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Aufgerollt!

– Ein »phantastischer« Jahresrückblick der literarischen Art

Redakteur: Christian Endres

 

Kaum dass die Weihnachtszeit überstanden, der fettige Braten halbwegs verdaut und die leidige Verwandtschaft endlich wieder bis zum nächsten unliebsamen Familienzusammentreffen vor die Tür gesetzt ist, stehen sie in den Startlöchern und werden uns bis zum Silvester-Abend auch noch hartnäckig verfolgen: Die Rede ist natürlich von den allseits beliebten Jahresrückblicken in Zeitschriften, Zeitungen, Magazinen, im Radio und im Fernsehen, die einen mal satirischen, mal peinlichen und meistens leider nur in den seltensten Fällen sachlichen oder immerhin noch – in mehrerlei Hinsicht – sportlichen Rückblick auf das Jahr liefern, das sich unaufhaltsam dem Ende entgegen neigt.

 

Auch wir vom Fantasyguide haben uns entschlossen, unseren treuen Lesern den ein oder anderen Jahresrückblick zu spendieren – allerdings beschäftigt uns weder das erste Jahr mit der großen Koalition, noch das WM-Fieber oder gar die kürzliche Vergiftung russischer Spione. Wir wollen – und, so viel kann ich verraten und versprechen, werden – uns im Folgenden wie gewohnt dem zuwenden, was uns 2006 auf dieser Plattform vornehmlich interessiert hat und auch 2007 wieder vornehmlich interessieren wird: Der Phantastik in Buch, Comic, Film und Spiel. Ich für meinen Teil werde mich dabei nun auf die literarischen Bereiche Buch und Comic stürzen und meine ganz persönliche »Abrechnung« mit dem Lesejahr 2006 vorbringen ...

 

Noch mehr Blumen für Algernon

 

Auch für das phantastische Buch war es ein Jahr mit Höhen und Tiefen, mit erhabenen Glanzlichtern und finsteren Flecken, mit lustigen wie traurigen, mit schönen wie schlechten Momenten und so oder so einem unglaublich vielseitigen und reichhaltigen Output an guten wie schlechten, aktuellen wie klassischen Werken von einer Vielzahl Autoren, Herausgebern und Verlagen. Dabei war es vor allem eines: Niemals langweilig. Grund genug, sich das ganze noch einmal mit ein wenig Abstand und Ruhe zu betrachten und frohen Mutes den so beliebten Zeitgeistexpress zu besteigen und die Fahrkarte zu lösen, wenn es im Folgenden nun heißt: Einmal Revue passieren bitte, Herr Schaffner, oder: Noch mehr Blumen für Algernon!

 

Womit wir schon direkt beim Thema wären. Das Buch, das mich im Jahr 2006 definitiv und mit Abstand am meisten beeindruckt, bewegt und gerührt hat, erschien nämlich schon relativ früh zu Beginn des Kalenderjahres, genauer gesagt im März. Schnell, ja noch unmittelbar während den Anfangszügen der Lektüre, stand für mich jedoch schon unwiderruflich fest: Mit der Neuauflage von Daniel Keyes »Blumen für Algernon« hat man bei Klett-Cotta ein glückliches Händchen bewiesen und gleich zu Anfang des literarischen Jahres die Messlatte für alle nachfolgend erscheinenden Bücher so hoch gelegt, dass keine andere Publikation mehr heran kommen konnte – und auch nicht herangekommen ist. Charlies Geschichte ist ein subtiles, (sozial-)kritisches und vor allem großartig geschriebenes Werk, das den Leser tief innen, in unmittelbarer Nähe seines Herzens und seiner Moralvorstellungen, anpackt und oftmals außergewöhnlich stark rührt – eine literarische Erfahrung, vielleicht sogar Offenbarung. Keyes eindringlicher Roman aus dem Jahre 1966 (basierend auf seiner prämierten Kurzgeschichte von 1959) ist einer dieser wenigen, kostbaren und zeitlosen Klassiker, der im März eben eine tolle, zweifelsohne verdiente Neuauflage im hübschen Gewand spendiert bekommen hat und meiner Meinung nach in keiner Literatur-Sammlung fehlen darf. Ginge es nach mir, würde man dieses Werk zur Pflichtlektüre in Schulen und damit möglichst vielen Menschen zugänglich machen – Hauptsache, Keyes, Charlie und der kleine Algernon bekommen den [literarischen] Stellenwert zugesprochen, den sie eigentlich verdienen: Unbezahlbar.

