Fantasyguide: Warum gibt es bei Dir einen so eklatanten Mangel an weiblichen Figuren?
Thomas Sieber: Ok, es gibt da möglicherweise einen Mangel, aber eklatant würde ich nun auch nicht sagen. Es kommen hier und da weibliche Figuren vor, zumindest in Nebenrollen, nicht zuletzt der erwähnte Bläserich. Mich in eine weibliche Hauptfigur hineinzudenken hatte bisher keinen besonderen Reiz für mich. Derzeit schreibe ich übrigens, wie es der Zufall will, an einer Story in der ein weiblicher Roboter bis ans Ende aller Zeiten versetzt wird, allerdings ist es auch wieder so eine Art Bläserich …
Vielleicht sollte ich mal meinen Psychiater fragen, was es damit auf sich hat. So oder so finde ich man sollte nicht anfangen, Quoten einzuführen, besonders nicht beim Schreiben, das widerspräche der künstlerischen Freiheit auf eklatante Art.
Fantasyguide: Auf der Gitterwelt selbst wird es etwas esoterisch, ohne dass Du ganz genau erklärst, was es mit den seltsamen Phänomenen auf sich hat. Wie gehst Du mit Genre-Grenzen um? Keine Angst vor den Hard-SF-Puristen?
Thomas Sieber: Überhaupt nicht. Als Physiker könnte mir sicherlich pseudo-wissenschaftliche Erklärungen für alles Mögliche ausdenken, aber mal ehrlich, wer will das lesen? Wichtiger finde ich, dass die Erzählung im Fluss bleibt und den Leser (und mich) bei Laune hält. In den »Rock‘n Roll Astronauten« geht das hier und da schon ziemlich an die Grenze, aber dafür ist es ja auch eine Komödie. Gibt es eine wissenschaftliche oder technische Erklärung für die Gitterwelt? Bestimmt keine, die dem Ich-Erzähler nach dem zehnten Space-Beer glaubhaft über die Lippen kommen könnte …
Fantasyguide: Warum überhaupt SF? Oder schreibst Du auch Anderes?
Thomas Sieber: Die Dinge haben für mich mehr Gewicht und größere Faszination, wenn ich sie aus einer »SF-Perspektive« beschreibe. Mich hat zum Beispiel der Versuch von Andrew McAuley von Tasmanien nach Neuseeland mit dem Kajak zu fahren sehr beeindruckt, ich kann mir kaum eine mutigere Tat vorstellen – wenn es auch an Wahnsinn grenzte. Bei dem Gedanken, darüber eine Story zu schreiben, komme ich nicht auf die Idee, dass diese im Hier und Jetzt handeln könnte, oder dass ich mich gar an die realen Ereignisse halte. Ich bin aber dabei nicht verbissen oder »SF Purist«. Die Grenzen zum sogenannten »Mainstream« sind fließend, das finde ich gut. Es erweitert die Möglichkeiten für Autoren in beide Richtungen. Beispiel: Der Wolkenatlas, ein Weltbestseller.
Fantasyguide: »Kaus Medius« erzählt eigentlich eine ziemlich tragische Geschichte und doch sind die Riesen recht glücklich erscheinende Typen. Ziemlich zufrieden mit ihrem Leben. Du verlässt sie just in dem Augenblick, wo sich das ändern könnte. Warum?
Thomas Sieber: Der Zustand der Riesen ist sorgenfrei, von mir aus auch glücklich aber im Grunde menschenunwürdig. Die Situation hat natürlich ihre komischen Seiten, die man jeder Tragik abgewinnen kann, wenn man will. Man muss sich aber vorstellen, dass die Riesen die letzten Menschen sind, all die kulturellen und wissenschaftlichen Errungenschaften der Menschheit sind verloren, weil die Kolosse sie nicht mehr begreifen. Das Ende der Story deutet an, dass sich dies ändern könnte, es ist von daher hoffnungsvoll. Die Menschen werden ihr Erbe nicht vergessen, allerdings kostet sie das die Bequemlichkeit eines abgestumpften Daseins …
Fantasyguide: Die große Stoffdichte und die funkensprühenden Ideen reichten doch eigentlich auch für Romane. Warum die Kurzform?
Thomas Sieber: Ich schreibe derzeit an der erwähnten Kurzgeschichte mit der sagen wir mal weiblichen Hauptfigur und hoffe, dass sich eins der Magazine dafür interessiert. Auf jeden Fall wird sie im nächsten Kurzgeschichtenband, den ich wieder selbst herausbringen möchte, enthalten sein. Für diesen Band sind noch zwei, drei andere Geschichten auf der Liste, darunter auch die Kajak-Story. Wenn ich diese geschrieben habe, kommt definitiv als nächstes Projekt der Roman. Thema: Entweder die Fortführung des »Jazz Festivals«, der Ausbau der »Äquatorstraße« oder eine komplett neue Story, in der ich meine Jugenderlebnisse aus den Achtzigern verarbeiten will, und die vom Stil her wohl den »Rock‘n Roll Astronauten« am ähnlichsten wäre.
