Interview: Michael K. Iwoleit (2017)
 
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Im Gespräch mit Michael K. Iwoleit

geführt von Ralf Steinberg

 

Er gehört zu den profundesten Kennern und Kritikern der deutschsprachigen Science-Fiction, ist ein vielprämierter Autor, Nova-Herausgeber und Amateur-Musiker. Zwölf Jahre lang ließen wir Michael K. Iwoleit in Ruhe …

 

Fantasyguide: Michael, es ist schon eine Weile her, seit wir Dich das letzte Mal interviewten. Deine Bibliographie hat sich seither um einen Roman, einige Erzählungen und weitere Preise erweitert. Empfandst Du die letzten zwölf Jahre als Erfolg oder hättest Du gern noch mehr erreicht?

 

Michael K. Iwoleit Ich habe leider viel Zeit und Energie an eine Depressionserkrankung verloren, und daher waren die Jahre ab 2009 unbefriedigend und sicher kein Erfolg für mich, obwohl ich in dieser Zeit eine Story- und eine Essay-Sammlung veröffentlicht und zwei weitere Deutsche Science Fiction Preise eingeheimst habe. Durch große Anstrengungen ist es mir aber gelungen, meine Situation zu verbessern, und ich bin gerade dabei, mein Privat- und mein Arbeitsleben neu zu organisieren. Ich hoffe, es wird sich bald auch durch die Anzahl und Qualität meiner Veröffentlichungen bemerkbar machen.

 

Fantasyguide: Die letzten Tage der Ewigkeit versammeln Storys von 1995 bis 2011. Die nächsten sechs Jahre sind bald voll – wird ein zweiter Storyband von Dir erscheinen?

 

Michael K. Iwoleit Ja, ich arbeite daran, und der Apex-Verlag hat bereits Interesse bekundet. Der Band wird einige Erzählungen vereinen, die in Anthologien und den Magazinen Exodus und Nova erschienen sind. Wie beim letzten Mal möchte ich auch wieder neues, bislang unveröffentlichtes Material aufnehmen, und dazu habe ich schon sehr konkrete Ideen für zwei Kurzgeschichten und eine Novelle. Ein bißchen Arbeit wird das Buch also noch erfordern, aber ich hoffe, daß ich es bis zum Frühjahr an den Verlag übergeben kann. Im April wird voraussichtlich auch mein neuer Roman Der Moloch, die Langfassung der gleichnamigen Novelle, bei Fabylon erscheinen. Mit ein bißchen Glück wird 2018 mein Jahr.

 

Fantasyguide: Das von Dir mitgegründete SF-Magazin »Nova« durchlebt gerade eine schwierige Phase. Gerade erst hast Du verkündet, dass aus dem geplanten Rücktritt von der Magazinfront vorläufig nichts wird. Fehlen gute Leute oder sinkt das Interesse an einem Magazin wie »Nova«?

 

Michael K. Iwoleit Es ist vor allem schwierig, zuverlässige Leute zu finden, denen ich das Magazin, in dem mittlerweile immerhin 15 Jahre Arbeit stecken, guten Gewissens übergeben kann, in der Hoffnung, daß es noch viele Jahre fortgesetzt wird. Eine solche Verjüngung läßt sich nicht so kurzfristig durchführen, wie ich erhofft habe, und muß wohl schrittweise angegangen werden. Ich bin dabei, vielversprechende Autoren, die noch nicht so lang in der Szene aktiv sind, mit verschiedenen Aufgaben in das Magazin zu involvieren. Vielleicht erwächst daraus mit der Zeit ein neuer Redaktionsstab, an den Olaf Hilscher und ich die Fackel irgendwann weiterreichen können.

 

Mit Olaf und mit Verleger Jürgen Eglseer von Amrun werde ich Anfang des neuen Jahres eine Diskussion führen müssen, wie es mit »Nova« mittelfristig weitergehen soll. Endgültige Entscheidungen können erst dann getroffen werden, aber ich kann unseren Lesern versichern, daß wir das Magazin auf keinen Fall sanft entschlafen lassen werden – auch wenn es in letzter Zeit manchmal so ausgesehen hat.

