Artikel: Coole Typen, harte Kerle
 
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Coole Typen, harte Kerle

Ein Streifzug durch die düstren Gassen des Comic Noir

 

Redakteur: Christian Endres

 

Alles kommt irgendwann wieder – das galt in den letzten Jahren für Schlaghosen, Modern Talking und Afri Cola, und das gilt aktuell und spätestens seit der erfolgreichen Verfilmung von Frank Millers Sin City vor zwei Jahren auch speziell für den Comic Noir, der sich derzeit größter Beliebtheit erfreut. Doch woher kommt dieser Comic Noir eigentlich, der vom Namen her durch und durch Französisch klingt und damit auf Wurzeln in der frankobelgischen Szene schließen lässt? Und was ist der Grund dafür, dass der dunkle, zynische Comic Noir gegen bunt-flippige Superhelden bestehen kann, ohne dass er deren schillerndem, grellem Eskapismus frönt? Diese und weitere Fragen sollen in folgendem Special rund um den Comic Noir geklärt werden...

 

Auf der Spur des Falken

 

Sucht man den Ursprung des Comic Noir (noir [nwaʀ] = Französisch für schwarz), lohnt sich ein Blick zu seinem großen Bruder, dem Film Noir. Genauso wie der Comic Noir, hat auch der Film Noir ungeachtet seines französisch anmutenden Namens Wurzeln und Ursprung in Amerika. 1946 wandte der französische Frilmkritiker Nino Frank den Begriff film noir allerdings zum ersten Mal an, um einen Sammelbegriff für die düsteren Detektivfilme zu finden, die seit den 1940ern in den USA allenthalben so beliebt waren (und erst nach Kriegsende und Aufhebung des entsprechenden Importverbots in die europäischen Kinos kamen). Der Begriff Film noir als solcher wurde jedoch erst Jahre später von Filmhistorikern wieder aufgegriffen und gewissermaßen rückwirkend als fixer Begriff geprägt, um ein wichtiges filmisches Produkt dieser Ära des amerikanischen Films sowie der Entwicklung Hollywoods (mit den s. g. Schwarzen Filmen/Black Movies) zwischen 1941 und 1958 zu beschreiben; der Begriff Film Noir wurde also, obschon prinzipiell durchaus ein Produkt seiner Zeit, erst nach seiner eigentlichen Blüte zu einem populären Ausdruck mit flächendeckender Gültigkeit, wenngleich er so oder so auch nie ein Genre, sondern höchstens ein Subgenre und eine Stilrichtung des amerikanischen Krimis und Thrillers zur Mitte des 20. Jahrhunderts kennzeichnet, die per Definition mit Im Zeichen des Bösen ihren letzten archetypischen Vertreter ins Rennen schickte.

 

Eine Definition seines Inhalts und seiner Optik ist dagegen schon leichter, denn damals wie heute gab und gibt es ganz bestimmte Elemente und Stilmittel, die den Film Noir gekennzeichnet haben bzw. kennzeichnen: Filme im Noir-Stil schlagen zunächst einmal durchweg düstere (Grau-)Töne an. Des weiteren nutzen sie gerne harte und darüber hinaus reichlich Schatten, generell eher dunkle Motive und Hintergründe und Settings, zuweilen auch ein diffuses Spiel mit dem Licht. Überhaupt sind gegensätzliche Arbeiten mit Licht, Schatten und Dunkelheit kennzeichnend für die Optik des Film Noirs, ebenso wie die erzählende, leicht rauchige Stimme aus dem Off und eine musikalische Untermalung, die der düsteren Seele des Blues zu folgen scheint, während der Fokus des Films auf Charakteren und Figuren, dem Zwiespalt zwischen Moral und Amoral liegt und als Motiv meistens Mord oder Diebstahl eine Rolle spielen. Alles in allem ist es also eine ganz eigene Ästhetik, die diese Art des Filmemachens zur Kunst stilisiert hat; eine düstere Ästhetik in Grau, die sich später auch im Comic Noir niederschlagen sollte, wo man die Wurzeln im deutschen Expressionismus noch ein wenig deutlicher sieht und der Schwarzweiß-Kontrast (wie z. B. im Fall von Frank Millers Sin City-Bänden) noch klarer zu sehen ist.

