Die Geschichte der Science Fiction
 
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Die Geschichte der Science Fiction

Rezension von Matthias Hofmann

 

Die Geschichte der Science Fiction als Graphic Novel? Das ist wirklich mal was anderes. Und vor allem eine Mammutaufgabe, die nicht leicht zu meistern ist. Aber, um es vorweg zu nehmen: Dem Franzosen Xavier Dollo und dem Frankokanadier Djibril Morissette-Phan ist dies – mit kleinen Abstrichen – recht gut gelungen.

 

Als eingefleischter SF-Fan, der als Teenager ins Fandom, also die SF-Szene, eingestiegen ist und die Branche seit den 1980er Jahren verfolgt, gibt es für mich nicht viel Neues zu entdecken. Im Grunde ist alles da. Das ist die Hauptsache, gerade wenn man einen Überblick über das weitverzweigte Feld erwartet.

 

Für die Ursprünge geht es von Homers Odyssee bis zu Shelleys Frankenstein. Der Roman von 1818 über Viktor Frankenstein, der einen lebenden Menschen aus Leichenteilen erschafft, gilt als erster »richtiger« SF-Roman.

 

Anschließend werden zwei Koryphäen des Genres ausführlich gewürdigt. So ist ein großes Kapitel dem Franzosen Jules Verne gewidmet, nicht nur, weil Dollo und Morissette-Phan aus dem frankophonen Raum stammen, sondern, weil Verne im 19. Jahrhundert bahnbrechende und visionäre Romane verfasst hat. Fast jeder kennt etwas von Verne, mag es auch nur eine Verfilmung sein. Zu seinen bekanntesten Werken zählen Die Reise zum Mittelpunkt der Erde, 20.000 Meilen unter den Meeren, sowie Reise um die Erde in 80 Tagen. Die Titel sprechen für sich.

 

Etwas später kam H. G. Wells und hat die Funktion des großen SF-Propheten für den englischsprachigen Raum. Auch dessen Einflüsse sind heute noch zu spüren. Man denke nur an Werke wie Die Zeitmaschine, Die Insel des Dr. Moreau oder Krieg der Welten.

 

Die Graphic Novel von Dollo und Morissette-Phan räumt der US-amerikanischen und britischen SF den meisten Raum ein. Das ist völlig in Ordnung, denn aus den Pulp-Magazinen der USA entstand das sogenannte »Goldene Zeitalter der Science Fiction«. Autoren wie Robert A. Heinlein, Isaac Asimov, Arthur C. Clarke oder Ray Bradbury gaben nicht nur Qualität und Tempo vor, sondern zeigten, dass man mit SF auch kommerziell erfolgreich sein kann.

 

Mit der weiteren Entwicklung des Genres bewegt sich das Duo auf ausgetretenen Pfaden. Vom »Outer Space« ging es in der Entwicklung des Genres in den »Inner Space«. So hat England und die New Wave ein eigenes Kapitel bekommen, ebenso wie das seit einiger Zeit obligatorische Thema »SF und Feminismus«.

 

Die französische SF ist vergleichsweise stark vertreten, was nicht überrascht, schließlich stammt dieser Sachcomic aus Frankreich. Einige andere Länder werden kurz erwähnt. Immerhin bekommt Deutschland etwas mehr als eine Seite eingeräumt. Der Platz reicht, um den Astronom Johannes Kepler als Ahnherrn zu erwähnen. Auch Kurd Lasswitz, Paul Scheerbart, Hans Dominik sowie Franz Werfel, Herbert W. Franke, Wolfgang Jeschke und Andreas Eschbach werden kurz gestreift, ebenso wie die Heftromanserie Perry Rhodan.

 

Die Zeichnungen von Morissette-Phan sind eher brav und zweckmäßig, wie es für einen Sachcomic nicht anders zu erwarten ist. Es kommt auf den Inhalt und die Fakten an. Aus diesem Grund ist der Comic stark textlastig. Es gibt jede Menge mit kleiner Schriftgröße geletterte Wörter. Auf manchen Seiten bekommt man gar mehr Text als Bilder zu sehen. Damit wird das Buch seiner Eigenschaft als Referenzwerk gerecht.

 

Die Geschichte der SF wird nicht trocken erzählt und die Werke von Autoren und Autorinnen nicht bloß aufgezählt. Die Schriftsteller kommen z. T. selbst als Protagonisten vor. Oder die von ihnen geschaffenen Figuren. Oder es gibt kurze Zusammenfassungen wichtiger Geschichten.

 

Djibril Morissette-Phan gelingt es, die jeweiligen Persönlichkeiten so darzustellen, wie man sie von Fotos kennt. Aufgrund von Dallos Textflut und der Fülle an Stoff schafft er den Spagat zwischen visuellen Reizen und trockener Faktenlage ziemlich gut. Das Ergebnis ist kein optisches Feuerwerk, aber es kann sich sehr gut sehen lassen.

 

Man merkt an meiner groben Zusammenfassung, dass der Schwerpunkt dieser Historie auf der literarischen Science Fiction liegt. Die Medien Film und Comic werden behandelt, aber eher gestreift. Es gibt Lesetipps und Listen mit Titelbildern wie »36 für das Genre repräsentative SF-Comics«, »Zehn Romane, um ihre Kinder an SF heranzuführen«, »25 TV-Serien, die die SF geprägt haben«. Insgesamt stimuliert das Erinnerungen, sorgt für Aha-Effekte und erweitert den Horizont immens.

 

Die Übersetzung des Buchs ist eine kleine Mammutaufgabe für sich gewesen. Hier merkt man, dass kein SF-Aficionado das letzte Korrektorat gemacht hat. Der Übersetzer hat sich sehr bemüht, die deutschen Titel jeweils zuzuordnen und zu benennen. Nicht immer gelingt das, denn mitunter musste man im französischen Original von den französisch übersetzten Titeln Rückschlüsse ziehen. So hat der Übersetzer offenbar nicht gewusst, dass Brian W. Aldiss’ Roman Greybeard von 1964 bereits mehrfach auf Deutsch veröffentlicht wurde: 1967 als Aufstand der Alten und 1989 als Graubart. Im Buch in seiner deutschen Übersetzung heißt der Roman irreführend »Barbe-Grise«.

 

Ungeachtet solcher fitzeligen Details, die nur den Lesern auffallen dürften, die sich schon gut mit der Materie auskennen, ist diese »Geschichte der Science Fiction« eine gelungene Umsetzung des Themas als Comic. Wer um trockene Referenzwerke normalerweise einen Bogen macht, sich aber für SF-Literatur interessiert, sollte auf jeden Fall in diesen Sachcomic hineinschauen. Er gibt einen umfassenden, groben Überblick über die Kreativen und ihre Werke, über Themen und das große weite Genre. Und vor allem macht dieser Comic neugierig auf mehr. So soll es sein.

 

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Comic:

Die Geschichte der Science Fiction

Original: La Science fiction, 2020

Text: Xavier Dollo

Zeichnungen: Djibril Morissette-Phan

Gebundene Ausgabe, 216 Seiten

Splitter, 22. September 2021

 

ISBN-10: 3962191038

ISBN-13: 978-3962191030

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B09GGC91SW

 

Erhältlich bei: Amazon Kindle-Edition


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Erstellt: 17.01.2022, zuletzt aktualisiert: 18.04.2024 08:14, 20520