 

Fantasyguide: 2015 erschien mit Reductio ad absurdum ein Band mit Essays zur Short Science Fiction. Ich entdeckte dabei David I. Masson für mich. Deine Beschäftigung mit den »Kurzatmigen« führt Dich aber inzwischen von der Science-Fiction fort, wie Du im SciFiNet schriebst. Was hat Deine Liebe verändert?

 

Michael K. Iwoleit Die Science Fiction wird wahrscheinlich immer mein literarischer Bezugspunkt bleiben, einfach weil ich die kreativen Möglichkeiten des Genres schätze. Aber es stimmt, daß ich mich über die SF hinaus entwickelt habe, was ich persönlich als Fortschritt empfinde und mich menschlich wie geistig bereichert hat.

Durch die Arbeit an InterNova und die damit verbundenen zahlreichen internationalen Kontakte habe ich ein intensives Interesse zunächst an zeitgenössischer Literatur aus aller Welt, vor allem außereuropäischen Regionen, und dann an globaler Kunst und Kultur überhaupt entwickelt.

Zwar plane ich nicht, die SF in absehbarer Zeit ganz aufzugeben, aber diese »Weltkultur«, wie ich es nenne, wird in Zukunft eines meiner Hauptbetätigungsfelder sein. Im Moment bin ich dabei, alle meine damit verbundenen Aktivitäten in Form eines neuen Kulturprojekts im Internet zu bündeln. Leser, die mehr wissen wollen, mögen gelegentlich einen Blick auf die Website www.worldculturehub.org werfen.

 

Fantasyguide: Du schriebst im SFN auch, »Die Kurzgeschichte ist tot, weigert sich aber nach wie vor, standesgemäß zu verwesen.« Steht ihr nicht vielleicht eher eine Reformation ins Haus? Müsste sie nicht gänzlich neu erschaffen werden? Und wer könnte das?

 

Michael K. Iwoleit Die Sache hat, glaube ich, zwei Aspekte. In der Literatur nach dem Zweiten Weltkrieg ist es nur ganz wenigen Autoren gelungen, sich ausschließlich (oder fast ausschließlich) mit Kurzgeschichten ein internationales Renommee zu erarbeiten. Spontan fallen mir da nur Alice Sheldon aka James Tiptree jr., Alice Munro und Andre Dubus ein, vielleicht noch William Trevor. Selbst ein genialer Kurzgeschichtenautor wie John Updike, für den immerhin rund zwanzig Bände mit Erzählungen zu Buche stehen, hat Stories nur nebenbei geschrieben. Auf den kommerziell gewichtigen Buchmärkten in Europa und Nordamerika werden Stories in erster Linie als Beiwerk zur Promotion von Romanautoren betrachtet.

 

Das Bild ist allerdings unvollständig, wenn man sich auf diese Märkte beschränkt.

Eine Art Neuerfindung der Kurzgeschichte hat, meine ich, bereits stattgefunden, und zwar im Internet. In zahlreichen Online-Magazinen mit einem insgesamt doch beachtlichen Publikum hat sich »flash fiction« – Kürzestgeschichten und Prosastücke von oft weniger als einer Seite Länge – zu einer eigenständigen Kunstform entwickelt. Außerdem gibt es Buchmärkte in anderen Teilen der Welt, wo Stories kommerziell sogar sehr erfolgreich sind. In China sind Kürzestgeschichten von maximal 150 Schriftzeichen Länge (etwa vier Druckseiten) ein Riesending, mit mehreren tausend Neuerscheinungen pro Jahr.

 

Fantasyguide: Du hast Dich auch sehr begeistert über Dubliner von James Joyce geäußert. Die Geschichten enthalten auch immer eine starke politische Ebene und sei es als Bezug auf die irische Abhängigkeit von London. Wie wichtig ist Dir Politik in der Literatur, in der SF speziell?

 

Michael K. Iwoleit Die »Dubliner« sind für Kurzgeschichtenliebhaber vor allem ein ästhetisches Erlebnis. Die politischen Aspekte, wiewohl vorhanden, sind bei Joyce eher von untergeordneter Bedeutung. James Joyce war vermutlich der genialste Schriftsteller, den die Weltliteratur seit Shakespeare hervorgebracht hat, und es ist einfach ein Genuß, einen Meister zu lesen, der in der Literatur eine ähnliches Niveau erreicht hat wie Johann Sebastian Bach in der Musik. Der Schluß von »The Dead« wird wahrscheinlich noch Generationen von Lesern in Staunen und Ergriffenheit versetzen.

