Mit dem Zug ist es fast ein Katzensprung von Berlin nach Leipzig, also sollte es mal wieder auf einen Elstercon gehen, meinem zweiten nach 2010.
Zusammen mit Yip aus dem SFN-Forum stand ich dann auf dem Bahnhofsvorplatz und wir überlegten gerade, wie wir nun zum Haus des Buches kämen, als wir quasi über Hardy Kettlitz stolperten.
Hardy ist nicht nur Setzer, Lektor und Alleskönner für die Berliner Phantastik von Shayol bis Golkonda und Andymon, er gründet demnächst auch seinen eigenen Verlag. Bestimmt wird er auch noch Bundespräsident. Nebenbei natürlich. Denn hauptsächlich ist er SF-Fan.
Und Reiseführer für verpeilte Berliner Elstercon-Besucher.
An der Tram-Haltestelle vor dem Haus des Buches trafen wir Kleinverleger Gerd-Michael Rose, der schwer an seinem Verlagsprogramm schleppte.
Die Plakatierung am Haus des Buches begrüßte uns dezent und wies auch schon auf mein persönliches Highlight hin: Das Gespräch mit Julie Phillips über ihre Tiptree-Biographie!
Nach dem Begleich eines nicht unerheblichen Eintrittsgeldes verschlug es mich sogleich zum Atlantis-Stand, denn auch hier wollte ich Geld loswerden. Während ein fröhlicher Dirk van den Boom dem zahlenden Kunden mit Begeisterung entgegensah, erweckte Verleger Guido Latz den Eindruck, die vergangene Nacht nicht gut überstanden zu haben. »Ach, Guido sieht immer so aus!«, kommentierte Diboo meine besorgte Nachfrage.
Der Stand quoll über von Büchern, natürlich kein Wunder bei der Boomschen Produktivität.
Zwei Hardcover später sah ich mich um und direkt neben Atlantis hatte der Septime-Verlag sein Lager aufgeschlagen. Endlich konnte ich Jürgen Schütz persönlich kennenlernen.
Immerhin hat er die großartige Tiptree-Gesamtausgabe im Programm, die inzwischen auf zehn Bände konzipiert ist. Und bei ihm erschien auch im selben Design die Tiptree-Biographie. Wie Margo Jane Warnken, die Übersetzerin später bei der KLP-Verleihung erzählte, begann die Werkausgabe überhaupt erst mit dieser einfühlsamen Lebensbeschreibung.
Jürgen ist ein herzlicher Büchernarr mit ungebremstem Enthusiasmus, der besonders stark auffiel im direkten Vergleich mit Herrn Latz.
Beim Umdrehen stolperte ich dann schon wieder über Gerd-Michael Rose, der gerade Exemplare seiner Reihe BunTES Abenteuer auf seinen Tisch drapierte. Und als ich es sah, fiel es mir wieder ein: Ich wollte schon vor ewigen Zeiten die beiden Hefte mit der Kurzgeschichte Der achte Tag der Schöpfung von Michael Szameit kaufen. Das musste jetzt aber sein für das in Arbeit befindliche Spezial über den im Mai verstorbenen Autor. Ich bekam sogar noch zwei signierte Ausgaben.
Gerd-Michael Rose bringt auch im Privatdruck vergriffene deutsche Ausgaben russischer Autoren, wie etwa Iwan Jefremow heraus und hat auch einige Nachwende-Werke ehemaliger DDR-Autoren dabei, wie Curt Letsche oder Rolf Krohn.
Gegenüber baute derweil auch Boris Koch seinen Stand auf. Boris ist nicht nur erfolgreicher Fantasy-Schriftsteller mit Büchern bei den großen Publikumsverlagen, er betreibt mit der Edition Medusenblut auch einen engagierten Phantastik-Verlag für kleine Perlen, wie Michael SiefenersMagische Bibliothek. Was man eigentlich nicht oft genug würdigen kann.
Wir plauderten kurz, als die größte Sensation des Tages über mich hinwegrollte: Dirk van den Boom verschenkte etwas! Der selbstkomponierte Sound zum Tentakelreich (nicht zu verwechseln mit dem kostenpflichtigen Soundtrack zum Buch!).
