Vermutlich bin ich auch wegen des tollen Covers von Josh Kirby auf das Buch aufmerksam geworden, das mich mit seinem (Stefan Pannor möge mir verzeihen) comichaften Stil angesprochen hat. Man sieht darauf die wichtigsten Mitglieder der (Nacht-)Wache: Korporal Karrrotte, Angua, Detritus, Knuddel (schnief), Feldwebel Colon, der Hund Gaspode und meine absolute Scheibenweltlieblingsfigur Nobby Nobbs (ich träume schon seit Jahren davon, dass er seinen eigenen Roman erhält, so was wie I, Nobby oder The Secret Life of Nobby Nobs).
Damals hatte ich nicht darauf geachtet, der wievielte Band in der Reihe »Helle Barden« war (der fünzehnte), der Klappentext sagte mir zu, also habe ich es gekauft. Es war ein Samstag, denn ich bin immer Samstag mit meinen Eltern nach Koblenz in den Löhr-Center gefahren, wo ich stundenlang in der Buchhandlung gestöbert habe, während meine Eltern stinklangweiligen Einkäufen in irgendwelchen Klammmottenläden nachgingen. Kurze Zeit später lag ich gemütlich in meinem Bett und lachte mich bereits auf Seite 1 über Karrottes Brief an seine Eltern kaputt, und war im Nu Terry-Pratchett-Fan.
Die Scheibenweltromane kann man in verschiedene Kategorien einteilen. Ich kopiere hier einfach mal die Auflistung aus der Wikipedia: Zauberer-Geschichten, Hexen-Geschichten, Tod-Geschichten, Stadtwache-Geschichten, Ankh-Morpork-Geschichten und Sonstige Romane.
»Helle Barden« ist nach Wachen! Wachen! der zweite Band der Stadtwache-Geschichten, von denen es inzwischen neun Stück gibt (wobei Mitglieder der Wache durchaus auch in anderen Romanen vorkommen). Jeder Band erzählt zwar eine abgeschlossene Geschichte, aber es lohnt sich trotzdem, sie in chronologischer Reihenfolge zu lesen, da sich sowohl die Stadtwache als auch die Wächter selbst weiterentwickeln. Allen voran Hauptmann Mumm, der einen rasanten gesellschaftlichen Aufstieg hinlegt (sehr zu seinem eigenen Missfallen).
Mir war das damals alles nicht bewusst, damals gab es auch erst drei Stadtwacheromane (Hohle Köpfe ist der dritte im Bund). Für mich war es der Einstieg in die Scheibenwelt. Denn es war etwas, das mir bis damals noch nie zuvor begegnet war: humorvolle Fantasy (Robert Asprin kannte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht). Ich habe mich während der Lektüre des Romans vor Lachen gekringelt, und auch bei meinem kürzlichen Reread musste ich wieder kräftig lachen. Wenn auch teilweise an anderen Stellen. Im Alter von 35 Jahren lese ich den Roman als ein anderer, als mit fünfzehn Jahren, und somit lese ich auch einen anderen Roman. Und genau das ist für mich ein perfekter Reread, wenn sich die Nostalgie der Erstlektüre mit einer neuen (positiven) Leseerfahrung vermischt, die dafür sorgt, dass die Zweitlektüre nicht langweilig wird.
Meinem fünfzehn-jährigen Ich war damals nicht bewusst, dass es neben den ganzen lustigen Szenen um nicht weniger als den Prozess der Zivilisation geht, für den die Stadtwache stellvertretend steht. So wie aus dem faulen, korrupten und wenig kompetenten Haufen eine fähige Einsatztruppe wird, die gut organisiert für Ordnung in der Stadt sorgt, so modernisiert sich unter der führenden Hand Lord Vetinaris ganz Ankh-Morpok. Eine Entwicklung, die in fast jedem Scheibenweltroman deutlich wird, aber vor allem an den neueren Romanen um Feucht von Lipwig zu erkennen ist. Damit macht Pratchett etwas Ähnliches, wie Samuel R. Delany in seinen Nimmerya-Geschichten: Er beschreibt die Entstehung der Zivilisation.