 

Generell meine ich, daß die zeitgenössische Literatur, insbesondere die SF, viel politischer werden sollte. Die zentralen politischen und sozialen Themen unserer Zeit sind, so weit ich sehe, noch gar nicht in der Literatur angekommen, und damit meine ich nicht nur solch offensichtliche Aspekte wie die immer weiter klaffende Schere zwischen Arm und Reich, die Machtverlagerung von der Politik auf die Wirtschaft, die globalen Migrationsbewegungen und den vielbeschworenen »clash of civilizations«. Insbesondere durch Vernetzung, Digitalisierung, die »Entmaterialisierung der Arbeit« und den Run auf Big Data kommen Dinge auf uns zu, die das globale Machtgefüge komplett verändern und Demokratie, wie wir sie verstehen, unmöglich machen könnten. Für mein Online-Projekt habe ich kürzlich anfangen, das Basis-Toolkit eines jedes Web-Programmierers, also HTML, CSS und JavaScript, zu lernen und mich dafür in diverse Newsletter eingetragen. Es war erstaunlicherweise in solchen Newslettern, in denen ich Links zu einigen der aufschlußreichsten Artikel über die kommenden Entwicklungen der IT und ihrer kommerziellen Anwendungen gefunden habe. Autoren, die wissen und literarisch verarbeiten wollen, was hier auf uns zukommt, kann ich nur empfehlen, selber mal auf diesem ungewöhnlichen Wege Recherchen anzustellen.

 

Fantasyguide: Den Jahresrückblick über die deutschsprachige SF-Kurzgeschichte möchtest Du nicht fortführen und ich kann das verstehen. Um die 200 Texte pro Jahr sind es und Perlen darunter rar. Wenn aber Deine Stimmen der Kritik schweigt, wer wird dann in Zukunft in den Einheitsbrei schlagen, dass es nur so spritzt?

 

Michael K. Iwoleit Ja, das frage ich mich auch. Ich habe für kritische Arbeiten dieser Art immer eine Menge Schelte einstecken müssen. Dabei haben die wenigsten anerkannt, wieviel Arbeit in meinen scheinbaren Unflätigkeiten steckt. In einer Diskussion auf scifinet.org habe ich gerade ein Bilanz aufgemacht: Für meine drei publizierten Jahresbilanzen der deutschen SF-Storyszene habe ich, grob überschlagen, etwa 12.000 Seiten bzw. 700 Stories gelesen. Meine Notizen zu den Geschichten sind drei- bis viermal umfangreicher als die publizierten Artikel selbst. Ich erwähne das nicht, um damit zu prahlen – schließlich habe ich mir den Wahnsinn freiwillig aufgehalst. Aber ich glaube nicht, daß es in der Szene sonst jemanden gibt, der sich, der Sache wegen, eine solche Arbeit machen würde. So wie es seinerzeit, als Horst Pukallus und ich für die Kritik an der deutschen Übersetzung von Brian Aldiss’ Barefoot in the Head gescholten wurden, auch niemanden gegeben hat, der die Übersetzung, so wie wir, über mehrere Wochen hinweg Satz für Satz mit dem Original verglichen hat.

 

Der einzige jüngere Autor in der Szene, der ähnlich bescheuert ist wie ich und eine ähnliche Besessenheit in seine Arbeit steckt, ist Frank Hebben. Man kann diese Form der Ernsthaftigkeit niemandem verordnen. Ich wünschte nur, es gäbe in unserer Szene mehr Leute, die es so machen würden.

 

Fantasyguide: Ich habe den Eindruck gewonnen, dass persönliche Angriffe von Deiner Seite zwei Ursachen haben: Zum einem politischer Dissens und zum anderen Ärger über das Abliefern qualitativ schlechter Texte. Verhindert ein aggressiver Ton aber nicht, dass man ernsthaft auf Deine Argumente eingeht?

 

Michael K. Iwoleit Der einzige persönliche Angriff, den ich in diesem Jahr gefahren habe und der zu meinem Boykottaufruf des Dortcons führte, war in jeder Hinsicht gerechtfertigt.

