Interview: Felix Woitkowski
 
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Interview mit Felix Woitkowski

von Marianne Labisch

 

Mit seinem Debüt Die Wanderdüne konnte Felix Woitkowski vor fünf Jahren bereits erste Aufmerksamkeit erregen. Nun stand sein zweites Werk Rattensang in der Endrunde zum Vincent Preis 2015. Ein guter Grund, sich den Fragen unserer Redakteurin Marianne Labisch zu stellen:

 

Fantasyguide: Hallo Felix, stellst Du Dich den Lesern bitte kurz vor? (Nicht zu kurz, wir wollen schon wissen, mit wem wir es zu tun haben.)

 

Felix Woitkowski Hallo Marianne. Gerne. Ich komme aus Soest, einer kleinen Stadt tief in Westfalen und bin mit einem Umweg über mein Studium in Münster mittlerweile in Kassel gelandet. Dort kümmere ich mich an der Universität vor allem um Fragen des Schreibens in der Schule und im Studium. Mit etwa 16 Jahren habe ich angefangen, mich massiv durch die Weltliteratur und Phantastik zu lesen und bin seitdem nicht mehr davon losgekommen. Bald reichte mir das aber nicht mehr und ich fing an, Geschichten selbst zu verfassen. Ich nahm an Wettbewerben und Ausschreibungen mit kleinem, aber stetigem Erfolg teil und merke, dass ich seit über 12 Jahren immer tiefer in die Welt phantastischen Literatur und deutschsprachige Kleinverlagsszene in allen Facetten rutsche. Ich veröffentliche halbwegs regelmäßig Geschichten in Anthologien, gebe alle paar Jahre eine mit heraus, habe zwei Romane geschrieben, organisiere mit Martin Witzgall die Storyolympiade, um junge Autorinnen und Autoren zu fördern, entstaube Klassiker … und weiß, wenn ich das so lese, gar nicht so recht, wie ich das alles unterbekomme. Geplant war das nicht, aber es ist längst ein Teil von mir.

 

Fantasyguide: Herzlichen Glückwunsch zum vierten Platz beim Vincent Preis. (Der Vincent Preis zeichnet jedes Jahr die besten Horror- geschichten, -romane, -grafiken aus.) Es war Deine allererste Nominierung. Wie fühlt es sich an, gleich beim ersten Mal knapp am Treppchen vorbei geschrappt zu sein?

Hattest Du mit einer Nominierung gerechnet?

 

Felix Woitkowski Vielen Dank! Ich bin an keinem Treppchen vorbei geschrappt, weder an einem realen, das es beim VP sowieso nicht gibt, noch an einem imaginären. Mit einem Roman, der kein typischer Horror-Roman ist, habe ich stattdessen einen vierten Platz und meine erste Platzierung bei einem Literaturpreis überhaupt erreicht. Da bleibt keine Schramme zurück, sondern nur ein großes breites Grinsen und das Gefühl, jetzt erst recht weitermachen zu wollen. Gerechnet habe ich damit nicht und mich deshalb umso mehr gefreut. An dieser Stelle noch einmal vielen Dank an alle, die für meinen »Rattensang« gestimmt haben!

Und ganz ehrlich: Jörg Kleudgens Teatro Oscura hat den Preis verdient, aber so was von!


Fantasyguide: Ich hatte den Roman vor einiger Zeit rezensiert und nutze nun die Gelegenheit, Dich noch ein paar Dinge zum Buch zu fragen.

Das Wichtigste vorab: Wird es eine Fortsetzung geben?

 

Felix Woitkowski Ja, nein, vielleicht. Wer weiß das schon? Gerade sitze ich an einem Projekt, das ganz anders als meine Romane Die Wanderdüne oder »Rattensang« werden soll, darauf folgen mindestens zwei Kurzgeschichten und schließlich ein weiteres größeres Projekt, für das schon die Ideen rotieren, über das ich aber noch nicht sprechen mag. Bei allem werde ich mich im großen Feld der eher düsteren phantastischen Literatur bewegen, in dem ich die meisten meiner Geschichten verorten würde. Vielleicht ist danach Zeit und Lust für eine Fortsetzung. Einen Ansatz gibt es schon, der vor den eigentlichen Geschehnissen aus »Rattensang« in Europa angesiedelt, aber noch nicht abschließend durchdacht ist. Eigentlich zeigt ja alles in dem Roman so sehr auf die alte Welt, dass das nur konsequent wäre.

