ende kenne, manchmal auch noch einige Schritte zwischendrin. Das, was die Geschichte füllt, entsteht dann aber meist erst beim Schreiben, wenn ich einen Pfad suche, der mich von dem einen Plotpunkt zum nächsten führt.

Manchmal ist es aber auch ganz anders und die ganze Geschichte entsteht mit einem Schlag in meinem Kopf. Insbesondere bei sehr kurzen Geschichte, die stark auf eine Pointe ausgelegt sind, wie es etwa die Miniaturen der Phantastischen Bibliothek Wetzlar sind, zu denen ich einige beigesteuert habe (Bände 5, 6, 7 und 9 – Anm. d. Red.).

 

Fantasyguide: Am 12. April 2015 konnte ich Dich in Second Life live erleben und Du liest wie ein Hörspielprofi. Talent oder stetiges Üben?

 

Merlin Thomas Danke. Vermutlich gehört etwas Talent dazu, aber ohne Übung geht es nicht. Meine Übung besteht hauptsächlich darin, meinem Sohn jeden Abend eine Gute-Nacht-Geschichte vorzulesen. Und das versuche ich, möglichst unterhaltsam für ihn zu gestalten, mit unterschiedlichen Stimmen etc. und auch mit deutlicher Aussprache und Betonung, damit er der Geschichte auch folgen kann. Da das in einem geschützten Raum stattfindet, bin ich da auch recht experimentierfreudig.

Das habe ich dann einfach mehr oder weniger auf die Lesung übertragen und es scheint ganz gut angekommen zu sein.

Und natürlich lese ich die Geschichte, die ich vortragen möchte, vor der Veranstaltung dann auch noch ein, zwei Mal laut vor, um zu Wissen, wo mögliche Stolpersteine liegen. (Was ich sinnvollerweise natürlich schon bei der ursprünglichen Überarbeitung tun sollte, aber meist ist der Zeitdruck dann dort so hoch, dass ich nicht mehr dazu komme.)

 

Fantasyguide: In Deinem ersten Langwerk wird es um eine Goblindame gehen. Ich hoffe doch, dass sie in dunklen Höhlen Elfen quält. Was wird in diesem Fantasybuch noch so alles passieren?

 

Merlin Thomas Eher ein Mädchen als eine Dame. Und Elfen sind bislang noch nicht aufgetaucht, obwohl eine Höhle eine Rolle spielt. Eigentlich möchte Greeta, so lautet ihr Name, gerne in eine richtige Schule gehen wie die Menschenkinder, in der sie lesen und schreiben und rechnen lernt. Stattdessen muss sie die Sachen lernen, die sie später als Dienerin eines Menschen brauchen wird: kochen, nähen und waschen. Auf einem Schulausflug, auf dem die Goblinkinder Kräuter sammeln und Fallen stellen sollen, wird ihr unbeliebter Begleiter durch ein Missgeschick von Räubern entführt. Natürlich lässt Greeta ihn nicht im Stich und so wird ihr schnell klar, dass nicht nur das Schicksal eines Klassenkameraden, sondern das einer ganzen Stadt in ihren Händen liegt. Und ebenso wird ihr – schmerzhaft – klar, dass sie alleine nicht dazu in der Lage ist, das Schicksal abzuwenden. Daher muss sie möglichst schnell lernen, anderen zu vertrauen, um Tribrücken zu retten. Aber bis sie die Gelegenheit dazu bekommt, muss sie sich erst noch in dunklen Wäldern, einstürzenden Höhlen und von wilden Schafsböcken bewachten Weiden beweisen.

 

Fantasyguide: Warum überhaupt Fantasy und warum ein Kinder-/Jugendbuch? Wird es wie versprochen zu Weihnachten erhältlich sein?