Wer einen so geballten Unfug vom Stapel läßt wie der Herr, dessen Namen ich an dieser Stelle nicht durch Nennung adeln möchte, darf sich nicht wundern, wenn jemand vom Recht der Gegenrede Gebrauch macht. Was literarische Kritik angeht, wird diese zwar von vielen, besonders mindertalentierten, Autoren als persönlicher Angriff aufgefaßt, hat aber nichts damit zu tun.

Obwohl, wie ich gestehen muß, mir Leute zutiefst unsympathisch sind, die zwar Schriftsteller werden wollen, ihrem Handwerk bei näherem Hinsehen aber nur Verachtung entgegen bringen.

 

Ich sehe das so: Kluge Menschen beurteilen Sachverhalte und Äußerungen nach ihrer Relevanz und machen sich nicht in die Hose, wenn die Art der Darstellung etwas deutlicher ist. Dumme Menschen sind in der Regel ohnehin unbelehrbar, und ich sehe keinen Grund, warum man sich aus Rücksicht auf diese Fesseln anlegen sollte. Insbesondere nicht bei Leuten, die nicht von Natur aus dumm sind, sondern deren Dummheit eine aktive Leistung darstellt.

 

Ich weiß, aus den Erfahrungen, die geschätzte ältere Kollegen wie Horst Pukallus oder Franz Rottensteiner im Laufe der Jahrzehnte gemacht habe, hätte ich längst schließen können, daß der Kampf gegen Windmühlenflügel nichts bringt und man eine gewisse Gelassenheit kultivieren sollte. Ich persönlich merke allerdings, daß ich mit zunehmendem Alter nicht ruhiger, sondern immer radikaler werde, sowohl in politischer wie in literarischer Hinsicht.

 

Fantasyguide: Die Frage nach Maßstäben für Literaturkritik im Allgemeinen und denen für die SF im Besonderen sind nicht neu. Du schriebst auch einmal davon, dass nicht nur der SF-Autor sein Handwerk beherrschen muss, auch die Leserschaft bräuchte ein gewisses Rüstzeug, um jenseits des Mainstreams agierende Texte würdigen zu können. Brauchen wir einen SF-Führerschein?

 

Michael K. Iwoleit Vielleicht wäre das eine Eingabe an die Regierung Merkel wert. Die ist ja auch sonst zwar nicht für vernünftige, aber für jede bescheuerte Idee aufgeschlossen. Ich würde sagen, die beste Antwort auf diese Frage ist etwas, was vor einiger Zeit ein Feuilletonist geschrieben hat (leider weiß ich nicht mehr, wer es war): Die Literatur ist wieder ein Minderheitenthema geworden, eine Sache für einen kleinen, verschworenen Kreis von Liebhabern, die einen eigenen Geschmack kultivieren und sich gegenseitig Bücher empfehlen, einfach aus Liebe zur Literatur, ohne kommerzielle oder elitäre Scheuklappen. Ein Teil dieser Minderheit ist auch in der SF-Szene unterwegs, und ich bin für solche Leute ungemein dankbar. Wenn mir z. B. Kollege Ralph Doege einen Autor, ein Buch oder auch einen Film empfiehlt, kann ich praktisch blind zugreifen und mir immer sicher sein, daß mir etwas Originelles und Anspruchsvolles ans Herz gelegt wurde.

 

Solche Leute sind wahrscheinlich deshalb eine Minderheit, weil nur die wenigsten Menschen geistig unabhängig genug sind, um sich auf eine eigene Entdeckungsreise in Literatur, Kunst und Musik zu begeben und sich nicht nach dem zu richten, was laut den Mainstream-Medien gerade hip & new & cool ist. Das ist keine angenehme Feststellung, aber es ist wohl eine unvermeidliche Folgeerscheinung einer Massengesellschaft mit einer entsprechend skalierten Kulturindustrie.

 

Fantasyguide: Siehst Du Dich in der Lage, neue Trends in der SF zu benennen? Liegt das Goldene Zeitalter der SF noch vor uns?

 

Michael K. Iwoleit In gewisser Weise sind wir mittendrin, würde ich sagen. Eine meines Erachtens wesentliche Entwicklung habe ich in meinem Artikel Die neue Annäherung von Science Fiction und Literatur skizziert: Einerseits die Tatsache, daß bedeutende SF-Autoren wie Dick oder Ballard in den letzten zwanzig, dreißig Jahren einen immer größeren Einfluß auf Literatur und Kultur außerhalb der SF-Szene ausgeübt haben und daß SF-Autoren sich immer weiter in die allgemeine Literatur vorantasten.