 

Fantasyguide: Wie kamst Du darauf einen Rattenfänger mit einer Mundharmonika zu bewaffnen und das alles im Western Setting?

 

Felix Woitkowski Ich glaube, es ist andersherum passiert. Im Forum der Autorengruppe der Geschichtenweber wurde eine Sammlung mit den Schwerpunkten auf Western und Phantastik gelegt. Das war der Ausgangspunkt für die Kurzgeschichte Der Rattensucher, die schließlich die Grundlage für den Roman »Rattensang« bildete.

Immer, wenn ich an einen Western denke, lande ich zuerst bei Spiel mir das Lied vom Tod. Von dort ist es nicht mehr weit zur Mundharmonika, dem schweigsamen, einsam Held … Der »Rattenfänger« kam deshalb sicherlich erst in einem zweiten Schritt hinzu und fügte sich wunderbar ein. Aber frag mich bitte nicht, wie ich diese Ideen zusammenbrachte, denn das weiß ich selbst nicht mehr. Das ist immer wie ein Spiel ohne echten Anfang und ohne Ende, das in einem chaotischen Tagtraum Ausdruck findet oder in einem Selbstgespräch, während ich mit dem Fahrrad unterwegs bin. Gelesen habe ich die Sage übrigens erst, als der Roman weit vorangeschritten war. Ich wollte bewusst keine bloße Nacherzählung schreiben, sondern etwas Eigenes schaffen, und bin deshalb sehr lange um die Vorlage im Kreis herumgeschlichen.


Fantasyguide: Dein Held bezwingt die Ratten, wie sein Vorgänger mit Melodien.

Auch im zweiten Teil spielt die Musik eine wichtige Rolle. In Leba, der Kurzgeschichte, die in Nebelmelodie erschien, spielt die Kraft der Musik ebenfalls eine wesentliche Rolle. Bei den meisten Autoren, die sich mit dieser Thematik beschäftigen, liest man ihre Liebe aus den Zeilen. Bei Dir könnte man fast den Eindruck gewinnen, Musik stelle für Dich etwas Bedrohliches dar. Ist das so?

 

Felix Woitkowski Nein, auf keinen Fall. Ich sehe natürlich, dass über Musik auch Inhalte transportiert werden können, die ich nicht unterstützen will und kann, dass Musik auch diejenigen aufputschen und antreiben kann, die nichts Gutes im Sinn haben. Aber davon abgesehen ist Musik faszinierend, toll, wunderbar. Ich nehme mir allerdings viel zu selten Zeit dafür, auch meine Gitarre beklagt sich schon. Ich brauche keine Dauerbeschallung und tauge nicht so sehr als Alltags-Nebenher-Hörer, denn Musik beginnt dann schnell, mich zu nerven. Gute Musik ist es wert, bewusst gehört zu werden.

In »Rattensang« und »Leba« mag Musik bedrohlich wirken, weil sie so groß und gewaltig wirkt, weil sie etwas im Menschen auslösen kann. Bei »Rattensang« ist sie wohl eher manipulativ, bei »Leba« vielleicht befreiend. In einer älteren Erzählung von mir, der Steampunk-Geschichte Der Puppenspieler, spielt Musik wieder auf ganz andere Weise eine wichtige Rolle. Als Warnungen möchte ich keine der Geschichten sehen, ganz im Gegenteil, sonst würde ich nicht so viel davon schreiben. Wenn man genau weiß, worauf man achten muss (nur tut das zum Glück niemand), sind tief im »Rattensang« Anspielungen auf meine leider vergangene Band ›eyesore‹ verborgen und damit die beste und positivste Verbindung, die ich zur Musik habe.

 

Fantasyguide: Dein Held ist keiner im klassischen Sinn; er hat seine Schattenseiten. Bereitete es Dir Schwierigkeiten, ihn dennoch auf eine Art sympathisch erscheinen zu lassen?

