Nova 24 hrsg. von Olaf G. Hilscher und Michael K. Iwoleit
Rezension von Ralf Steinberg
Rezension:
Lange hat es gedauert, bis die neueste Ausgabe des renommierten Science-Fiction Magazins endlich in den Händen seiner Leserschaft lag. Nova 24 wurde keine Themenausgabe – gewann aber deutlich an Umfang, um 80 Seiten legte das Magazin zu. Konnte auch die Qualität nach der durchwachsenen Nummer 23 zulegen?
Im Vorwort der Redaktion wird zunächst auf den Tod von Wolfgang Jeschke eingegangen, um mit dem Versprechen zu enden, »auch in den kommenden Ausgaben immer wieder vielversprechende Neulinge zu präsentieren.« Ganz im Sinne von Wolfgang Jeschke also.
Den Story-Teil der Ausgabe eröffnet Uwe Post mit einer Geschichte, die er schrieb, als er mit ernsteren Texten experimentierte. Asgard-Fluktuationen folgt dem Kriegsversehrten Gustav Brakel auf einer Fahrt zu seiner Cousine, während der sich sein Verstand oder die Realität zu ändern beginnen …
Der tatsächlich überraschend ernste Text überzeugt durch eine sehr nahe Personenführung. Feinfühlig wird die Verwirrung des Protagonisten geschildert. Die kurze und sehr oberflächliche Auflösung für das Chaos erfolgt etwas abrupt und die Story versandet ein Stück jenseits der Rahmenklammer, obwohl nun die eigentliche Geschichte hätte beginnen können.
Auch wenn der Autor inzwischen seinen ernsteren Stil für gescheitert erklärte, enthielt »Asgard-Fluktuationen« sehr viel Potential.
Die Zeichnung von Stas Rosin fängt die auseinanderbrechende Realität ein, wirkt aber etwas zu konservativ.
Hier zeigt sich auch gleich ein ganz großes Manko der gesamten Ausgabe. Die Druckqualität von originär mehrfarbigen Bildern ist mehrheitlich schlecht. Sie sind viel zu dunkel geraten, bis hin zum kompletten Verlust von Details.
Detective Hendrickson verhört einen Roboter, der des Mordes beschuldigt wird …
In dubio pro roboto von Frank Lauenroth wirkt wie ein erstes Kennenlernen der Protagonisten eines Romans, wie sie es 50 Jahre später ihren Enkeln erzählen. Oder ihren Ersatzteilen.
Um Beziehungsprobleme geht es in Elektrozombies in Berlin von Sven Klöpping. Sarah und Mark schlendern ganz in Touristen-Manier Hand in Hand durch die Metropole. Doch nicht nur in ihrer Beziehung läuft etwas falsch …
Neben der flapsig und expressiv herausgearbeiteten Beziehung passiert leider wenig spannendes. Dem Thema Zombie fügt der Autor nichts Neues hinzu.
Der Aachener Sami Salamé ist für seinen schrägen Schreibstil und abgefahrene Geschichten bekannt. Kiss'n'Kill steht dem in Nichts nach.
Felix Falkner hat als Mensch versagt. Sein Leben entspricht nicht dem Durchschnitt und eine ensprechende Bestrafung steht an: Simulations-Vollzug.
Was bei einer Umerziehung zum gemeinen Bürger schiefgehen kann wird knackig und laut erzählt. Bis zum Schluss ein Wirbelsturm aus Worten.
Fahrenheit 2451 von Christian Endres beginnt zunächst sehr stimmungsvoll. Mr. Wednesday liebt Bücher und genießt den Anblick seiner Bibliothek. Doch in Wut versetzen ihn jene Reichen, die aus Langweile Bücher verbrennen um ihren Rauch wie Drogen zu konsumieren. Doch Wednesday lässt zurückschlagen …
Die Motivation von Wednesday bleibt blass. Letztlich geht es in der Geschichte darum, dass ein reicher Typ sich etwas mit Gewalt nimmt, weil er es kann. Weder Bradbury, noch der Liebe zur Bibliophilie wurde der Text gerecht. Schade, der Anfang versprach mehr.
Marcus Hammerschmitt lässt in Vor dem Fest oder Brief an Mathilde einen Vater in einem Brief an seine Tochter davon erzählen, wie er einem Alien begegnete und worin seine Arbeit besteht.
Zwar fehlt eine handlungsorientierte Geschichte, aber Hammerschmitt präsentiert eine hochinteressante Art der Alien-Begegnung. Durch die Briefform gibt es eine sehr persönliche Ebene, die die Ereignisse nicht nur formal behandelt, sondern auch bin ins Familäre hinein beleuchtet. Ein unaufgeregtes und rundes Stimmungsbild.
Ebenfalls kein Nova-Neuling mehr ist Marc Späni.
In 32 Minuten über Blainsburg erzählt er die Geschichte einer Frau, die vor den Augen der Menschheit eine einsame Entscheidung trifft.
Die Geschichte ist traurig schön geschrieben, ihr fehlt aber der Fokus auf den zentralen Handlungsstrang. Es gibt zu viele Nebenfiguren und Nebenschauplätze, deren Funktion weitgehend unklar bleibt.
Saphirblau ist der Himmel in der Geschichte von Tobias Reckermann, bevor sich für den Ich-Erzähler die ganze Welt verändert.
Das Thema regierende KI und ihre Bedeutung für eine Gesellschaft behandelte zuletzt Leif Randt in seinem Roman Planet Magnon.