Was konnte diesen Tag noch verderben?
Allerdings ist nicht alles was umsonst daherkommt, wirklich kostenlos. Vielleicht wachsen mir nach dem Hören von Boobloop Brüste, Locken oder gar mit Brüsten lockende Tentakel aus dem Kopf?
Wer in das grinsende Gesicht von Dirk blickt, glaubt an alles.
Über die netten Gespräche verpasste ich leider des Gespräch mit Jean-Marc Rochette zu seinem erfolgreichen Schneekreuzer Comic und dessen Verfilmung. Übersetzer und Comic-Experte Stefan Pannor jedenfalls war sichtlich stolz auf die Veranstaltung und wollte mich auch überreden, ein Schneekreuzer-Exemplar zu erwerben, leider sah es mit meinem Budget schon nicht mehr so toll aus. Stefan ist im Forum SF-Fan.de von Florian Breitsameter als L. N. Muhr unterwegs und wirkte live wesentlich milder. Aber immer noch wortgewandt und wissensreich. Es hat mich sehr gefreut, ihn einmal in persona getroffen zu haben.
Nun wollte ich aber endlich eine Veranstaltung besuchen und landete nicht bei Robert Corvus wie geplant, sondern bei Christian von Ditfurth.
Der erwies sich als streitbarer Links-Intellektueller und beeindruckte mich sehr. Er las aus seinem 2001 erschienen Roman Der 21. Juli vor. In dieser Alternativhistorie geht es um ein erfolgreiches Hitlerattentat 44 und deren Folgen. Im Gespräch erzählte er von seiner Wut über die Verherrlichung der Attentäter in der BRD bis heute, obwohl sie seiner Meinung nach kaum die Absicht hatten, das System zu ändern sondern im Gegenteil seine Vernichtung verhindern oder den Schaden zumindest begrenzen wollten. Beim Lesen kam sein Zorn wieder durch. Mich beeindruckt solch Herzblut beim Schreiben schon sehr. Moderator Thomas Hofmann wohl auch.
Es gab also keinen Grund für mich zu bedauern in dieses Paneel gerutscht zu sein. Den Mann merk ich mir.
Am Mittagstisch gesellte sich kurz Margo Jane Warnken zu uns, da Yip sie aus seiner Zeit als Übersetzer kannte und schwupps war es auch schon soweit, zu ihrem Paneel zu gehen.
Hardy moderierte die Veranstaltung während Bernhard Kempen übersetzte.
Julie Philips erzählte über ihre Arbeit an der Biographie, wie sie stundenlang mit ihrem Mann zusammen den Schriftwechsel fotokopierte und von den Schwierigkeiten beim Schreiben, etwa beim Verfassen des Kapitels über den verabredeten Selbstmord von Ting und Alice. Was man im Buch auch sehr stark spürt.
Margo musste sich dem Problem stellen, die unterschiedlichen Stile aus den zitierten Briefen und Notizen wieder zu geben. Dass es ihr gelang, bewies mir die Lektüre und offensichtlich war auch die Übersetzer-Jury des KLPs davon begeistert.
Ich kann jedem nur empfehlen, das Buch über das wirklich ungewöhnliche Leben von Alice B. Sheldon zu lesen. Die Lektüre ihrer Storys ist danach eine andere.
Gleich danach wagte ich mich in die Hölle. Mit blutigem Horror kann ich gar nichts anfangen, aber durch die vielen Rezensionen von <link>Torsten Scheib und der Übersetzungsarbeit von Markus Mäurer (Schwein) war ich doch sehr neugierig auf Edward Lee und seinen deutschen Herausgeber Frank Festa.
Es gab Hintergrundinformationen zum abgründigen Bighead und zu den Problemen der Veröffentlichung von Schwein in Deutschland.
Denn bei uns darf man mit Tieren zwar alles anstellen, aber nicht über alles schreiben. In den USA ist es andersherum.
Frank Festa moderierte die Veranstaltung unvorbereitet, aber völlig begeistert. Den Mann hatte ich mir auch ganz anders vorgestellt. Lee sog unermüdlich an seiner eCigarette und sah etwas derangiert aus, genoss es aber sichtlich, den lässigen Autor zu geben, der die Sätze lieber rausknautscht. Da Frank Festa aber soviel zu erzählen hatte, kam er kaum zu Wort.
Nach dem Fegefeuer wollte ich ins Paradies zur Lesung von Michael Marrak. Der Ärmste hatte das Pech parallel zu Karlheinz Steinmüller angesetzt worden zu sein, der natürlich in Leipzig ein gefeiertes Heimspiel gab.
Dafür war das Marrak-Publikum aber umso konzentrierter. Uwe Schimunek erwies sich als gut vorbereiteter und aufmerksamer Gesprächspartner.
Ich genoss das neues Stück aus dem Chronoversum und freue mich schon jetzt auf die nächsten Teile, oder falls Michael sie nicht mehr vorab als Novellen im Nova-Magazin veröffentlicht, auf das komplette Buch. So es fertig wird. Ein bisschen Sorge bereitet mir Michael Marrak schon, er sieht immer so sensibel aus und weckt in mir Beschützerinstinkte. Schon seltsam. Kauft alle seine Bücher, damit es ihm gut geht!
Im anschließenden Forums-Gespräch zum Con-Thema Tatort Zukunft traf ich Christian von Ditfurth wieder. Das von Dirk van den Boom geleitete Streitgespräch hatte aus mir unbegreiflichen Gründe eine Art Frontlinie zwischen zwei britischen Autoren, Lavie Tidhar und Philip Kerr, auf der einen Seite, während Ditfurth und der Leipziger Krimiautor Henner Kotte auf der anderen Seite saßen.
Vielleicht lag es an der Sitzordnung, vielleicht aber gibt es da wirklich kulturelle Unterschiede jedenfalls widersprachen sich die Seiten gern.
Diboo übersetzte wortgewandt und ohne große Sperenzien aus dem Deutschen ins Englische, während ein hochkonzentrierter Stefan Pannor die Gegenrichtung bediente.
Im Wesentlichen drehte sich das Gespräch um den modernen Krimi und was man daran jeweils nicht mochte oder als Chance betrachtete. So ein bisschen war es auch ein Schlagabtausch zwischen Phantastik und klassischem Krimi. Man spürte, dass sowohl Ditfurth als auch Kotte weder firm in aktueller SF-bezogener Literatur sind, noch ihr etwas abgewinnen können. Aber Dirk lenkte das immer wieder in Bahnen, die für Publikum und Auditorium zumindest unterhaltsam waren.
Als letzten Programmpunkt vor der Heimfahrt besuchten wir die KLP-Verleihung. Die PreisträgerInnen kannte man schon aus dem Netz, Udo Klotz bemühte sich dennoch um Spannung. Das klassische KLP-Design illuminierte sowohl die Laudationes, von Hans-Peter Neumann souverän vorgetragen, als auch die Dankesreden der PreisträgerInnen oder ihrer Vertreter.
Auffällig wurde vor allem Günter Freunek vom Fandom Observer, der in seinen launischen Worten die alte Fehde mit dem KLP am Köcheln hielt und eine Bestattung der Urkunde auf einem der nächsten Cons ankündigte.
Udo Klotz, der auch das Versagen der Hörspieljury immer wieder humorlos vortragen kann, focht das natürlich nicht an. Der FO ist ja nun Geschichte.
Die überschwängliche Vertreterrede von Karlheinz Steinmüller für den krankheitsbedingt abwesenden Wolfgang Jeschke hätte fast mit der Preisvergabe versöhnt.
Liebenswert waren auch die Worte von Jo Walton, die auf den Wert der Übersetzung von Hannes Riffel hinwies und auch all den anderen Machern von Golkonda dankte, ohne die In einer anderen Welt (Among Others) in Deutschland kein so großer Erfolg geworden wäre.
Hardy Kettlitz hatte sie auf dem LonCon getroffen und konnte daher ihre persönlichen Worte überbringen.
So endete der Elstercon für uns mit glücklichen PreisträgerInnen, während wir glückliche Buchträger wurden. Natürlich viel zu wenige in Anbetracht der Massen, die wir zurückließen.
Aber es gibt ja immer Hoffnung auf ein Wiedersehen.