 

Merlin Thomas Wie viele der Texte, die ich schreibe, entstammt die Idee ursächlich einer Ausschreibung. Die, zu der dieses Buch passen würde, ist schon so seit fünf Jahren abgelaufen, ich bin da nicht immer der schnellste. Aber die Idee war da und setzte sich fest und reifte. Irgendwann fang ich an zu schreiben, legte den Text dann beiseite, aber kam auch immer wieder zu ihm zurück. Ich ging zunächst davon aus, dass ich den vorgesehenen Plot in einer etwas längeren Kurzgeschichte unterbringen würde, vielleicht 60.000 oder 80.000 Zeichen. Aber die ungestüme, eigenwillige Greeta ist weit davon entfernt, dem geraden Weg zu folgen, den ich vorgesehen hatte, und so bin ich inzwischen bei ca. 250.000 Zeichen und ich schätze mal die 300.000 werden noch locker zusammenkommen.

Dass es bis Weihnachten fertig wird, bezweifele ich. Neben dem »D9E«-Lektorat sind mir da auch noch ein paar andere Projektangebote dazwischen gekommen. Und ob es bis dahin erhältlich sein wird, kann ich natürlich überhaupt nicht sagen. Denn selbst wenn ich es fertig bekommen sollte, muss ich ja noch einen Verlag davon überzeugen und der hätte dann ja auch wieder Vorlauf etc.

Aber es gibt ja immer noch ein nächstes Weihnachten.

 

Fantasyguide: Wer lektoriert eigentlich Dich? Kannst du damit gut umgehen oder bist Du lieber der unfehlbare Künstler? Wortgewalt in Satz und Werk?

 

Merlin Thomas Bislang bin ich noch nicht in den Genuss eines ausführlichen Lektorats gekommen, daher kann ich nicht hundertprozentig sagen, wie ich damit umgehe. Von den Herausgebern meiner bisherigen Geschichten gab es natürlich immer mal kleinere Änderungswünsche und Anmerkungen, aber nicht auf einem Niveau, das ich wirklich als Lektorat bezeichnen würde. Natürlich gibt es bei einem Roman auch viel mehr Ansatzpunkte für Diskussionen und Verbesserungen.

Aber ich freue mich drauf, wenn es mal soweit ist, weil ich die Hoffnung habe, dadurch dazuzulernen und mich weiterzuentwickeln. Für unfehlbar halte ich mich bei Weitem nicht.

 

Fantasyguide: In Deinem Blog hast Du auch über eine Schreibblockade berichtet und sie quasi live überwunden. Welche Rolle spielt der Blog für Dich?

 

Merlin Thomas Interessant. Als Schreibblockade habe ich das gar nicht aufgefasst. Ich bin nicht sicher, ob ich viel von dem Konzept der Schreibblockade halte. Ich sehe es eher als Trägheit, die es zu überwinden gilt. Wenn ich es nur schaffe, anzufangen, kann ich meiner Erfahrung nach auch immer etwas zu Papier bringen. Nur das Anfangen fällt mir oft schwer. Aber nicht, weil ich mich kreativ blockiert fühle. Allerdings weiß ich auch nicht genau, was stattdessen der Grund für diese schwierig zu überwindende Schwelle ist. Vielleicht einfach nur, weil ich ein fauler Hund bin. Obwohl ich glaube, es steckt noch mehr dahinter, was ich bislang noch nicht durchschaut habe.

Aber du hattest ja eigentlich nach der Bedeutung des Blogs für mich gefragt. Auch das ist eine Frage, die ich nicht einfach beantworten kann. Natürlich ist es ein Platz zur Selbstdarstellung, zu der ich aber auch ein ambivalentes Verhältnis habe.

Ich glaube, hauptsächlich war es ein Einfach-mal-ausprobieren-Wollen, das sich bis jetzt gehalten hat und mal mehr, mal weniger intensiv von mir genutzt wird.

 

Fantasyguide: Viele AutorInnen pflegen über ihre Homepage, über Blogs oder soziale Netzwerke Kontakte zu LeserInnen und KollegInnen. Manche nutzen es eher zur Werbung oder Selbstdarstellung. Wieviel Öffentlichkeit kannst Du ertragen?