Aber wie schon erwähnt, ist mir das damals gar nicht bewusst gewesen. Ich habe mich vor allem an den lustigen und ironischen Beschreibungen und Szenen erfreut. Wenn zum Beispiel Treibe-mich-selbst-in-den-Ruin-Schnapper von einem wütenden Mob dazu gezwungen wird, seine eigenen Würstchen zu essen, und, obwohl er schon grün angelaufen ist und kurz vor der Übergabe des verdauten Materials steht, immer noch darauf beharrt, dass seine Würstchen gut schmecken. Oder die verschiedenen Arten, in Ankh-Morpork Selbstmord zu begehen.
Bei meinem Reread ist mir aufgefallen, was für wundervolle Figuren Pratchett erschaffen hat. Allein schon Karrotte, den jeder mag, den jeder kennt und dessen Anweisungen man befolgt, nicht weil sie vernünftig klingen, sondern weil sie von Korporal Karrrotte kommen. Ich bin seiner Magie genauso erlegen, wie alle anderen Bewohner Ankh-Morpoks.
Rassismus ist ein großes Thema in »Helle Barden«. Vetinari zwingt die Wache, erstmals Nicht-Menschen aufzunehmen. Und die Zwerge, Trolle und später auch Vampire, sind, sobald sie die Uniform tragen, keine Zwerge, Trolle und Vampire mehr, sondern Wächter. Es geht um Vorurteile, und wie man diesen ohne erhobenen Zeigefinger begegnen kann, aber auch um Vorurteile bzw. Klischees, die durchaus zutreffen können (und dafür sorgen, dass man vorsichtig ist, was dem eigenen Überleben durchaus zuträglich sein kann).
Aber worum dreht sich nun der Plot? Zivilisation zeichnet sich unter anderem durch einen steigenden Grad an Organisation aus. Man organisiert sich in Vereinen, Verbänden und in einem dem Mittelalter nicht fernen Szenario beruflich in Gilden. In Ankh-Morpork gibt es für alles eine Gilde. Eine Hundegilde, eine für Narren, eine für Alchemisten, eine für Diebe und eine für Assassine. Denn morden darf man in der Stadt nur als Mitglied der Assassinengilde, wenn man dafür bezahlt wird und am Opfer eine Mitteilung hinterlässt. Ordnung muss sein. Besagter Assassinengilde wird ein gfährlicher Gegenstand geklaut, und eine Reihe von unautorisierten Morden beginnt, während ein umnachteter Geist sich die Monarchie zurückwünscht (aktuell regiert ja der Patrizier Vetinari). Für die Nachtwache unter der Führung von Mumm, der sich eigentlich um seine Hochzeit mit Lady Käsedick kümmern sollte, steht ein harter Brocken an Ermittlungsarbeit bevor, für die sie eben die Stadtwache erst einmal gegen viele Widerstände reformieren müssen.
Reareads sind so eine Sache, manche Bücher sind nicht gut gealtert und die erneute Lektüre kann dazu führen, dass die schöne Erinnerung an das Buch durch Enttäuschung und Verwunderung darüber ersetzt werden kann, warum man einen solchen Mist einmal gemocht hat. Bei anderen Büchern bestätigt sich die gute Erinnerung. Und einige Bücher schneiden bei der wiederholten Lektüre sogar noch besser ab als früher, weil man durch 20 oder so zusätzliche Jahre mehr Erfahrung viel mehr von den ganzen Anspielungen und der Tiefe des Romans versteht. So geht es mir mit »Helle Barden«. Ich habe bisher erst 24 von 40 Scheibenweltromanen gelesen und dieser Romane ist für mich nach wie vor ein Highlight.