 

Inhaltlich hingegen hat der Film Noir seinen Ursprung in der Hard-Boiled-Literatur der 1920er und 1930er, einem Subgenre des amerikanischen Kriminalromans zur Zeit der wirtschaftlichen Depression, als der Hauch und Geist von Al Capone und anderen berüchtigten Gangstern noch allgegenwärtig war. Sucht man die berühmteste Schnittstelle beider Medien, findet man diese dann auch am ehesten in Form von Dashiell Hammets »Der Malteser Falke« (The Maltese Falcon, 1930) und dessen dritter, aber eben auch berühmtester Film-Adaption, Die Spur des Falken (The Maltese Falcon, 1941), mit Humphrey Bogart in John Hustons legendärem Schwarzweißfilm und Film-Noir-Klassiker. Es kommt nicht von ungefähr, dass die ersten beiden Verfilmungen von Hammets Roman (der im Original, wie früher üblich, ab September 1929 in vier Ausgaben des Pulp Magazines Black Mask erschien, ehe er auch als Buch gedruckt wurde) etwas stiefmütterlich behandelt werden, denn erst mit dem dritten Anlauf sowie den diesem folgenden Filmen dieser Gattung wurde – in der Rückschau – die eigentliche Geburtsstunde des Film Noir eingeleitet. Gleiches gilt für die legendäre Schwarze Serie Hollywoods, in der grimmige Detektive und Ermittler ihren Auftritt hatten und sich durch schnelle Fäuste, einen scharfen Verstand, zynischen Humor und schöne, gefährliche Frauen in ihrem rauen Alltag definierten, während die Welt als trostloser, hoffnungslos korrupter oder aussichtsloser Ort dargestellt wurde, in dem sich ein Mann nur behaupten kann, wenn er sich selbst und seinen Idealen, gut wie schlecht, treu bleibt – wenn überhaupt.

 

Film und Literatur im Noir-Stil liegen also nahe beieinander, und ohne die Hard-Boiled-Romane und ihre verruchten Helden hätte es den Film Noir in dieser Form vielleicht niemals gegeben. Der Comic Noir nun, dessen Geburtsstunde ebenfalls um 1940 datiert werden kann, hatte dabei jedoch vor allem einen Geburtshelfer, der es von der Popularität her durchaus mit Hammett und Bogart aufnehmen kann: Die Rede ist natürlich vom unvergesslichen Will Eisner, der mit seiner Figur The Spirit erstmals bewusst Anleihen des filmisch erprobten Noir-Stils in einen Comic einbaute und fortan immer wieder aufgriff, verfeinerte und im wahrsten Sinne des Wortes zur Kunst machte.

 

Stilistisch gesehen sollte sich das in Hollywood bereits angekommene expressionistische Spiel mit Licht und Schatten erst nach und nach in die Abenteuer des Spirits schleichen. So war es in den Ausgaben von 1940 zunächst dann auch eher ein inhaltliches Merkmal, das den Spirit – und damit wiederum die Anfänge des Comic Noir – prägte: Eisners Spirit war ein Held ohne Superkräfte, ohne Laserstrahlen, die er mit den Augen hätte verschießen können, und ohne Arme, die er wie Gummi strecken konnte. Trotz Maske, trotz Stärke, trotz Intelligenz und Spürsinn war er ein Mensch aus Fleisch und Blut, ein super Detektiv anstatt eines Superdetektivs. Außerdem wurde der Spirit im Laufe der Jahre grafisch – wie so vieles von Will Eisner – wegweisend. Der Inhalt blieb jedoch, der Spirit ein Held ohne Superkräfte.

