Interview: Kerstin Fricke
 
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Interview mit Kerstin Fricke

geführt von Ralf Steinberg

 

Sie hat sich auf einem ganz besonderen Zweig der Übersetzung spezialisiert – Übersetzungen für Computerspiele – und hat dennoch fast unzählbar viele andere Projekte am Laufen.

Wir sprachen mit Kerstin Fricke über ein Leben jenseits der Einsamkeit des Arbeitsplatzes …

 

Fantasyguide: Hallo Kerstin, Du bist Übersetzerin, Lektorin, Bloggerin, Nerdkrämerin und medial breit aufgestellt. Gab es einen bestimmten Auslöser für Deinen Werdegang, oder hat sich das einfach so ergeben?

 

Kerstin Fricke: Das hat sich tatsächlich im Laufe der Zeit irgendwie so entwickelt. Während meines Informatikstudiums hatte ich über eine Freundin die Gelegenheit, als Nebenjob an der Übersetzung von Spielen mitzuarbeiten; nach einiger Zeit wollte ich auch Bücher übersetzen und bekam eine Chance bei einem Kleinverlag, und so kam es, dass ich dann irgendwann als selbstständige Übersetzerin arbeitete, mich als Ersatz für das Gespräch mit Bürokollegen in den sozialen Medien tummelte und mir einen Blog zulegte …

 

Fantasyguide: Du bietest als Übersetzerin für Computerspiele ein Komplettpaket an, kann man auf der Homepage lesen. Dabei musst Du mit komplett unterschiedlichen Textarten hantieren, allein die Übersetzung einer Benutzeroberfläche erfordert andere Spezialkenntnisse als etwa ein Questtext. Wie gehst Du an ein solches Projekt heran?

 

Kerstin Fricke: Bei Spielen habe ich inzwischen schon alles übersetzt, was man dabei übersetzen kann, von der Benutzeroberfläche über die Dialoge und Ingame-Texte bis hin zum Handbuch und den Patch-Notes, und da man dasselbe über mein Team sagen kann, das aus erfahrenen Spieleübersetzern besteht, können wir das gut aufteilen, je nachdem, wer gerade Lust auf welche Textsorte hat und wer lieber übersetzen oder lektorieren möchte. Leider gehen jedoch die meisten Spieleprojekte inzwischen an Agenturen, mit deren niedrigen Preisen wir schlichtweg nicht mithalten können bzw. wollen, dafür habe ich jetzt schon mehrere Buchprojekte komplett von der Übersetzung bis zum Satz betreut.

 

Fantasyguide: Hast Du selbst auch von Dir übersetzte Spiele gespielt? Wie war das für Dich?

 

Kerstin Fricke: Ganz unterschiedlich. Stellenweise richtig schön, wenn man die Dialoge mit den Stimmen der Synchronsprecher hört, die man selbst übersetzt hat, wenn Dinge im Spiel so umgesetzt wurden, wie man es sich erhofft hat, und natürlich wenn der eigene Name auf dem Bildschirm steht. :)

Manchmal war es aber auch ganz schrecklich, wenn man bei Großprojekten beispielsweise mitbekommt, dass man selbst sich zwar Mühe gegeben, andere Übersetzer oder das Lektorat aber nicht, wenn ein Korrektor oder Game-Tester hinterher noch in den Texten »verschlimmbessert« hat oder wenn die Synchronsprecher so unmotiviert sind, dass selbst die schönsten Texte wie das Ablesen eines Telefonbuchs rüberkommen. Da könnte ich Geschichten erzählen … ;-)

 

Fantasyguide: Als leidgeprüfter Spieler diverser deutschsprachiger MMO-Clients hätte ich schon manchmal Lust, dem Übersetzerteam meine Meinung zu sagen, etwa wenn deutsche Texte nicht in die Textfelder passen und abgeschnitten werden – wie läuft das Feedback bei Computerspielen für Übersetzerteams? Kommt da nach dem Release noch etwas?

 

Kerstin Fricke: Leider nur sehr selten. Man darf sich das auch nicht so vorstellen, dass der Übersetzer stets das Spiel parat hätte – manchmal weiß man nicht mal ansatzweise, worum es darin eigentlich geht. Ich habe schon Dialoge übersetzt, die als alphabetisch sortierte Exceltabelle bei mir eingetrudelt sind – da kann man sich dann schon beim Übersetzen denken, dass das Ergebnis nicht gut werden kann. Doch wenn der Kunde uneinsichtig ist und nur Geld sparen will, dann ist Qualität oftmals zweitrangig. Bei Direktkunden kann man sich hingegen oft direkt mit dem Team austauschen und haben auch nach dem Release die Updates bearbeitet.