Andererseits der Trend, daß Mainstream-Autoren der SF immer freimütiger und kompetenter Elemente entlehnen, bis hin zu Büchern, die eigentlich pure Science Fiction sind, aber nicht als solche veröffentlicht werden. In gewissem Maße ist die SF in die allgemeine Literatur aufgegangen.

 

Ich hoffe allerdings, daß diese Entwicklung für die SF noch nicht der Weisheit letzter Schluß gewesen sein wird und auch die SF als Genreliteratur langfristig von dieser Entwicklung profitieren kann. Mich hat immer ein Argument von Barry N. Malzberg nachdenklich gemacht, der Gründe aufgeführt hat, warum Hugo Gernsback nicht, wie viele progressive SF-Schaffende meinen, die größte Katastrophe für die SF gewesen ist: Ohne Gernsback und die »Ghettoisierung« der SF gäbe es heute vielleicht Literatur mit leichten SF-Elementen, aber es gäbe keine genuinen imaginären Leistungen der SF wie etwa More Than Human.

Da ist etwas dran. Das völlige Aufgehen in den Mainstream könnte die SF in ihren kreativen Möglichkeiten beschneiden. Ich glaube nicht, daß irgendein Schriftsteller, ohne die Genre-SF als Bezugspunkt, etwas wie z. B. Ted Chiangs Kurzgeschichten schreiben könnte.

 

Fantasyguide: Dir ist die Rolle von Verlagen und Herausgebern bei Schaffung von Qualitätstexten wichtig. Auf der anderen Seite gibt es den Markt. Kann das überhaupt funktionieren?

 

Michael K. Iwoleit Solang es Verlagshäuser gibt wie den Unionsverlag oder Lenos, die wichtige, wenn auch nicht kommerziell erfolgreiche Literatur aus aller Welt publizieren und sich damit seit Jahrzehnten behaupten, kann niemand sagen, das sich Qualitätsprojekte auf dem Buchmarkt nicht durchsetzen lassen. Es kommt immer darauf an, was man vom Markt erwartet. Profitmaximierung ist ein anderer Maßstab als das Bestreben, ein Projekt durch ein kleines, treues Liebhaberpublikum lebensfähig zu halten.

 

Fantasyguide: Schwierig ist es auch, Leserinnen und Leser zu erreichen. Viele SF-Schaffende geben offen zu, selbst kaum SF zu lesen. Für wen wird denn da geschrieben? Bleibt da nicht nur der Mainstream übrig?

 

Michael K. Iwoleit Ich glaube immer noch, daß es ein potentielles SF-Publikum außerhalb der SF-Stammleserschaft gibt und es einfach an Ideen und dem Mut mangelt, dieses Publikum anzusprechen (wobei ich mich selbst als Magazinherausgeber nicht ausnehmen möchte). IT-Profis, Medienleute, Wissenschaftler, Techniker etc. – all diese Leute sind ein potentielles SF-Publikum, das für neue Ideen und kreative Gedankenspiele aufgeschlossen ist und dem die SF etwas bieten könnte, was in der allgemeinen Literatur (noch) selten ist: eine Beschäftigung mit der Welt, die auf uns zukommt. Dieses Publikum kann man allerdings nicht erreichen, wenn man, sowohl bei der Auswahl der Texte wie bei der Produktion und Präsentation der Bücher, auf die typische SF-Leserschaft schielt, die soundsovielte Serie produziert und ein Buch nach dem anderen von wenig lesenswerten Amateurschreibern raushaut. Da muß man sich schon etwas anderes einfallen lassen. Ich räume allerdings ein, daß ich selbst noch dabei bin, mir in dieser Hinsicht für die von mir betreuen Magazine neue Konzepte zu überlegen.

 

Fantasyguide: Du versprichst für Deine neue Homepage www.iwoleit.de weiterhin »Interessantes zur SF- und zur Kurzgeschichte im Allgemeinen«. Betrifft das Deine alten Essays oder wird dort auch Neues zu finden sein?