 

Duell der Giganten

 

Batman, Daredevil und Co. in das Sammelbecken der Comic Noir-Helden zu werfen, ist ein gefährliches Spiel. Natürlich haben diese Figuren, diese grimmigen Superhelden-Detektive der großen Verlage Marvel und DC, zuweilen recht starke und eindeutige Anleihen des Noir-Stils – aber in der Quintessenz sind sie zunächst einmal Superhelden. Zumindest werden Batman und Daredevil vornehmlich als solche wahrgenommen und sind damit doch eher in eine andere Schublade zu stecken als die literarischen Pendants zu Sam Spade, also all die Marvs, Dwights, die Killer und Gangster und Detektive und Cops des Comic Noir, in welcher Form sie auch erscheinen und aus welcher Ecke der Comic-Welt sie auch kommen mögen. Denn von Amerika bis Frankreich sind Noir-Helden eben immer eines: Noir - schwarz wie die Nacht und finster wie der Tod.

 

Wo Superhelden hingegen bunt und oftmals nahezu grell sind, da sind die Helden des Comic Noir zumeist das schattenhafte Konterfei von Superman, Spider-Man und dem Rest der kostümierten Superheldenschar: Noir-Helden sind grau bis pechschwarz, düster, grimmig, melancholisch, ja nicht selten sogar zynisch, lüstern, derb und hie und da auch gewalttätig, rau, durch und durch verdorben oder morbid. Über die Jahre hinweg hat man freilich versucht, diese Züge auch in modernen Superheldencomics zu verarbeiten, um die bunten Helden trotz aller eskapistischer und nostalgischer Ambitionen etwas erwachsener wirken und ihren Kinderschuhen der 1950er oder 1960er entwachsen zu lassen – aber am Ende sind sie, bis auf wenige wohltuende Ausnahmen, eben doch (und trotz aller Schicksalsrückschläge, persönlicher Verluste und Demaskierungen) nach wie vor bunt kostümierte Verbrcherjäger mit übermenschlichen Sinnen und/oder Fähigkeiten – was nun keinesfalls abwertend gemeint sein soll. Denn was wäre eine Welt ohne Superhelden?

 

Im Comic Noir jedenfalls wimmelt es hingegen – gewissermaßen von Haus aus – nur so von gescheiterten Existenzen oder solchen, die kurz vor dem Scheitern stehen oder einen letzten verzweifelten Versuch wagen, das Ruder in letzter Sekunde herumzureißen. Menschliche Schwächen, Pessimismus, Zynismus, Gewalt und Sex, ja sogar das Morden und professionelle Töten spielen im Comic Noir oftmals eine große Rolle und sind sogar ein Stilmittel, das zu seiner Definition beträgt – dennoch sind das allesamt auch Themen, die mitsamt einer üppigen Auslebung gerade in Superheldencomics lange, lange Zeit tabu waren (man denke hierbei an das Silver Age und die Auswirkungen des Comic Codes) und zum Teil auch heute noch sind.

 

Sowohl der Comic Noir, als auch der klassisch gesinnte Superheldencomic verzerren die Wirklichkeit – jeweils in eine völlig unterschiedliche Richtung, sicher, aber trotzdem ist dies ihre große Gemeinsamkeit. Wo Superman und Spider-Man eine einfache Art von Moral überliefern, fehlt den meisten Figuren und Charakteren des Comic Noir diese Ambition gleich gänzlich: Luca Torelli alias Torpedo zum Beispiel, ein Vertreter des spanischen Comic Noir, weiß wahrscheinlich nicht einmal, wie man das Wörtchen Moral überhaupt schreibt. Und auch in Millers Sin City sucht man die Moral meistens vergebens, wird nur allzu oft mit ihrem genauen Gegenteil konfrontiert oder sieht sie in einer perversen, korrumpierten Form. Matz’ und Luc Jacamons Killer aus der gleichnamigen Alben-Reihe indes hat seine ganz eigene Philosophie zum Thema Moral sowie seinem Job, und die Ethik der modernen französischen Science Fiction-Produktion Renaissance in Film und eben auch im Comic ist ebenfalls eine eher spezielle, ihre Sicht der Metropole Paris in der Zukunft überdies eine sehr pessimistische, ja nahezu dysantropische, ihre Ästhetik eine sehr kühle. In der Summe sind die oben genannten Werke allesamt grafische wie inhaltliche Musterbeispiele für die verschiedenen Grautöne des zeitgenössischen Comic Noir.