Fantasyguide: Mit Schlopp traust Du Dich auch, ein Gedicht an die Leserschaft zu bringen. Ein Ausrutscher oder wartet da ein ganzes Gedichtregal auf die Veröffentlichung?
Thomas Sieber: Einer der Punkte auf der oben genannten Liste ist ein weiteres Gedicht, »Schlopp« war also sicher kein Ausrutscher. Ich habe auch noch eine ziemlich lange, derzeit nur ins Unreine geschriebene Story, bei der ich überlegt habe, wie sie wohl im Shakespeare-Stil rüberkommen würde, die Star Wars Variante »Fürwahr eine neue Hoffnung« fand ich super … Ein Regal kann ich leider in keiner Hinsicht anbieten. Ein Teil meines eigenen Bücherregals wird allerdings schon von Gedichtbänden eingenommen.
Fantasyguide: Leben wir noch im Land der Dichter und Denker oder beherrscht uns schon der Markt mit seinem Sohn, dem Mainstream?
Thomas Sieber: Der Kommerz beherrscht Kunst und Kultur wohl mehr als je zuvor. Umso wichtiger finde ich es, dass es kleine Verlage und Magazine gibt, und auch Autoren, die auf eigene Faust Projekte verwirklichen, die sich nicht ausschließlich an den Anforderungen des Marktes orientieren. Was die Autoren betrifft, so muss jeder für sich selbst entscheiden inwieweit er sich vom Markt beherrschen lässt – wohlgemerkt wenn sich der Markt denn überhaupt für ihn interessiert. Für jemanden der nachts bis um zwei am Schreibtisch sitzt und morgens zur Arbeit geht, hat die Vorstellung, vom Schreiben leben zu können, etwas ungemein verlockendes, alles andere wäre gelogen. Ich würde aber dafür nicht irgendwelchen Fantasy-Trends hinterher rennen oder dürftige Storys auf Backsteinformat aufblasen. Das hat mit Kunst nichts zu tun, da ist mir mein jetziger Job lieber. Ich bin der festen Überzeugung, Qualität setzt sich durch, das muss man versuchen, auch wenn’s vielleicht etwas länger dauert.
Fantasyguide: Wo liegen Deine literarischen Interessen? Gibt es etwas jenseits der Science Fiction? Kaufst Du gar Lyrik-Bändchen?
Thomas Sieber: Ich lese viele Sachbücher, viel über Naturwissenschaften, die Entstehung des Lebens und Kosmologie, aber auch Völkerkunde und Geschichte. Wenn es um Belletristik geht ist die Antwort: Ich lese Bücher von Autoren, die gut mit Sprache umgehen können, originelle Ideen und ein Gefühl für authentische Momentaufnahmen des Lebens haben – und für Abenteuer! Bei allem gilt, wenn Humor im Spiel ist, gefällt mir eine Story doppelt gut. Lyrik-Bände habe ich auch einige, Goethe, Yeats, Heinz Erhardt und so …
Fantasyguide: Und da wir gerade beim Kaufen sind – welche Bücher kannst Du bedenkenlos zu Lektüre empfehlen, was begeistert Dich im Moment und für die Ewigkeit?
Thomas Sieber: »Clockwork Orange« und »Solaris« habe ich bereits erwähnt, fehlen noch Die linke Hand der Dunkelheit, und Lobgesang auf Leibowitz, dann hat man für mich die ganz großen Meisterwerke der Science Fiction beisammen, leider alles schon ältere Bücher, ich schätze, ich lese zu wenig neue. Hier könnte ich nochmal den »Wolkenatlas« anführen, der ist teilweise brillant geschrieben. Auch den Marsianer fand ich was die Grundidee betrifft sehr gut. Ich bin ziemlich spät auf Jack Vance und die Sterbende Erde gestoßen, das hat mich begeistert, ich finde, nur wenige können so schreiben. Außerhalb der F&SF fällt mir TC Boyle ein, dessen Ansicht Romane seien wie Rockkonzerte es für mich ziemlich auf den Punkt bringt, außerdem Charles Bukowski, wegen seinem Sinn für Humor, alle fünf Jahre lese ich auch mal wieder Es von Stephen King. Last not least mag ich die Südsee-Erzählungen von Sommerset Maugham sehr, allein schon wegen der Atmosphäre.
Fantasyguide: Wie sieht Deine literarische Zukunft aus?
Thomas Sieber: Wie gesagt möchte ich mich demnächst mal an einer etwas längeren Erzählung versuchen. Daneben wird es weiterhin Kurzgeschichten und Gedichte geben - die ich nebenbei auch hoffnungsvoll ins Englische übersetze. Außerdem habe ich vor, auch in anderer Hinsicht zur phantastischen Kultur beizutragen, z. B. arbeite ich gerade an einem Interview mit John Vance (dem Sohn von Jack Vance – d. Red.), das kommt in einer der nächsten »phantastisch!« Ausgaben heraus. Auch die Mitarbeit an einem Magazin fände ich sehr interessant, aber im Vordergrund steht erstmal der Roman.
Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview!