»Mir ging es um 'Poe von innen'«
 
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»Mir ging es um 'Poe von innen'«

Christian Endres im Gespräch

mit Hans-Dieter Gelfert

 

Seine Poe-Biografie leitete im Herbst 2008 gewissermaßen die Vorbereitungen auf Edgar Allan Poes 200. Geburtstag ein. Christian Endres sprach mit Hans-Dieter Gelfert über Poes Leben im Schatten des Kobold des Perversen sowie Wahrnehmung und Wirken des Meister des Makaberen und Ahnherren der Kurzgeschichte.

 

Fantasyguide.de: Als Professor für Literatur ist eine Begegnung mit Poe wohl vorprogrammiert. Doch wann und wie kamen Sie wirklich das erste Mal mit Edgar Allan Poes Werk in Berührung?

 

Hans-Dieter Gelfert: Als Anglist hatte ich nie mit Poe zu tun, da ich nur für britische Literatur zuständig war. Allerdings hat mich Poe immer interessiert, seit ich ihn als 15-Jähriger zum ersten Mal gelesen habe.

 

Fantasyguide.de: Ihre Poe-Biografie ist ein sehr kompaktes, informatives und stimmiges Werk geworden. Doch unabhängig von der Qualität des Buches - was hat Sie ursprünglich dazu bewogen, den von Ihnen ja selbst schon im Vorwort erwähnten und gelobten Biografien eine weiteres Werk dieser Art hinzuzufügen?

 

Hans-Dieter Gelfert: Wenn es nur um eine detaillierte Lebensbeschreibung gegangen wäre, hätte ich mein Buch nie geschrieben; denn Frank Zumbachs Biografie enthält bereits alles, was sich über Poes Leben dokumentieren lässt. Mir ging es um 'Poe von innen'. Ich wollte zeigen, wie er seine Ohnmachtserfahrung als Pflegekind mit ungewissem Status literarisch verarbeitete.

 

Fantasyguide.de: Was ist die größte Schwierigkeit dabei gewesen, Poes von Ups and Downs geprägten Lebensweg nachzuzeichnen?

 

Hans-Dieter Gelfert: Biografien, zumal wenn die Person schon lange tot ist, sind immer mit dem Manko behaftet, dass man sich auf Dokumente stützen muss, deren Glaubwürdigkeit nie hundertprozentig zu beweisen ist. Je umfangreicher eine Biografie ist, umso mehr Fragwürdiges pflegt sie zu enthalten. Deshalb habe ich mich sehr kurz gefasst und so oft wie möglich zeitgenössische Zeugen zu Wort kommen lassen.

 

Fantasyguide.de: Wie schwer - oder allegorisch-gefährlich - ist es, den Charakter eines Menschen einzufangen und zu analysieren, der seit 160 Jahren tot ist?

 

Hans-Dieter Gelfert: Autoren, die Grenzen überschreiten, müssen wohl das Risiko eingehen, die feste Form des eigenen Lebens zu sprengen.

 

Fantasyguide.de: Warum hat Poe es Ihrer Meinung nach nicht vermocht, sein grenzgängerisches Naturell so weit zu bremsen und sein Leben in die Hand zu nehmen, als dass es weniger mühsam und von so vielen Entbehrungen und Schmerzen geprägt gewesen wäre?

 

Hans-Dieter Gelfert: Bei Poe scheint zu den prekären Lebensumständen eine charakterliche Instabilität hinzugekommen zu sein, die ihn zu wiederholten Abstürzen disponierte. Allerdings befähigte ihn die eigene Instabilität, so tief in die Abgründe der menschlichen Seele zu schauen, wie es zu seiner Zeit kaum ein anderer tat. Zwar gibt es bei ihm nicht das breite Panorama der menschlichen Innenwelt wie bei Shakespeare, aber wo er den »imp of the perverse« (Red.: »Kobold des Perversen«) hervorbrechen lässt, ist er mit Shakespeare vergleichbar.

 

Fantasyguide.de: Hemingway sagte sinngemäß ja immer, dass es einem Schriftsteller erst so richtig mies gehen muss, damit er gut schreiben kann. Denken Sie, das trifft auch auf Poe zu? Hätte er unter besseren Lebensbedingungen weniger wichtige Geschichten und Texte verfasst? Der Wahnsinn also nicht als Methode, sondern als Motivator und Seelenspiegel?