 

Schwarz + Weiß = Grau?

 

Doch es ist nicht allein die Diskrepanz zum Superheldentum, die dem Comic Noir zu so großer Beliebtheit verholfen hat, und hoffentlich auch nicht allein die Gewalt und die Härte der schwarzen Seelen und Antihelden dieser Comic-Gattung. Viel wichtiger ist wohl, dass die Helden im Noir-Stil – auf gewisse Weise ähnlich der Superhelden, letztlich aber doch gänzlich anders – ein Leben leben, wie niemand von uns es kann. Ihr Alltag liegt irgendwo zwischen rauchenden Pistolen und sündhaft schönen Frauen, und meistens stehen sie über oder neben dem Gesetz (oder diesem gar offen gegenüber) und schaffen es, ihren eigenen Codex auszuleben. Verruchte Charaktere üben nicht erst seit den Western-Helden um John Wayne und Clint Eastwood eine starke Faszination aus, mit all den Zwischentönen des Lebens, die sie im Gegensatz zu ihren Lesern zum Teil exzessiv ausleben können und mit jeder Faser ihres Seins verkörpern. Kein Laster, keine Passion scheint den Noir-Helden fremd, keine Gasse des menschlichen Seins zu finster, kein Abgrund des Lebens zu tief. Furchtlos blicken sie in diesen Schlund, wobei sie sich dem dunklen Sog der Finsternis mal widersetzen, ihm aber auch mal bereitwillig nachgeben und Folge leisten ...

 

Ist es also eine Form von Voyeurismus, der mit der Faszination an Comics im Noir-Stil einhergeht? Der Lockruf des Verruchten? Harte, straighte und irgendwo archaische und raue Charaktere, die kein Blatt vor den Mund nehmen, schießen, huren und oftmals tun und lassen, was sie wollen? Wahrscheinlich spielt auch das eine Rolle, ja. Denn wie sonst könnte man erklären, dass eine Figur wie Torpedo, ein vergewaltigender Auftragskiller, Titelheld einer eigenen Comic-Reihe werden kann oder ein anderer Killer aus Frankreich sich die Sympathie der Leser sichert?

 

Natürlich ist dieser Aspekt kein autonomes Merkmal des Comic Noir, genauso wie es falsch wäre, ihn auf irgendeine morbide oder gar perverse Faszination zu reduzieren. Es gibt durchaus auch eine stark ausgeprägte künstlerische Note und Motivation, wenn es um die aktuelle Faszination und Begeisterung hinter Comics im Noir-Stil geht. Immerhin ist die Optik von Eisners Spirit auch siebzig Jahre nach Ersterscheinen noch ungebrochen interessant und in vielen Dingen sogar heute noch von einer sichtbaren Innovation beseelt. Und natürlich ist Frank Millers Sin City mit seinen expressionistischen Schwarzweißbildern und Jacamons Der Killer mit seinem stellenweise extrem realistischen Artwork in jedem Fall etwas Besonderes – etwas, das heraus sticht und etwas, das auch über pure Sensationsgier mitzureißen versteht und künstlerisch enorm anspruchsvoll und komplex ist, genauso wie die Sprache des Comic Noir sich – dem Vorbild des Hard-Boiled-Thrillers gemäß – gerne als eine sehr abwechslungsreiche präsentiert: Von der lyrischen Selbstreflexion bis hin zum derben Wortgefecht ist eigentlich alles enthalten, wenn der kreative Schalter der Comicschaffenden auf NOIR steht ...

