Der Tischgast der letzten Feste (Autor: Auguste Villiers De L'Isle-Adam; Bibliothek von Babel Bd. 27)
 
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Der Tischgast der letzten Feste von Auguste Villiers De L'Isle-Adam

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 27

Rezension von Oliver Kotowski

 

Rezension:

Der siebenundzwanzigste Band der Bibliothek von Babel enthält acht Novellen aus Auguste Villiers De L'Isle-Adams 1883 erschienenen Sammelband Contes Cruel. Wie der Titel bereits vermuten lässt, beschert J. L. Borges dem Leser mit Der Tischgast der letzten Feste einige bittere contes cruel.

 

Zu den einzelnen Geschichten:

Die Hoffnung (10 S.): Rabbi Aser Abarbanel wird vom Geistlichen Gericht zu Saragossa gefangen gehalten. Man wirft ihm Wucher und erbarmungslose Verachtung der Armen vor. Seit einem Jahr wird er unablässig gefoltert, da er seinem Glauben nicht abschwören will. Nun tritt der ehrwürdige Pedro Arbuez d'Espila, der dritte Großinquisitor Spaniens, in die Zelle und verkündet mit Bedauern das abschließende Urteil: Am Abend solle der Rabbi am Autodafé teilnehmen. Als der Dominikaner geht, schließt sich die Tür nicht zur Gänze – der Rabbi kriecht in Richtung Freiheit.

Die Geschichte schließt an E. A. Poes Grube und Pendel (z. B. in Der entwendete Brief) an, greift aber einen anderen Aspekt auf.

Das Abenteuer des Tse-I-La (13 S.): Der Künstler und Wissenschaftler Tse-I-La kommt mit einem sonderbaren Ansinnen an König Tsche-Tangs Hof: Er fordert die strahlende Königstochter, die Mandarinsinsignien und fünfzigtausend Liang in Gold; dafür bietet er die Fähigkeit Attentäter und Verräter mit absoluter Sicherheit zu erkennen. Der Hof tobt – welch' ein Hochstapler! Welch' ein Irrsinn! Doch Tse-I-La bleibt standhaft. Er bietet dem König an das Geheimnis unter vier Augen zu verraten und sei es den geforderten Preis nicht wert, bietet er als Entschädigung für die Belästigung sein Leben.

Hierbei handelt es sich um ein prahlerisches Schelmenstück mit doppelter Täuschung.

Der Einsatz (10 S.): In der barocken Villa der Maryelle hat sich eine Gruppe von Bonvivants zu einem Kartenspiel versammelt. Der Vicomte Le Glaieul, ein gut gestellter Lebemann, ist am gewinnen, der Abbé Tussert, ein düsterer, vom Glauben abgefallener Priester, verliert. Noch ein Spiel? Tussert bietet für Fünfundzwanzig Louisdor einen ausgefallenen Einsatz: Das Geheimnis der Kirche. Abfällig lächelnd nimmt die Runde an.

Hier wird das Kernmotiv von Philipp Vandenbergs Sixtinische Verschwörung oder Dan Browns Sakrileg vorweggenommen; Der Einsatz ist aber aufgrund seiner Offenheit wesentlich eleganter.

Königin Isabeau (10 S.): 1404 residiert Isabeau, die Gemahlin König Karl des VI., im Pariser Palais Barbette. Sie veranstaltet in ihren Gemächern dekadente Dauerfestivitäten, bei denen gewaltige Vermögen verprasst werden und Unzucht zum guten Ton gehört. Viel Aufmerksamkeit erhält die schöne, aber keusche Bérénice Escaba. Der junge Edelmann de Maulle, ein Geliebter der Königin, lässt sich unvorsichtigerweise zu einer kühnen Wette verleiten: Er werde Bérénices Keuschheit in Bälde bezwungen haben.

Dieses ist eine bitterböse Geschichte um die Eitelkeiten der Edelleute.

Der Tischgast der letzten Feste (38 S.): In einem Pariser Theater kommt eine fröhliche Zufallsgesellschaft zusammen: Neben dem Erzähler und seinem Freund C. kommen noch drei illustre Damen – Die Aschblonde Clio, Antoine Chantilly und Annah Jackson. Man beschließt im Maison dorée weiterzufeiern. Der Erzähler trifft noch einen weitläufigen Bekannten, den Baron H. Die Damen bestehen darauf, dass er dazu stößt und so fügt sich der etwas abwesend wirkende Fremde. Er stellt sich allerdings lieber als "Baron Saturn" vor – schließlich ist Karneval. Irgendetwas stört den Erzähler an dem Baron.