 

Merlin Thomas Noch so eine schwierige Frage. Je weniger ich die Öffentlichkeit kenne und je asynchroner die Kommunikation mit ihr ist, desto mehr kann ich sie ertragen, würde ich sagen. Vielleicht gefällt mir auch die Öffentlichkeit, nur die Menschen, aus denen sie besteht machen mir Angst.

Möglicherweise kann ich mir auch einfach nicht vorstellen, dass es eine Öffentlichkeit gibt, die ein Interesse daran hat, das zu lesen, was ich veröffentliche. Dafür empfinde ich mich selbst vermutlich als zu uninteressant.

Ich habe da wirklich keine Antwort. Aber wenn ich sie irgendwann gefunden habe, hilft mir das sicherlich auch dabei, zu erkennen, wozu ich das Blog habe und wie ich es regelmäßiger schaffe, Inhalte einzustellen.

 

Fantasyguide: Du scheinst auch ein großer Fan von Podcasts zu sein. Welche kannst Du unseren LeserInnen empfehlen?

 

Merlin Thomas Ein paar habe ich ja in meinem Blog schon vorgestellt und die sind auch weiterhin absolut empfehlenswert: Ausgespielt, Methodisch inkorrekt, die Schreibdilettanten.

Einen sehr unterhaltsamen, lehrreichen und inspirierenden Podcast finde ich auch Dan Carlin's Hardcore History. Das ist ein Geschichtspodcast, allerdings ein englischsprachiger. Dan Carlin ist ein hervorragender Geschichtenerzähler, nur dass seine Geschichte halt die Geschichte ist. Aber so mitreißend vorgetragen, dass ich mich der Faszination nicht entschließen kann. Seine Folgen gehen selten unter drei Stunden und viele Themen behandelt er über mehrere Sendungen hinweg. Gerade höre ich mich zum Beispiel durch den ersten Weltkrieg, vorher waren beispielsweise der Spanisch-Amerikanische Krieg und das Wiedertäufer-Reich von Münster behandelt worden. Und aus jeder Episode könnte ich haufenweise Geschichten machen. Ich kann jedem nur raten, da mal reinzuhören, Carlin spricht langsam und deutlich, so dass man sich auch von der englischen Sprache nicht verunsichern lassen sollte.

Ansonsten gibt es natürlich auch einige Podcast du für die Leser eine Phantastik-Seite themenrelevant sein könnten. Da fallen mir ein Alle Bücher wollen gelesen werden, in dem immer zwei Bücher aus dem Bereich der Phantastik einander gegenüber gestellt werden, oder Sigma2Foxtrott, in dem in wechselnder Runde über Science-Fiction-Themen diskutiert wird. Ich muss allerdings gestehen, dass ich die selbst nicht regelmäßig höre, da ich viele aktuelle (und auch nicht mehr so aktuelle) Bücher noch nicht kenne, und mich nicht unabsichtlich spoilern lassen will.

 

Fantasyguide: Bei all Deinen Hobbys musst Du doch unter akuter Zeitnot leiden. Steckt ein Geheimnis hinter Deinem Zeitmanagement? Bremst Dich Deine Familie auch einmal?

 

Merlin Thomas Zeitnot habe ich definitiv, insbesondere, wenn es darum geht, Interviewfragen zu beantworten. Ansonsten sehe ich mich aber eher als sehr trägen, um nicht zu sagen faulen Menschen. Daher mache ich bei Weitem nicht alles, was ich gerne würde. (Und seit der Einführung von Netflix in Deutschland ist das nicht gerade besser geworden.)

Ich denke, meine Familie hat hoffentlich nicht viel Veranlassung, mich bei irgendetwas zu bremsen, da ich versuche, ihr immer den Vorrang zu geben. Ich bin keiner der Autoren, der sagt, von 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr ist Schreibzeit und in der dürft ihr mich nicht stören. Ich versuche, alle meine Hobbyaktivitäten in die Zeiten zu legen, in denen meine Familie sowieso nichts von mir hat, hauptsächlich also die täglichen Pendelfahrten im Zug und – wenn ich mich aufraffen kann – noch mal Abends ein Stündchen, wenn die anderen schon eingeschlafen sind. Oder ich mache Sachen, die ich nebenbei machen kann, etwa Jonglieren üben, während ich auf das Teewasser aus dem Wasserkocher warte.