 

Am Ende wird es wohl ohnehin das gelungene, meistens sehr stimmige und homogene Zusammenspiel all dieser Dinge sein, das kongeniale Wirken von Optik und Inhalt, das uns fast jeden Comic Noir verschlingen und begeistert aufnehmen lässt. Wie ihre Helden, so sind auch Comics im Noir-Stil trotz einer Übermacht der Superhelden im Mainstream auch heute noch größtenteils unangepasste Helden, die sich dem Zeitgeist widersetzen und ungeschminkt einfach so sind, wie sie und ihre Figuren nun mal sind: Noir. Schwarz.

 

Erst Basin City, dann der Rest der Welt!

 

Will Eisners Spirit machte 1940 also den Anfang und setzte den bewussten ersten Akzent, Chester Gould ließ Dick Tracy bereits 1931 mit Anleihen aus dem Filmsektor agieren, und 1939 schuf Bob Kane mit Batman immerhin schon den frühen und ungebrochen gefragten Antihelden zwischen Superheldentum und Comic Noir schlechthin. Im Laufe der Jahre kamen noch viele weitere dazu, wenn auch die Grenze zwischen Detektiv und Superheld zum Beispiel im Fall von Helden wie Daredevil immer weiter verschwamm und die strengen Prinzipien des Comic Noir zu Gunsten einer interessanten Mischung zwischen Dunkelheit und bunten Kostümen aufgegeben und gelockert wurde.

 

Und auch die Europäische Comicszene hat ihre wichtigen, exzellenten Noir-Werke vorzuweisen - in Farbe oder Schwarzweiß, im Album oder im Heft: In den 1980ern begeisterten Autor S. A. Abulí und Zeichner Jodi Bernet mit ihrem bereits genannten Torpedo, den schmutzigen Abenteuern des Auftragskiller Luca Torelli, während um die Jahrtausendwende ein anderer, aber nicht weniger brutaler frankobelgischer Comic über einen titelgebenden Killer von Luc Jacamon und Szenerist Matz für Furore sorgte, in dem sich die beiden Kreativen u. a. an Luc Bessons Kino-Hit Leon der Profi orientierten und einen dynamischen, harten Comic-Thriller mit starker Tendenz zum Comic Noir schufen, der durch seine Publikation in USA nun vielleicht auch endlich international die Aufmerksamkeit bekommt, die er als herausragender Vertreter moderner europäischer Comic-Thriller eigentlich verdient hat. Denn auch wenn Jacamons und Matz’ Fünfteiler im üppigen Hardcover-Album ein echter Grenzgänger ist und kein reinrassiger Comic-Noir, so ist er doch mit eines der besten zeitgenössischen Beispiele dafür, wie der Noir-Stil insbesondere in Film und Comic dazu beiträgt, dem Krimi- und Thriller-Genre noch die ein oder andere Nuance abzugewinnen, die es in der Form noch nicht gegeben hat, ja es stilistisch und inhaltlich sogar ganz deutlich aufwertet – im Fall des äußerst empfehlenswerten Killers geschieht dies zum einen über ein detailverliebtes, aber sehr lässiges Artwork, zum anderen aber eben auch über die Gedankengänge des Protagonisten, die einem inneren Monolog gleichen und auch von Sam Spade oder einem anderen Hard-Boiled-Helden hätten stammen können, wenngleich sie auch eine moderne, konsequente Weiterentwicklung darstellen.