 

Michael K. Iwoleit www.iwoleit.de ist eine der beiden Adressen, unter denen mein Internet-Kulturprojekt, der World Culture Hub, ansprechbar ist. Die andere – www.worldculturehub.org – wurde bereits genannt. Hier werde ich unter anderem meine diversen Arbeiten über bedeutende Kurzgeschichtenautoren inner- und außerhalb der Science Fiction hochladen, sofern ich sie nicht im Druck verwerte.

Kurze Essays über die beiden Inder Saadat Hasan Manto und Nirmal Verma sind bereits online. Allerdings ist das nur ein kleiner Teil des Gesamtkonzepts.

Interessierten empfehle ich, einen Blick auf die Info-Seiten About und Mission Statement zu werfen, da wird alles näher erläutert. Weiteren Content versuche ich von Kollegen und Fachleuten zu akquirieren. So hat mir Horst Pukallus bereits zwei Beiträge zur Verfügung gestellt.

 

Fantasyguide: Warum erscheinen diese Texte in Englisch? Lässt Du da nicht gerade jenen Teil der Leserschaft außen vor, die eigentlich einen Blick über den deutschsprachigen Tellerrand werfen sollte?

 

Michael K. Iwoleit Der World Culture Hub ist erstens keine Science-Fiction-Seite und zweitens ein internationales Kulturprojekt, das sich nicht bloß an ein deutsches, sondern an ein internationales Kulturprojekt richtet. Welches ist wohl die Sprache, die von den meisten Lesern auf der Welt verstanden werden kann? Deutsch sicher nicht, und selbst Spanisch und Französisch hätten keine ausreichende Reichweite.

Lektürekenntnisse des Englischen setze ich heute eigentlich bei jedem einigermaßen gebildeten Mitteleuropäer voraus. Wem das zuviel verlangt erscheint, der gehört sowieso nicht zum potentiellen Publikum dieses Projekts.

 

Fantasyguide: Welche Pläne hast Du für die Präsentation Deiner Second Life Projekte? Welche Rolle spielen dabei Deine Ambientstücke?

 

Michael K. Iwoleit Ich habe meine eigenen Aktivitäten in Second Life etwas zurückgefahren, stehe aber Thorsten Küper und anderen SL-Veranstaltern weiterhin zur Verfügug. Ich selbst unterhalte in Second Life nur noch einen kleinen Standort, eine Informations- und Veranstaltungslocation, wo ich sicher auch wieder Lesungen und Konzerte durchführen werde. In letzter Zeit war ich vor allem als Live-Musiker und Soundartist gefragt. Second Life ist für mich die derzeit einzige Möglichkeit, meine bescheidene elektronische Ambient-Musik live zu präsentieren. Ich betrachte mich bislang lediglich als Amateurmusiker, und mein Equipment transportabel zu machen und konventionell live aufzutreten, wäre für meine Verhältnisse einfach zu aufwendig.

 

Fantasyguide: Für mich sind Lesungen im Second Life noch deutlich mehr Kunst als die puren Texte. SF-Filme sind ungemein erfolgreicher als SF-Bücher. Müsste man nicht viel mehr dafür sorgen, dass die SF mit Kunst aus allen Richtungen geimpft wird?

 

Michael K. Iwoleit Virtuelle Welten sind gerade erst dabei, beim breiten Publikum richtig abzuheben. Wenn die einschlägigen VR-Headsets erschwinglich werden, hat Virtual Reality das Potential, zu einem Massenphänomen zu werden, mit vielen Gelegenheiten für Kreative, sich und ihre Arbeiten zu präsentieren. Second Life ist noch in vielerlei Hinsicht technisch unzureichend und unzuverlässig und dürfte bald von neuen und ausgereifteren Plattformen wie High Fidelity oder Sansar abgelöst werden.

Ich persönlich sehe außerdem großes Potential in WebGL und WebVR: beides läuft im Browser, bietet also eine dem breiten Publikum vertraute Schnittstelle, ist auf jedem halbwegs aktuellen Rechner sehr schnell, die die Graphikqualität ist, je nach verwendetem Toolkit, weit besser als Second Life.

 

Die interessanteste Second-Life-Veranstaltung, an der ich bisher teilgenommen habe, war Confinement, eine Art live inszenierter SF-Film auf Grundlage einer Story von Thorsten Küper, zu dem ich den Background-Sound beigesteuert habe. In Zukunft werden die Möglichkeiten für solche Fusionen von Literatur, Musik, Film und Virtual Reality nur wachsen, und ich werde mich gern an weiteren Veranstaltungen dieser Art beteiligen oder selbst welche konzipieren, auch wenn literarische Texte für mich immer einen Wert in sich haben werden.