 

Felix Woitkowski Wirkt der Held wirklich sympathisch? Als Identifikationsfigur kann er ja nicht so richtig herhalten. Zumindest mir ist er dafür einfach zu schweigsam und zu unnahbar. Aber ein Unsympath ist er ja auch nicht, am Ende vielleicht sogar eher der Gute. Andere Figuren habe ich bewusster sympathisch oder unsympathisch gezeichnet. Der Namenlose selbst trieb sich immer diffus auf der Grenzlinie herum, war aber nicht schwieriger als anderes zu schreiben, sobald er einmal in die Geschichte hineingefunden hatte. Mir zumindest gefällt er genau so, wie er ist. Aber ich bin ja nicht der einzige Maßstab. Was mir als Autor einfach fehlt, ist die Möglichkeit, meine eigenen Texte unvoreingenommen noch einmal zu lesen, ihre Wirkung, Schwächen und Stärken zu erleben, wie es ein Leser kann. Deshalb stelle ich manchmal fest, dass ich mich, was meine Geschichten angeht, grundsätzlich irre.

 

Fantasyguide: Welche Resonanz kam zum Roman, abgesehen von der Nominierung?

 

Felix Woitkowski Es gab eine Handvoll Rezensionen, eine Leserunde, verschiedene Forenstimmen. Dabei hat »Rattensang« nicht ausschließlich, aber unerwartet viel Lob und Zuspruch geerntet. Die Nominierung für den Vincent Preis spricht ja auch dafür, dass das Buch, das nun wirklich kein Beststeller geworden ist, aber auch auf kein reines Mainstream-Publikum zielt, einen positiven Eindruck hinterlassen hat. Das hat mich sehr gefreut und ich hoffe, dass darüber weitere Leserinnen und Leser auf das Buch stoßen und neugierig werden. Jeder, der einmal ein Buch herausgebracht hat, weiß, wie gut es ist, zu wissen, dass es auch jemand (gerne) liest. Leider erfahren wir Buchschaffenden nur leider zu selten davon. Insofern kann mit den Rückmeldungen jetzt schon sehr zufrieden sein.


Fantasyguide: Du magst Klassiker und gibst, wie Du sagst, zu Unrecht in Vergessenheit geratene klassische Geschichten neu heraus. Was interessiert Dich an den ›alten Schinken‹? (Ist nicht böse gemeint, ich lese auch Klassiker.)

 

Felix Woitkowski Ich interessiere mich dafür, weil sie eigentlich keine alten Schinken sind, und wenn doch, weil sie mir trotzdem noch schmecken. Als ich die Welt der Literatur für mich entdeckte, war ich einfach neugierig und habe blind drauflos gelesen. Irgendwann stellte ich aber auch fest, dass mir aktuelle Neuerscheinungen, die schon nach Bestsellerliste und Massenbuchhandlung rochen, immer weniger zusagten. Hin und wieder lese ich diese Popkornliteratur gerne, so wie ich mir auch gerne die x-ten Superheldencomicverfilmungen im Kino ansehe, aber das reicht mir nicht immer. Vielleicht habe ich deshalb angefangen Stummfilme zu schauen und Klassiker zu lesen, die noch nicht so glatt und konturlos, so rein spannungsorientiert sind, sondern mit Stimmungen arbeiten, die mich oftmals viel mehr packen können. Ich mag einfach die Düsterheit, die Motive und Ideen, die Sprache der klassischen phantastischen Literatur. Nur weil sie alt ist, ist sie noch lange nicht altbacken.

 

Fantasyguide: Welche klassischen Romane zählen zu Deinen Favoriten?