 

Mit Blacksad, Tordi und aktuell z. B. auch Jungle Town liegen darüber hinaus z. T. schon seit einigen Jahren weitere europäische Comics aus Frankreich, Belgien oder Italien im Noir-Stil vor, die den Vergleich mit ihren Verwandten aus Amerika nicht zu scheuen brauchen. Zeichnerisch und gar inhaltlich liegen dabei mitunter ganze Generationen zwischen den Werken, dennoch sind sie allesamt auf gewisse Art und Weise zeitlos – ein weiteres, markantes Merkmal des Comic Noir. Denn Drecksäcke und Mistkerle haben keine Jahreszeit, keinen Trend. Sie sind allgegenwärtig.

 

So auch in Frank Millers Basin City, besser bekannt als Sin City oder die Stadt der Sünde. Millers Sin City stellt so etwas wie die Renaissance des modernen Comic Noir dar und markiert dessen gefeierte Wiederauferstehung im Mainstream, liefert zugleich aber auch einen erstklassigen Archetypen für diese Art grafischen Erzählens – gewissermaßen der Neo Noir des Comics, so wie die Filmindustrie ihn ab der 1990er mit Filmen wie L. A. Confidential (1997), Memento (2000), The Black Dahlia (2006) oder The Good German (2007) ja ebenfalls immer wieder hat und auf den klassischen Comic Noir mit seiner s/w-Optik, seinem starren Objektiv ohne Zommeinsatz und seinen schrägen Perspektiven zurückgreift.

 

Doch zurück zu Sin City. Im Original zu Beginn der 1990er erschienen, wandte Miller sich vom Boom der grellbunten Superheldencomics ab und schuf bei Dark Horse eine Serie, deren Rechte und Gewalten komplett beim Künstler liegen würden. Diese Selbstsicherheit, aber auch Millers künstlerische Ambitionen, führten dazu, dass er mit Sin City konsequent das fortführte, was er 1986 mit Batman: Der Dunkle Ritter kehrt zurück begonnen hatte. Sin City fehlt die extreme politische und (a)moralische Message, aber dafür ist es eine klassische Rückbesinnung auf den Comic Noir und ein wahres Schaulaufen der Elemente, die ihn ausmachen: Hart, cool, sexy, lässig, brutal, zynisch, schwarzhumorig, lyrisch, melancholisch.

 

Inhaltlich verbindet Miller die Geschichte von Gangstern, Detektiven, korrupten Cops, Prostituierten, Killern, starken Frauen, Underdogs und schlichten, aber charismatischen Draufgängern und inszeniert mit diesen klassischen Zutaten zwischen Hard-Boiled und Noir eine schmackhafte, wenn auch durch und durch schwarze Aufführung. Künstlerisch greift er ebenfalls auf die Wurzeln des Noir-Stils aus Film und Comic zurück, reduziert seine Zeichnungen auf ein brillantes, aussagekräftiges, hart geschnittenes Minimum: Wie die Expressionisten mit ihren gespachtelten Bildern zur Hochzeit der deutschen Ausdruckskunst, kratzt Miller scheinbar seine Panels und Figuren und Szenen auf das schwarze Papier – das Endergebnis sucht in der Comicbranche noch heute seinesgleichen, übt eine ungebrochene Faszination aus und führte 2005 zu einem der technisch innovativsten Kinofilme der letzten Jahre.

 

Millers Sin City hat als modernster und grundlegenster, ja konsequentester – und womöglich bester – Vertreter des zeitgenössischen Comic Noir selbigen zu ungeahnter Beliebtheit geführt und seinen neuerlichen Siegeszug durch die Popkultur und die neunte Kunst im Besonderen eingeleitet. Wie lange dieser Trend und Aufschwung der harten Kerle und dunklen Gassen anhalten wird, weiß niemand. Doch um es mit den lakonischen Worten von Kalibern wie Sam Spade oder Marv zu sagen:

 

Wir werden’s schon merken.

 

 

 

Oje, das hat nicht geklappt, Elfenwerk! 2024042519564564a0477b
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Erstellt: 16.06.2007, zuletzt aktualisiert: 12.02.2015 08:17, 4126