Reckermann erreicht die physische Präsenz einer solchen Gesellschaft in seiner kruden Story nicht. Es wird vieles umständlich erklärt und behauptet, ohne dass es einleuchtet. Der Protagonist denkt lang und breit über Dinge nach, deren Kenntnis die Story nicht voranbringen und eher ermüden. Ein überraschend schwacher Text.
Mit Honig fängt man Bären, weiß Norbert Stöbe. Nicht ganz spoilerfrei liefert Honeypot den englischsprachigen Begriff für eine entsprechende Falle, in der sich ein typischer Mann in naher Zukunft verfangen könnte.
Der Anfang ist zunächst recht witzig. Stöbe extrapoliert viele kleine Details unseres heutigen Alltags mit Ironie und Augenzwinkern in die Zukunft.
Der folgende Twist torpediert die gelungene Satire aber durch seine unerwartete Fantasielosigkeit. Auch dieser Geschichte hätte etwas Bearbeitung gut getan.
Das trifft leider auch auf Ich erinnere mich an meinen Tod von Olaf Kemmler zu.
Firmenchef Bernhard König plagen sehr realistische Alpträume von seiner Ermordung. Doch seine Frau Helena und ein befreundeter Psychologe beruhigen ihn. Aber dann schaltet er einen Privatdetektiv ein …
Die Geschichte klingt vertraut und gestaltet sich dann auch wie erwartet. Es gibt sehr viele Löcher in der Figurenmotivation und im Handlungsgeflecht. Auch stilistisch hätten es ruhig noch ein paar Bearbeitungsschritte mehr sein können.
Die wesentlich spannendere Geschichte um die traumatisierte Ehefrau verschmähte der Autor jedoch.
Fabian Tomaschek lässt uns in Die letzte Schlacht der Atacama an den Aufzeichnungen eines Artilleristen teilhaben, der auf einem riesigen Raumschiff an einer riesigen Kanone Dienst tut und am eigenen Leib erfahren muss, wie dreckig das Soldatenleben auch in einer unbestimmter Zukunft noch ist.
Die stimmungsvoll erzählte Mil-SF Story ist zwar unterhaltsam, aber auch allzu klischeehaft. Die Technik ist eine Mischung aus Erster Weltkrieg und Battlestar Galactica, der Plot mäandert zwischen Schlacht und Selbstbetrachtung, ohne dass die sich offenbarenden Konflikte wirklich ausgetragen werden.
Zu Die Quadratur des Kreises von Gheorghe Sasarman fehlen leider jegliche bibliographische Angaben. Die erste Fassung des rumänischen Originals entstand bereits 1971 und erschien 1975 in einer zensierten Fassung. Eine dritte, akademische Ausgabe erschien 2013. Von den ursprünglich 36 Texten, in denen sich Sasarman anhand architektonischer Beschreibungen von zumeist fiktiven Städten zu Gesellschaft und menschlicher Psyche äußerte, übersetzte Ursula K. Le Guin 24 ins Englische.
Zehn Stadtbeschreibungen bilden nun den Inhalt des »Nova«-Beitrags ohne uns jedoch zu verraten, welche Ausgabe verwendet wurde, ob und von wem aus welcher Sprache sie übersetzt wurden. Ärgerlich.
»Die Quadratur des Kreises« selbst erinnert in seiner utopischen Gestaltungskraft an Olaf Stapledon oder James Blish.
Von antiken Stadtkulturen bis hin zur Alienstadt reichen die Betrachtungen und beinhalten eine große Bandbreite urbaner Ideen, ihrer Entwicklungen und auch ihres Scheiterns.
Ein großartiger Abschluss des Story-Teils.
Der Essay-Teil wird eingeleitet von Frederic Brake. Er untersucht in Shorts oder: SF Blockbuster bringen's nicht die deutsche Science-Fiction Kurzfilmszene.
So interessant das Thema auch ist, so oberflächlich bleibt Brake. Mehrfach stellt er fest, dass ein Film, gut, prägend oder ein Beispiel für etwas sei, bleibt aber konkrete Erläuterungen schuldig. Einzig zu Abe erfahren wir mehr.
Aber um die Begeisterung des Autors verstehen zu können, hätte er seine Urteile essentieller begründen müssen. Phrasen allein sind keine Argumente.
Den Abschluss bilden zwei Nachrufe auf Wolfgang Jeschke.
Wolfgang und ich von Ronald M. Hahn ist ein launiger und sehr persönlicher Nachruf. Interessant sind die Hintergründe zu seiner Wüstenplanet-Übersetzung.
Auch Horst Pukallus erinnert sich in Hohezeit der Zielsprache an Jeschkes Einfluss auf die Qualität von SF-Übersetzungen und geht kurz auf die Besonderheiten funktioneller Übersetzungen ein.
Erneut sind es die Illustrationen, die in ihrer Vielfalt und Interpretationsfreudigkeit eine Stärke des Magazins bilden. Besonders Nummer 85, Christian Günther und Christoph Jaszczuk setzen hier eigene Akzente (trotz schlechter Druckqualität).
Das Cover von Lothar Bauer ist eine leuchtende Farb-Nova und bietet den würdigen Rahmen für diese »Nova«-Ausgabe.
Fazit:
»Nova 24« bietet mit den Storys von Sami Salamé und Marcus Hammerschmitt zwei außergewöhnliche SF-Texte. Zudem ist die Aufbereitung von Gheorghe Sasarmans »Die Quadratur des Kreises« für ein deutsches Publikum eine hoch zu bewertende editorische Leistung, wenn auch die bibliographischen Angaben fehlen.
Leider offenbaren die übrigen Geschichten in ihrer Mehrheit deutliche qualitative Mängel, die im Vorfeld durch die sonst so kritischen Herausgeber durchaus hätten angemahnt und verhindert werden können.
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