 

Hans-Dieter Gelfert: »Dass es einem Schriftsteller immer erst richtig mies gehen muss, um gut schreiben zu können« trifft auf viele, doch nicht auf alle Autoren zu. Was Poe betrifft, so glaube ich allerdings, dass er sich nicht so weit auf Neuland vorgewagt hätte, wenn er von seinem Pflegevater adoptiert und finanziell mit dem Status eines wohlhabenden Südstaatlers ausgestattet worden wäre.

 

Fantasyguide.de: Wie wird Poe in der Welt der akademischen Literaturforschung gesehen? Ich fürchte ja immer, man kennt Poe als Meister des Makabren und vielleicht noch als eine Art Ahnherr der modernen Horrorliteratur. Welches Bild herrscht bei Literaturkennern vor? Automatisch eine große Wertschätzung für Poe, oder ist er doch eher Special Interest?

 

Hans-Dieter Gelfert: Poes Status in der akademischen Literaturwissenschaft hängt sehr vom jeweiligen Land ab. In Frankreich wird er extrem hoch geschätzt, in Deutschland nicht ganz so hoch; trotzdem wird er hier als der einzige amerikanische Klassiker mit weltliterarischem Status wahrgenommen. Amerika hat zu Poe ein sehr zwiespältiges Verhältnis. Als Verächter der Demokratie ist er für Amerikaner politically not correct; als Vertreter eines unbiblischen Pantheismus ist er für das evangelikale Amerika nicht akzeptabel; als Südstaatler wird er vom Norden als Fremdling empfunden; als Ästhetizist, der in der Kunst nur die Schönheit gelten lässt und das Streben nach Wahrheit und dem Guten als Didaktizismus ablehnt, steht er zur ethisch fundierten amerikanischen Tradition, wie sie durch Emerson repräsentiert wird. Schließlich und endlich ist ein Dichter, der ein 13-jähriges Mädchen heiratete und wiederholt - zuletzt in kurzen Abständen - der Trunksucht verfiel, für die moral majority ein Ärgernis.

 

Was Poes Bild in der Literaturwissenschaft besonders prägt, ist der Umstand, dass gleich mehrere Bilder von sehr unterschiedlicher Art existieren: er ist der Erfinder der Detektivgeschichte, der Meister des Horrors, der schwarze Romantiker, der vom Sterben schöner Frauen fasziniert war, der vielleicht erste symbolistische Lyriker, und schließlich ist er noch ein grotesker Satiriker, bei dem man nicht weiß, ob er die Sinnsuche der Kunst ironisiert oder mit der Leichtgläubigkeit der Leser spielt. Mir ging es darum, für all dies einen gemeinsamen Nenner zu finden. Den Schlüssel dazu sehe ich in dem Werk, das Poe für seine größte geistige Leistung hielt, nämlich »Eureka«, das aber von der Literaturwissenschaft weitgehend ignoriert wird.

 

Fantasyguide.de: Wie gingen Ihre Kollegen mit Ihrem großen Interesse an Poe um?

 

Hans-Dieter Gelfert: Mit Kollegen habe ich über Poe keinerlei Austausch gehabt, da ich seit acht Jahren im Ruhestand bin und meine Schriftstellerei abseits der Uni betreibe.

 

Fantasyguide.de: Wenn Sie Poes Bedeutung für die moderne Literatur mit zwei Sätzen zusammenfassen müssten, würde sich das wie lesen ...?

 

Hans-Dieter Gelfert: Poes Bedeutung in zwei Sätzen: Da sich Poes Denken und Dichten in einer Sphäre jenseits von Gut und Böse bewegt und da für ihn der Wille zur Macht und die vitalistische Entfaltung der Freude am Schönen im Zentrum seiner Weltsicht stehen, nimmt er etwas von dem vorweg, was später von Nietzsche (einem Poe-Bewunderer) breit ausgeführt wird. Insofern ist er der erste Moderne jenseits von Aufklärung und Romantik.

 

Fantasyguide.de: Am Ende darf die Frage nach Ihrer Poe-Lieblingsgeschichte natürlich nicht fehlen ...

 

Hans-Dieter Gelfert: Meine Lieblingsgeschichten haben mit der Zeit gewechselt. Als Jugendlicher mochte ich den Goldkäfer am meisten. Später war es Die Grube und das Pendel. Jetzt finde ich "Die Maske des roten Todes" wegen der Rätselhaftigkeit am interessantesten.

 

Fantasyguide.de: Vielen Dank für das Interview!

 

 

Rezension zur Biografie Edgar Allan Poe - Am Rande des Malstroms

 

 

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Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 20240511044314364ce952
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Erstellt: 18.12.2008, zuletzt aktualisiert: 07.01.2015 23:22, 8003