Science Fiction bietet sich für multimediale Ausarbeitungen aller Art an. Literatur wird aber immer, wie erfolgreich Filme auch sein mögen, das Ausgangs- und Bezugsmedium der SF bleiben.

 

Fantasyguide: Woran mag es liegen, dass sich so wenig SF-Fans zu den Lesungen und Events im Second Life einfinden, obwohl jede Menge Autorinnen und Autoren dort mit großartigen Leistungen präsent sind?

 

Michael K. Iwoleit Das ist eine Frage, die Thorsten Küper, der mich und viele andere für Second Life interessiert hat, schon seit Jahren stellt. Sicher spielt eine Rolle, daß Zuschauer neue Software installieren und sich mit dem Interface beschäftigen müssen. Das erfordert eine gewisse eigene Aktivierungsleistung vom Zuhörer, und diese Mühe ist den meisten SF-Lesern eine literarische Veranstaltung nicht wert. Auch auf Autorenseite stoßen wir mitunter auf einen erstaunlichen Widerwillen gegen Kulturveranstaltungen in virtuelle Welten. Da gibt es Leute, die über Cyberpunk und Virtual Reality schreiben, sich selbst aber auf keinen Fall eigenen Erfahrungen in virtuellen Welten aussetzen wollen. Eine merkwürdige Einstellung, wie ich finde.

 

Fantasyguide: Was hältst Du von der Idee einer Fusionierung der beiden deutschen SF-Preise KLP und DSFP?

 

Michael K. Iwoleit Überhaupt nichts. Der Kurd Laßwitz Preis, der ursprünglich als Profipreis analog dem amerikanischen Nebula Award konzipiert war, leidet jetzt schon darunter, daß zu viele Fans und Amateure mitstimmen, was sich an der Qualität der Nominierungen wie auch an dem Umstand zeigt, daß wiederholt Fandom-Projekte mit dem KLP-Sonderpreis ausgezeichnet wurden. Ich erinnere mich, daß vor zwei Jahren eine Kurzgeschichte nominiert war, in der ein Wissenschaftler auf einem fernen Planeten, 300 Jahre in der Zukunft, mit seiner Frau Ärger bekommt, weil sie in seinen Sachen ein Damentaschentuch findet. Das sind doch Kindereien, noch dazu, wenn im selben Jahr eine ausgezeichnete Kurzgeschichte von Guido Seifert kommentarlos von der Nominierungsliste gestrichen wird. Vielleicht sollte man über eine grundlegende Reform des KLPs nachdenken und eine kompetente Jury einsetzen. Das Vorauswahlgremium ist offenbar nicht in der Lage, solchen Unfug zu verhindern.

 

Der DSFP dagegen ist explizit als ein vom Fandom vergebener Preis konzipiert.

Da setze ich andere Maßstäbe, und es erstaunt mich, daß ich schon fünfmal ausgezeichnet wurde. Noch dazu, nachdem ich in diesem Jahr das halbe Fandom gegen mich aufgebracht habe. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Fantasyguide: Ist der Gewinn des diesjährigen DSFP Gewohnheit oder immer noch das Nonplusultra?

 

Michael K. Iwoleit Ich freue mich immer noch über jeden SF-Preis, den ich gewinne, auch wenn sich nach sieben individuellen Auszeichnungen eine gewisse Routine eingestellt hat. Allmählich wird mir allerdings ein wenig unheimlich, daß ich bislang für jede meiner Novellen einen Preis erhalten habe, was mir selbst nicht in allen Fällen gerechtfertigt erschien. 2013 habe ich eine Story von Karsten Kruschel höher eingeschätzt, und in diesem Jahr wären Frank Hebben, Thorsten Küper oder Niklas Peinecke mit ihren Beiträgen zur Anthologie Gamer vielleicht verdientere Preisträger gewesen. Es wäre für mich und die Kollegen sicher eine Erleichterung, wenn ich mal eine gute Novelle veröffentlichen würde, die keinen SF-Preis einheimst, oder wenn man mich zur Abwechslung mal für einen Roman auszeichnet. Im April 2018 erscheint mein nächster – das wäre eine Gelegenheit.