Nur für sehr wichtige Aufgaben, wie etwa das Einreichen von Uni-Hausaufgaben oder für Sachen, bei denen ich täglich am Ball bleiben möchte, wie etwa eine Spanisch-Lektion, nehme ich mir nötigenfalls auch mal tagsüber die Zeit, die ich dafür brauche.

 

Und mein Sohn hat schon genug eigene Projektideen, für die er mich einspannt, da er alleine noch nicht dazu in der Lage ist, sie umzusetzen. Vor einiger Zeit haben wir begonnen, eine Sandmännchen-Folge im Stop-Motion-Verfahren mit Lego-Figuren nachzustellen. Und er hat noch einige andere Sendungen auf seiner Liste, die er gerne rebooten möchte. Außerdem sind wir derzeit gerade dabei, uns in den Roboterbau mit Arduino und Co. einzuarbeiten. Mal sehen, was er noch für Ideen mitbringt, wenn er im Sommer in die Schule kommt.

 

Fantasyguide: Neben Deinem Buch über Greeta und Knuut, was steht noch in der Warteschlange und hofft auf ein baldiges Erscheinen? Welche Projekte planst Du gerade?

 

Merlin Thomas Es gibt noch zwei Kurzgeschichten, die bei verschiedenen Verlagen bzw. Projekten auf ihre Veröffentlichung warten. Eine Gaslight-Geschichte und eine Märchen-Fantasy-Geschichte. Da sollte ich mal nachhaken, aber ich weiß ja, dass auch bei den Kleinverlegern in der Szene der Tag nur 24 Stunden hat. Daher übe ich mich in Geduld.

Zwei, drei Geschichten, die mir recht gut gefallen, liegen auch noch in meinem Zu-überarbeiten-Ordner. Die sollte ich mir mal vornehmen und dann schauen, was ich mit ihnen anfangen kann.

Darüber hinaus ist mir vor einiger Zeit die Mitarbeit an zwei interessanten Projekten angeboten worden, was ich nicht ausschlagen konnte. Für eins habe ich bereits den ersten Text abgegeben, auf das andere muss ich mich jetzt konzentrieren.

Darüber hinaus habe ich natürlich noch verschiedene andere Ideen. Diejenige, die mich im Moment am meisten beschäftigt, ist, die Steampunk-Geschichte Befreiungsschlag über eine Revolution auf dem Mars (aus Geschichten aus dem Aether) zu einem Roman auszubauen. Dafür sammele ich nebenbei Ideen und betreibe Recherchen. Aber spruchreif ist da noch lange nichts. Prinzipiell reizt es mich, in viele der Welten, die ich geschaffen habe, mal wieder zurückzukehren.

Aber ich bin niemand, der einen langfristigen Weg zum Ruhm verfolgt, sondern nehme eher die Gelegenheiten wahr, die mir über den Weg laufen.

 

Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview!

 

Merlin Thomas Ich bedanke mich für die sehr interessanten Fragen, die mich teilweise wirklich zum Nachdenken gebracht haben. (Wobei ich jetzt noch nicht in jedem Punkt zu einem endgültigen Ergebnis gekommen bin.) Und für deine Geduld und unermüdliche Stichelei bis du meine Antworten bekommen hast.

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D9E – Die neunte Expansion

Buch:

Fünf für die Freiheit

Reihe: Die Neunte Expansion 8

Autor: Holger M. Pohl

Cover: Ernst Wurdack

Taschenbuch, 286 Seiten

 

Wurdack Verlag, 13. April 2015

 

ISBN-10: 3955560171

ISBN-13: 978-3955560171

 

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Kindle-Asin: B010QT0T0U

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024101503133982541544
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Erstellt: 03.07.2015, zuletzt aktualisiert: 11.07.2024 19:06, 13996