 

Felix Woitkowski Ich habe vor ein paar Jahren sehr viel den zerstörerischen Dostojewski, den grotesken Gogol und den phantastischen Hoffmann gelesen und wünsche mir die Zeit, mit den dreien noch einmal komplett von vorne zu beginnen. Später kam die wunderbare Bibliothek von Babel vorn Borges hinzu, die Holmes-Geschichten von Doyle und was mir so begegnete. Zuletzt habe ich Bulgakows Das hündische Herz verschlungen. Darin pflanzt ein Arzt einem streunenden Hund die Hoden und Hirnanhangsdrüse eines menschlichen Kleinkriminellen ein. Der Hund entwickelt sich daraufhin zum Menschen, aus Sicht des Arztes zu dem übelsten aller Proletarier. Das ist großartige, köstliche Literatur, die nicht nur den kommunistischen Klassenkampf durch den Kakao zieht, sondern mit ihm auch die Frage nach dem Menschsein ins Absurde führt. Ganz anders ist ein anderer Klassiker gelagert, den ich vor Kurzem beendet habe: Der Monddiamant von Wilkie Collins, ein ganz früher Detektivroman aus dem viktorianischen England. Wie dort mit unterschiedlichen Perspektiven und Stilen gespielt wird, ohne dass es aufgesetzt wirkte, hat mich wirklich beeindruckt.

Meine Geschichte Lebensfahrt die gerade in Zwielicht 8 (Verlag Saphir im Stahl), herausgegeben von Michael Schmidt und Achim Hildebrand, erschienen ist, stellt übrigens eine Hommage an mein Bücherregal dar. Die Hauptfigur teilt in etwa meinen Geschmack, irrt sich ansonsten aber zutiefst.


Fantasyguide: Hm, bei Dostojewski fiel mir auf, dass er immer für eine Person gleich mindestens drei Namen hat, was zu Beginn für Verwirrung sorgte und dass es eigentlich nur um Krieg, Alkohol, Krieg, Alkohol, Liebe zum Vaterland und ein wenig Liebe zwischen Mann und Frau ging.

Gogol steht noch ungelesen im Regal, und bei Hofmann war ich nicht bei allem gefesselt. Mir sind Poe, Stevenson und Wilde da lieber. Aber ich mag teilweise auch Victor Hugo. Bei Hugo gefällt mir, wie er mit der Sprache umgeht. Da gibt es zwar viele lange Sätze, die heute verpönt sind, aber es werden schöne Vergleiche gezogen. Doyle habe ich nicht gelesen, aber beim Kommissar Maigret (von Simenon) fiel mir auf, wie viel mehr früher getrunken wurde. Wenn wir das alles schon tagsüber trinken müssten, würden wir keine Morde aufklären, sondern betrunken ins Bett kippen.

Die anderen Geschichten, die Du ansprichst, hören sich interessant an.

Und Deinen Beitrag für »Zwielicht 8« kenne ich auch und hoffe, Deine Bücher enden nicht, wie die in der Story. ;-)

 

Felix Woitkowski Meine Bücher enden, sehr zum Leidwesen der HelferInnen bei meinem letzten Umzug, vor allem in meinen Bücherregalen … Aber ich bin ja auch keine literarische Figur, hoffentlich.

Ich glaube einfach, dass wir Literatur als Kunstform nur dann ansatzweise begreifen können, wenn wir den Blick weiten. Damit meine ich nicht, dass wir alle Literaturwissenschaften studieren, auch wenn das noch niemandem geschadet hat, und hochgestochene Literaturkritiker werden müssen, denen der Spaß beim Lesen abhanden gekommen ist. Aber wer lesend nur in einem ganz kleinen Bereich wildert, der greift vielleicht seltener daneben, lässt aber auch viele Chancen und Neuentdeckungen links liegen. Das ist mir noch einmal klar geworden, als ich anfing, Werke zu entstauben, die beinahe vergessen waren. Das SF-Drama Rossums Universal Roboter von Karel Capek, das das Wort ‚Roboter‘ in die Welt brachte, ist ein solches Stück Literatur oder das Gespensterbuch von August Apel und Friedrich Laun (gerade im Blitz-Verlag neu erschienen), von dem sich bereits Mary Shelley zu ihrem Frankenstein inspirieren ließ. Auf die Werke bin ich eher zufällig gestoßen. Beide haben trotz ihres Alters nichts an ihrer Wirkung eingebüßt und strahlen noch immer in die jeweiligen Genres hinein.


Fantasyguide: Hast Du Gullivers Reisen gelesen?