 

Fantasyguide: In der Computerspielbranche ist das Scheitern von Projekten nichts Ungewöhnliches. Ist es Dir auch schon passiert, dass Deine Arbeit nie an den Start ging?

 

Kerstin Fricke: Ja, leider schon einige Male. Zweimal war ich sogar direkt von einer Insolvenz betroffen und habe nie Geld für meine Übersetzung erhalten, die dann später sogar noch bei einem anderen Unternehmen erschienen ist. Ich kenne auch den umgekehrten Fall, bei dem wir mit mehreren anderen Übersetzern monatelang an der Übersetzung eines angekündigten MMORPGs gesessen haben, das dann von heute auf morgen eingestampft wurde, aber immerhin wurden wir dafür wenigstens bezahlt.

 

Fantasyguide: Was stellte für Dich die bisher größte sprachliche Herausforderung bei einem Spiel dar und welche bei einem Buch?

 

Kerstin Fricke: Bei einem Spiel sind es meist die verschiedenen Rassen in einem Rollenspiel, die auch unterschiedlich klingen sollen, ansonsten hat mich so manches Autorennspiel mit seinen Fachtermini an den Rand der Verzweiflung gebracht. ;)

Bei Büchern stand ich schon vor den unterschiedlichsten sprachlichen Herausforderungen. Wolf Road von Beth Lewis ist im Original beispielsweise fast schon im Slang geschrieben, und da galt es, die deutsche Version gut lesbar zu gestalten, den Ton des Originals aber dennoch irgendwie rüberzubringen. Zuletzt hatte ich mit Chicago von David Mamet so meine Probleme, dessen sehr spezieller Stil mir doch einiges abverlangt hat. Da habe ich bei der Arbeit so manches Mal geflucht oder musste mir erst mal einen Kaffee kochen, um einen Satz noch ein paarmal zu lesen, bevor ich wusste, wie ich das im Deutschen ausdrücken soll.

 

Fantasyguide: Du arbeitest sowohl als Übersetzerin als auch Lektorin. Ist es für Dich leicht umzuschalten oder benötigst Du dafür Zeit, Rituale oder ähnliches?

 

Kerstin Fricke: Das Umschalten dauert bei mir meist einen Tag, an dem ich mit einem neuen Projekt anfange und mich erst einmal einfuchsen und an den Stil gewöhnen muss. Im Allgemeinen wechsle ich nicht zwischen Projekten hin und her, sondern versuche, es so zu timen, dass ich eine Übersetzung oder ein Lektorat abschließen kann, bevor ich mich an das nächste Projekt mache.

 

Fantasyguide: Die Bandbreite Deiner Übersetzungen ist immens. Von Edward Lee über Jessica Clare bis zu Guillermo del Toro – wie tastest Du Dich an den Sound eines Buches heran?

 

Kerstin Fricke: Ich gehöre zu den Übersetzern, die ein Buch nicht vorher lesen, sondern sich gleich an die Übersetzung setzen. Das hat natürlich den Nachteil, dass ich auf den ersten Seiten sehr, sehr langsam vorankomme und mich an den Stil und die Wortwahl des Autors/der Autorin gewöhnen muss, aber ich mag es, ebenso unwissend wie der Leser an das Buch heranzugehen. Gerade bei spannenden Geschichten fiebert man dann richtig mit und hängt abends manchmal noch ein paar Seiten ans Tagespensum dran, weil man unbedingt wissen will, wie es weitergeht. Allerdings mache ich mir beim Anfertigen der Rohfassung sehr viele Kürzel in den Text, um die Stellen später schnell wiederzufinden, an denen mir etwas unklar ist oder auf die ich noch mal einen genaueren Blick werfen muss. Beim zweiten und dritten Lesen kenne ich dann die Geschichte und kann auf die Feinheiten achten.

 

Fantasyguide: Frank Böhmert und Hannes Riffel schneiden den Buchrücken ihrer Originale ab und hantieren mit den einzelnen Seiten. Wie gehst Du beim Übersetzen vor?

 

Kerstin Fricke: Da hat ja jeder Übersetzer so seine Macken …

Ich arbeite äußerst ungern vom Blatt, da mich einerseits der ständige Wechsel zwischen Blatt und Bildschirm nervt und ich andererseits bei dieser Arbeitsmethode gern mal einen Absatz übersehe. Am liebsten ist es mir, wenn ich den Roman als Datei bekomme. Das sieht dann bei mir so aus, dass ich links den Originaltext, rechts meine Übersetzung und zusätzlich noch eine weitere Worddatei mit dem Originaltext offen habe, in der ich in Denkpausen die Absätze lösche, die ich gerade übersetzt habe, sodass ich immer sehe, wie viel Wörter ich noch zu übersetzen habe.