 

Fantasyguide: Du bist international gut vernetzt, man spricht Dich an, wenn es um deutschsprachige SF geht. Welchen Tenor vertrittst Du dabei?

 

Michael K. Iwoleit Wir sind eine kleine Szene mit begrenzten Ressourcen, die vor allem an einem Mangel an guten Autoren und professionellen SF-Buchproduzenten mit literarischem Anspruch mangelt. Wenn wir nicht Gefahr laufen wollen, in die völlige Bedeutungslosigkeit zu versinken, sollten wir versuchen, aus diesen Ressourcen das Beste zu machen und das heißt vor allem: möglichst gute Bücher, nicht möglichst viele Bücher. Es erscheint in den letzten Jahren vor allem im Klein- und Selbstverlagsbereich zu viel deutsche SF und Phantastik, und es ist zu einem beträchtlichen Anteil schauderhaftes Zeug von minderbegabten Schreibern, die man notfalls mit Gewalt vom Schreiben abhalten, aber keinesfalls durch Veröffentlichungen ermutigen sollte. In dieser Hinsicht sehe ich einige Parallelen zu einem kurzfristigen Boom deutschsprachiger Science Fiction Anfang der Achtzigerjahre, als ich angefangen habe. Die Älteren werden sich daran erinnern, wie plötzlich und wie nachhaltig der aufgeblähte Markt deutscher SF damals eingebrochen ist.

 

Fantasyguide: Auf dem diesjährigen BuCon teilte Thomas Le Blanc die deutschsprachige SF nach ein/zwei Personen ein und benannte Herbert W. Franke als prägend für die zweite Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts. Mir erscheint das sehr verkürzt, aber kannst Du Dich dafür erwärmen?

 

Michael K. Iwoleit Wenn es um den prägenden Einfluß geht, dann müßten außer Herbert W. Franke vor allem auch Wolfgang Jeschke und einige Leute aus der Generation von Horst Pukallus oder Ronald M. Hahn genannt werden. Aber das ist nicht der einzige Grund, warum ich diese Behauptung für verfehlt und für Ausdruck einer ziemlich eingeschränkten und altmodischen Sicht auf die Science Fiction halte. Ich bin nicht der einzige, der Herbert W. Frankes literarisches Schaffen kritisiert hat. Von dauerhafter Bedeutung sind, neben seinen besseren Kurzgeschichten, wohl nur einige seiner frühen Romane wie etwa Der Orchideenkäfig oder Die Glasfalle. Ansonsten ist die literarische Weiterentwicklung der SF über Herbert W. Frankes didaktischer, unkünstlerischer Auffassung der Science Fiction hinweggegangen. Im Grund glaubt Franke nicht an den Wert und die Wirkungsmöglichkeiten der Literatur an sich, und deshalb wurde er von späteren deutschen SF-Autoren wie Thomas Ziegler oder Marcus Hammerschmitt deutlich übertroffen.

 

Fantasyguide: Was wünschst Du Dir für die nächsten Jahre Deines Schaffens, außer der notwendigen Gesundheit natürlich?

 

Michael K. Iwoleit Nach meinem Geburtstag im Februar hat mich jemand darauf aufmerksam gemacht, daß ich bereits 55 bin, was ich kaum glauben wollte. Es heißt zwar, man ist so jung, wie man sich fühlt (an manchen Tagen bin ich also bereits 160), aber 55 ist doch eine Hausnummer, die einen daran erinnert, daß man mit etwas Pech bereits in zehn bis fünfzehn Jahren in die ewigen Jagdgründe abberufen werden könnte – obwohl ich natürlich hoffe, daß mir das Doppelte bis Dreifache dieser Zeit als Restguthaben vergönnt sein wird. Ich wünsche mir daher nichts zu sehr, als daß es mir in Zukunft gelingen wird, meine Zeit effizienter zu nutzen und möglichst viele der Ideen zu realisieren, die ich schon seit Ewigkeiten vor mich herschiebe.

Sollte mir das gelingen, könnte sich meine gesamte bisherige SF-Karriere als Vorgeplänkel herausstellen.

 

Fantasyguide: Danke für das Interview!

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Erstellt: 14.11.2017, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 16239