 

Felix Woitkowski Nie vollständig. Dafür aber manche andere vergleichbare Werke der utopischen Reiseliteratur. Darunter zum Beispiel Niels Klims Reise in die Unterwelt von Ludwig Holberg aus dem Jahre 1741, das ich auch als eBook neu aufgelegt habe, das mittlerweile aber auch frei im Internet zu finden ist. Darin stürzte dem namensgebende Niels Klim in einer Höhle in das Innerste der hohlen Erde herab. Dort landet er auf einem Planeten, der von Baumwesen bevölkert ist, reist weiter in einen Affenstaat und kommt so von der einen phantastischen Gesellschaftsform in die nächste. Das Buch strotzt vor Ideen und Komik, nimmt das gesamte 18. Jahrhundert aufs Korn und hätte einfach mehr Aufmerksamkeit verdient, vielleicht sogar so viel, wie Gulliver erhält.

Worauf zielt Deine Frage?

 

Fantasyguide: Du sagtest vorhin, Du möchtest Popkornliteratur nur in kleinen Dosen und ich persönlich fand den Gulliver in mehreren Punkten sehr bemerkenswert:

Swift bricht mit Tabus, die teilweise bis heute Bestand haben. Klothemen sind in der Literatur nach wie vor nicht erwünscht. Ich erinnere mich an einen Fall, indem ein Grund gesucht wurde, einen Protagonisten sehr schnell verschwinden zu lassen. Ich schlug eine Magenverstimmung oder Durchfall vor und erntete böse Blicke.

Gulliver geht in die Büsche, er löscht Feuer mit Urin (als Riese) und das, was viele für ein Abenteuerbuch für Kinder halten, ist purste Gesellschaftskritik. Wie er im letzten Teil den Pferden die Gesellschaft erklärt, da klingt viel Kritik durch die Zeilen.

Kritik, die heute nicht mehr so oft stattfindet.

Bis auf Ausnahmen wie zum Beispiel gerade wieder in »Zwielicht 8«.

Hast Du die Laufschuhe von Ken Liu und Schützenfest von Daniel Huster schon gelesen? Ich finde, wir könnten mehr solcher Geschichten brauchen.

Wie siehst Du das?


Felix Woitkowski Ich bin mir nicht sicher, ob uns Klothemen und -Geschichten verloren gegangen sind. Ich denke da spontan an die legendäre und viel zitierte Toiletten-T-Rex-Szene im ersten Jurassic Park-Film oder den gezielt herbeigeführten Durchfall im ersten Uldart-Roman von Markus Heitz. Was sicherlich richtig ist, dass nicht in allen Werken der Gegenwartsliteratur gesellschaftskritische Positionen zu finden sind. Das war aber auch niemals anders. Das, was wir noch als Klassiker kennen, stellt ja nur einen Bruchteil dessen dar, was in den jeweiligen Zeiten erschien, und war auch nicht immer ein Beststeller. Oftmals waren die plattesten Liebes- oder Gesellschaftsromane viel erfolgreicher. Genauso schätze ich die heutige Lage auch ein. Lesen soll doch auch Unterhaltung sein, Spaß machen. Es muss sich nicht in jedem Fall eine gesellschaftspolitische oder philosophische Debatte anschließen. Zugleich ist aber auch das, was wir oftmals als Popkultur schelten, reicher an Verweisen und Ideen, als es auf den ersten Blick erscheint.

An der Uni Kassel habe ich gemeinsam mit Urania Milevski und Paul Reszke die Ringvorlesung Gender&Genre organisiert, in der wir uns mit modernen TV-Serien von Sailor Moon über Game of Thrones bis hin zum Tatortreiniger auseinandergesetzt haben. Die Diskussionen, die ein fester Teil der Termine waren, sprengten häufig den zeitlichen Rahmen. Letztendlich war das Format so erfolgreich, dass wir in eine zweite Runde gehen mussten und jetzt einen Sammelband vorbereiten.