 

Fantasyguide: Hörst Du Musik oder liebst Du eine ruhige Arbeitsatmosphäre?

 

Kerstin Fricke: Beim Übersetzen brauche ich Ruhe, da stört mich Musik bei der Konzentration. Seltsamerweise ist das beim Überarbeiten oder Lektorieren jedoch anders; da höre ich hin und wieder gern mal ein bisschen Musik.

 

Fantasyguide: Nebenbei bloggst Du ja auch als Wortspielerin noch eifrig über gelesene Bücher etwa. Wie gehst Du mit Werken um, die Du nicht so toll findest, wie mit schlechten Übersetzungen?

 

Kerstin Fricke: Anfangs hatte ich beim Bloggen das Ziel, nur Bücher vorzustellen, die mir gut gefallen haben, aber irgendwann fand ich das auch blöd, schließlich kann es ja genug Gründe geben, ein Buch trotzdem vorzustellen (und wenn man Rezensionsexemplare bekommt, sollte man darüber natürlich auch schreiben). Daher rezensiere ich inzwischen hin und wieder auch Bücher, die für mich eine Enttäuschung waren, und versuche zu erklären, warum das so ist und was ich mir erwartet hatte. Selbstverständlich ist das rein subjektiv, denn ein Buch, das mir nicht gefällt, kann tausend andere Leser begeistern …

Auf die Übersetzung einzugehen fällt mir manches Mal sehr schwer, weil ich natürlich keine Kollegen schlechtmachen möchte. Ich bin ja auch immer heilfroh, wenn ich bei der Durchsicht des Lektorats- oder Korrektoratsänderungen merke, dass mir da was durchgerutscht ist, was dann später noch ausgebügelt wurde. Daher versuche ich, sparsam mit Kritik zu sein, merke es aber durchaus an, wenn mir die Übersetzung negativ aufgefallen ist.

 

Fantasyguide: Was charakterisiert für Dich eine schlechte Übersetzung?

 

Kerstin Fricke: Ein Buch ist für mich schlecht übersetzt, wenn ich aus den deutschen Sätzen noch die englische Satzstruktur rauslesen kann oder wenn ich häufiger aus dem Lesefluss gerissen werde, weil etwas falsch übersetzt wurde, Redewendungen nicht erkannt wurden oder Dialoge hölzern und nicht authentisch rüberkommen. Klar, kein Übersetzer ist perfekt, und jeder macht mal Fehler, aber wenn sich das zu sehr häuft, breche ich Bücher manchmal auch ab und hole mir das englische Original, so vorhanden, weil ich diese Berufskrankheit einfach nicht ablegen kann.

 

Fantasyguide: Wie siehst Du die Rolle von Übersetzerinnen und Übersetzern in Deutschland? Lohn und Ruhm sind ja nicht gerade üppig, oder?

 

Kerstin Fricke: Wer auf viel Lohn und Ruhm aus ist, sollte nicht Übersetzer werden … :D

Aber mal im Ernst; sooo schlecht bezahlt ist der Job nun auch wieder nicht. Wobei ich nur von der Unterhaltungsliteratur reden kann, die im Allgemeinen nicht so wahnsinnig anspruchsvoll ist und sich meist recht schnell übersetzen lässt. In Bezug auf den Ruhm hast du allerdings recht, denn welcher Leser achtet schon darauf, von wem ein Roman übersetzt wurde (es sei denn, er hält die Übersetzung für schlecht, dann ist der Übersetzer/die Übersetzerin natürlich an allem schuld)? Selbst viele Buchblogs loben oft die tolle Sprache eines Romans und lassen dabei außer Acht, dass sie diese nur dank einer anscheinend gelungenen Übersetzung lesen dürfen.

 

Fantasyguide: Buchmessen, PAN-Branchentreffen, Texttreff-Workshopwochen – Du bist überall dabei. Welchen Wert haben diese Veranstaltungen für Übersetzerinnen und Übersetzer im Allgemeinen und im Besonderen für Dich?

 

Kerstin Fricke: Ein normaler Arbeitstag sieht ja für mich so aus, dass ich allein an meinem Schreibtisch sitze, daher sind Veranstaltungen wie die genannten für mich sehr wichtig, um mal rauszukommen, mich mit anderen Übersetzern und Lektoren auszutauschen und auch mal über den Tellerrand zu blicken und mit beispielsweise Autorinnen, Texterinnen und Bloggerinnen zu plaudern.