Der Tag des Saturns ist natürlich der Saturday – auf Deutsch der Samstag. In den Voodoo-Kulten gibt es einen Baron Samstag, besser bekannt als Baron Samedi. Ist das ein Zufall oder eine Anspielung? Der geneigte Leser mag es selbst entscheiden. Diese conte cruel dürfte mittlerweile ihre Kraft verloren haben, denn wo für Borges noch Wahnsinn und Gerechtigkeit zusammenfallen, dürfte für den heutigen Leser nur Wahnsinn herrschen; dieser aber ist bekannt und mit dem modernen Thema snuff weit überflügelt.

Düster die Erzählung, düsterer noch der Erzähler (13 S.): Als bei einem Souper von Theaterautoren die Sprache auf Duelle, einem zentralen Bestandteil der Pariser Unterhaltung, kommt, berichtet Monsieur D. von einem bewegendem Ereignis. Dessen alter Freund Raoul de Saint-Sever erzählt von einem Duell. Zunächst vermutet D., dass es sich um ein Theaterstück handele – und das eines naiven Anfängers dazu, so kitschig und klischeehaft wie es ist – doch dann stellt er fest, dass Raoul beabsichtigt sich zu duellieren und D. gerne als Sekundanten hätte.

Auch wenn der Schockmoment fehlt, ist es eine wahre conte cruel: Theaterautor D. kann nicht anders als die Authentizität des Duells und seine echten – nicht geheuchelten! – Tränen preisen.

Vera (16 S.): Graf d'Athol betritt in Trauerkleidung und leichenfahl das Gemach seiner geliebten Gemahlin. Etwas Grauenhaftes war geschehen. Er ruft den alten Diener Raymond – das ganze Personal ist wegzuschicken. Wir wollen uns stärker als bisher zurückziehen. Vera, die lebenslustige Vera, ist tot. Nur noch ein blutbeflecktes Taschentuch. Graf d'Athol beschließt mit all seiner Kraft an Veras Weiterleben zu glauben.

Eine melancholische Tragödie mit bitterem Ende zur ménage à trois Liebe, Tod und Wahnsinn.

 

Die unterschiedlichen Schauplätze werden zwar nur begrenzt weit ausgeführt, dennoch sind die jeweiligen Settings zumeist wichtig für die Handlung, was bei Düster die Erzählung, düsterer noch der Erzähler am deutlichsten zu sehen ist: Ohne die Verquickung von Theater und Duell ist die Geschichte nicht denkbar. Die Plots entwickeln sich quasi aus dem Setting. Die Figuren werden ähnlich skizzenhaft ausgeführt; sieht man von Vera ab, so geht es eigentlich immer um das Aufeinandertreffen von Naivität, Gedankenlosigkeit oder gar Leichtsinnigkeit auf Grausamkeit – letztere wird immer den Mächtigen zugeordnet, die ersteren nur manchmal.

Die Plots gehören zwar allesamt zum Horror, doch nicht zum supernatural horror – es gibt kein einziges übernatürliches Element, nicht einmal andere phantastische Elemente. Sie gehören, wie eingangs erwähnt, zu den contes cruel. Das legt natürlich einen Vergleich mit den Geschichten von Ambrose Bierce – 'Bitter Bierce', dem König der conte cruel – nahe, vor allem Die Brücke über den Eulenfluß. Keine der hier enthaltenen Geschichten kann so ruckartig und so nachhaltig alle Hoffnung zerstören, wie es Bierce macht. Dennoch sind Villiers De L'Isle-Adams Geschichten nicht bloß vom historischen Interesse: Sie bleiben interessant aufgrund ihrer eigentümlichen Hintersinnigkeit und ihrer Offenheit.

Dem modernen Leser könnte der Plotfluss etwas zu langsam vorkommen, was an der teilweise sehr sorgfältigen Vorbereitung und seltenen Digressen liegt.

Der Stil ist einigermaßen kompliziert und mit vielen Schachtelsätzen versehen, gerät jedoch nie ins Stocken. Die Wortwahl ist dem Entstehungszeitraum entsprechend etwas altertümlich, aber sehr plastisch und außerordentlich treffend; schöne Metaphern und die feine Ironie des Erzählers runden den Gesamteindruck positiv ab.

 

Fazit:

Ob Spanische Inquisition, chinesischer König oder französische Adlige, stets sind die Mächtigen grausam gegenüber den Naiven, Gedankenlosen oder Leichtfertigen. J. L. Borges präsentiert acht contes cruel, die aufgrund ihrer Hintersinnigkeit und Offenheit noch immer überzeugen können.

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024041905310769d70e8a
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Titel: Der Tischgast der letzten Feste

Reihe: Die Bibliothek von Babel Bd. 27

Original: Ohne Angabe

Autor: Villiers De L'Isle-Adam

Übersetzer: Elke Wehr

Verlag: Edition Büchergilde

Seiten: 126-Gebunden

Titelbild: Bernhard Jäger

ISBN-13: 978-3-940111-27-2

Erhältlich bei: Amazon


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Erstellt: 11.06.2008, zuletzt aktualisiert: 12.04.2024 09:51, 6685