Was ich sagen will, ist, dass wir nicht vorschnell über Literatur und Filme werten und sie als platt und bloße Unterhaltung, was auch immer das genau heißen mag, abwerten sollten. Gleichzeitig bin ich aber auch bei Dir, wenn ich immer wieder nach intelligenten Geschichten suche, die mich herausfordern und über die auch nach Ende der Lektüre noch nachdenken und sprechen kann. Die Zwielicht-Reihe ist dazu gerade wunderbar geeignet, weil Michael Schmidt und Achim Hildebrand damit die ganze Bandbreite des Horror-Genres bedienen wollen. Dazu gehört dann auch so eine bittere Geschichte wie das von Dir erwähnte »Schützenfest« von Daniel Huster, die einem, weil sie so treffend ist, zurecht die Laune verdirbt. Gerne mehr davon, aber bitte nicht ausschließlich.

 

Fantasyguide: Beschränkst Du Dich bei den Klassikern auf Prosa, oder liest Du auch die Lyriker?

 

Felix Woitkowski Manchmal lese ich auch Lyrik, aber das ist eigentlich nicht meine Welt.


Fantasyguide: Du erwähntest vorhin zwei Kurzgeschichten. Eine davon entsteht zu einem Bild, und nachdem ich als Herausgeberin dieser Anthologie weiß, welches Bild Du Dir ausgesucht hast, bin ich sehr gespannt, wie Du aus dieser Vorlage eine Horrorstory zimmern wirst.

Wie gefällt Dir die Idee, Dich zur Abwechslung mal von einem Bild, statt von Musik inspirieren zu lassen?

 

Felix Woitkowski Haben wir uns wirklich auf eine Horrorstory geeinigt? Das wird spannend, denn ich weiß, ehrlich gesagt, noch gar nicht, wie die Geschichte aussehen wird. Inspiration ist keine Einbahnstraße, kein Fleischwolf und keine Wasserrutsche im Spaßbad. Wahrscheinlich wird sich die Inspiration ausgehend von dem Bild einen Weg über Musik, eine Nachricht, die ich irgendwo aufschnappe, und ein Gespräch, das sich mir ihn der Bahn aufdrängt, einen Weg bahnen. Letztendlich lande ich dann ganz woanders, als ich gedacht hätte. Deshalb wird das auch für mich aufregend.

Als ich mit dem Schreiben anfing, habe ich die Höhlenwelt-Saga des leider zu früh verstorbenen Harald Evers verschlungen. Als Cover dienten Bilder des Künstlers Hans Werner Sahm, die wiederum als Inspiration für die Bücher dienten. Mit diesen Bildern im Hinterkopf schrieb ich zwei frühe Kurzgeschichten. Du ermöglichst mir gerade, in dieses Arbeiten zurückzukehren, und ich freue mich darauf.

 

Fantasyguide: Magst Du uns schon ein wenig neugierig auf Dein nächstes Romanprojekt machen?

 

Felix Woitkowski Ungerne, denn fühlt es sich noch zu früh an. Deshalb nur zwei Gedanken, die ich darin zusammenbringen möchte: Mir ist aufgefallen, dass die Fantasyliteratur zwar auf große Endschlachten hinarbeitet, aber nur selten erzählt, was unmittelbar danach geschieht. Ich finde es spannend, mit anderen AutorInnen zusammenzuarbeiten, ihnen die Stimmen vorkommender Figuren zu geben und ins kreative Chaos zu führen. Was daraus folgt, wird man sehen oder im schlimmsten Fall auch nicht.

 

Fantasyguide: Vielen Dank, dass Du Dir Zeit für die Antworten genommen hast. Willst Du noch etwas loswerden?

 

Felix Woitkowski Gerne. Bücher zu lesen ist keine Zeitverschwendung, sondern eine Bereicherung. Wenn ihr das genauso seht, dann lasst uns Buchschaffende doch häufiger mal hören, was ihr beim Lesen empfunden habt. Das brauchen wir, um weiter zu machen und besser zu werden.

Vielen Dank für das Interview, Marianne.

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Buch:

Rattensang

Autor: Felix Woitkowski

Taschenbuch, 139 Seiten

p.machinery, August 2015

Cover: Gustave Doré und Felix Woitkowski

 

ISBN-10: 3942533928

ISBN-13: 978-3942533928

 

Erhältlich bei: Amazon

 

Kindle-ASIN: B015XTF5RA

 

Erhältlich bei: AmazonKindle-Edition

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Erstellt: 12.05.2016, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 14505