 

Fantasyguide: Was kann eine Organisation wie der Verband deutschsprachiger Übersetzer literarischer und wissenschaftlicher Werke e.V. leisten?

 

Kerstin Fricke: Der Verband stärkt uns in erster Linie den Rücken und setzt sich auf vielen Ebenen für unsere Belange und Interessen ein. Ich könnte da jetzt beispielsweise die Gemeinsamen Vergütungsregeln oder den Übersetzernormvertrag aufführen, außerdem sorgt er durch Veranstaltungen u. a. auf den Buchmessen dafür, dass wir als Übersetzer von der Öffentlichkeit besser wahrgenommen und wertgeschätzt werden.

 

Fantasyguide: Als großer Fan von Alan Dean Foster interessiert mich natürlich brennend, ob Du mit ihm Kontakt hattest und wie Deine Erfahrungen mit ihm sind?

 

Kerstin Fricke: Leider hatte ich keinen Kontakt zu Alan Dean Foster. Seine Bücher waren die ersten, die ich für Bastei Lübbe übersetzt habe, und damals kam ich noch nicht auf die Idee, mich an den Autor zu wenden, sondern habe den Lektor mit meinen Fragen gelöchert.

 

Fantasyguide: Um beim Thema zu bleiben, wie sah es mit anderen Autorinnen und Autoren aus? Was sind Deine Highlights?

 

Kerstin Fricke: Die meisten Autoren freuen sich, wenn sich ein Übersetzer bei ihnen meldet und sie weiterhelfen können. Ich bin mit zahlreichen Autoren, die ich übersetzt habe, über Facebook oder Twitter verknüpft, habe ihnen so schon manches Mal »auf dem kurzen Dienstweg« eine Frage gestellt und tausche mich gelegentlich mit einigen aus.

 

Fantasyguide: Was fehlt Dir in Deiner Liste an Übersetzungen noch, was Du unbedingt gerne machen würdest?

 

Kerstin Fricke: So ein paar richtig bekannte Autorennamen oder Bestseller wären natürlich schön. ;)

Aber eigentlich bin ich schon froh, wenn immer mal wieder ein paar spannende, interessante, ungewöhnliche Geschichten auf meinem Schreibtisch landen, die mich auch als Leser fesseln würden, die ich mich als Übersetzerin ein bisschen fordern und denen ich mit Begeisterung eine deutsche Stimme verleihen kann.

 

Fantasyguide: Bist Du in der glücklichen Lage, nur Aufträge anzunehmen, oder bietest du auch schon mal Projekte von dir aus an?

 

Kerstin Fricke: Witzigerweise bin ich gerade zum ersten Mal überhaupt dabei, zwei Bücher, die ich gern übersetzen würde, bei Verlagen vorzuschlagen. Bisher war es immer so, dass ein Verlag mit einem Projekt auf mich zugekommen ist, das ich dann entweder angenommen oder abgelehnt habe. Dass dabei durchaus Romane dabei waren, die mir sehr gut gefallen haben, war eher ein glücklicher Zufall.

 

Fantasyguide: Seit 2001 bist Du freischaffende Übersetzerin. Wie siehst du Deine Perspektive in diesem Beruf?

 

Kerstin Fricke: Momentan arbeite ich fast nur noch im literarischen Bereich, weil ich mir meine Zeit besser selbst einteilen kann, während die Arbeit an Computerspielen immer hektischer und stressiger geworden ist. Da KIs noch lange nicht so weit sind, dass sie Romane gut übersetzen können, mache ich mir in der Hinsicht bisher keine großen Sorgen, und ich hoffe, dass ich noch lange Zeit viele tolle Romane und Graphic Novels übersetzen darf.

 

Fantasyguide: Und zu guter Letzt: Wie sehen Deine nächsten Pläne aus, welche Projekte beschäftigen Dich im Moment?

 

Kerstin Fricke: Aktuell liegen mehrere Bücher von Autoren auf meinem Schreibtisch, von denen ich bereits einen oder mehrere Bände übersetzt habe; außerdem sitze ich an mehreren Reihen, die vermutlich fortgesetzt werden (beispielsweise die Lightkeepers-Reihe von Erica Spindler oder Die Flüsse von London«-Graphic Novels von Ben Aaronovitch), insofern habe ich in den nächsten Monaten schon ganz gut zu tun.

 

Fantasyguide: Vielen Dank für das Interview!

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Interview mit Kerstin Fricke

Der VdÜ, als eingetragener Verein gegründet 1954, ist der Berufsverband der Literaturübersetzer*innen. Autor*innen und Übersetzer*innen sind natürliche Verbündete.


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Erstellt: 23.07.2018, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 16823