 

Ein nicht weniger, wenn auch in anderen Belangen anspruchsvoller Autor (und sicherlich noch größerer Stilist als Keyes), den ich 2006 für mich (neu bzw. wieder-)entdeckt habe, ist definitiv Lucius Shepard. Wie so oft brauchte es dazu allerdings erst einmal die mutige Publikation eines Kleinverlags, der auch mal auf den kommerziellen Mainstream pfeift und einen eher dünnen Band mit einer Novelle zu einem etwas happigeren Preis – dafür aber auch in gehobener Paperback-Qualität – veröffentlicht. In diesem Fall war das einmal mehr die Edition Phantasia, die Shepard nach »Aztech« gleich mit zwei weiteren, bisher unveröffentlichten Werken des renommierten US-Schriftstellers wieder verstärkt nach Deutschland brachte: Zum einen mit der bereits angesprochenen, großartigen Novelle »Endstation Louisiana« im Februar, die sich irgendwo zwischen New Wave und modernem Horror einpendelte und ohne Frage als Paradebeispiel für zeitgenössische, intelligente Schauerliteratur gelten darf, und zum anderen im November mit dem ebenfalls großartigen »Ein Handbuch amerikanischer Gebete«. Vielseitig, pointiert, stilistisch außergewöhnlich wussten beide Werke Shepards bestens zu unterhalten und haben meinen Hunger auf weitere Geschichten – egal ob Kurzgeschichten, Novellen oder Romane – aus Shepards geschliffener Feder geweckt. Ich hoffe das Beste für die beiden hinteren Quartale 2007 und auf Nachschub!

 

Wenn wir an dieser Stelle passenderweise noch einen Moment bei der Edition Phantasia und ihrem Paperback-Programm verweilen wollen, dann möchte ich Uli Kohnle und Joachim Körber an dieser Stelle noch ein Lob (und, als Leser und Freund guter phantastischer Unterhaltungsliteratur, auch meinen Dank) aussprechen: Lange herbeigesehnte oder eben auch einfach nur sinnvolle und dringend nötige Neuauflagen von Klassikern mit dem Kaliber von Fritz Leiber, Clive Barker oder Ursula K. Le Guin, aber auch Erstveröffentlichungen wie der oben erwähnte Lucius Shepard, Parabel-König Richard Adams oder Universal-Genie und Ausnahmeschriftsteller Ray Bradbury haben das phantastisch-literarische Jahr 2006 immer wieder mit sehr schönen Paperbacks bereichert – weiter so, meine Herren!

 

Bei Crom! Auch für Fantasy-Urgestein Conan und seinen viel zu früh in den Freitod geflüchteten Schöpfer Robert E. Howard, den Träumer aus Texas, war das Jahr 2006 ein gutes auf dem deutschen Markt – was mich als alten Howard- und Conan-Freund natürlich ungemein gefreut hat. So erschienen im März und August die ersten beiden von insgesamt drei dicken, sehr schön, ja barbarisch plakativ aufgemachten und obendrein noch sorgfältig editierten Tradepaperbacks der im englischsprachigen Original bei Wanderingstar/DelRey erschienenen Conan-Werkausgabe bei Heyne; wunderbare s/w-Illustrationen von Weltklassekünstlern wie Mark Schulz oder Garri Gianni sowie umfangreiches Zusatzmaterial, verworfene Fassungen, Exposés und Notizen von Howard selbst, Essays von anerkannten Conan-Experten und Mitgliedern der REHupa und die obligatorischen Karten des Hyborischen Zeitalters sprachen eine deutliche Sprache und dokumentierten eindeutig den Stellenwert von Howards bedeutungs- und kraftvollen Klassiker der Fantasyliteratur. Wenn wir jetzt noch kurz hergehen und schon einmal vorab in den Comic-Sektor schielen, dann sehen wir, dass im Herbst diesen Jahres zudem noch die ersten beiden Sammelbände der neuen Conan-Comicheft-Serie von Dark Horse als Trade bei Panini veröffentlicht wurden – alles in allem also wirklich ein gigantisches Comeback des wohl berühmtesten Barbaren der Fantasyliteratur. Die Renaissance eines Mythos. Ein Ausblick für 2007 zeigt darüber hinaus, dass es durchaus so weiter gehen könnte: Der dritte und abschließende Band der literarischen Werkausgabe der originalen Conan-Abenteuer aus Howards Schreibmaschine wird im Frühjahr 2007 bei Heyne erscheinen, während man im Sommer einen Band mit ausgewählten Horror-Stories des Texaners bei Festa bestaunen können wird; und dann wären da natürlich noch die Lizenzrechte der Roten Sonja-Comics, die kürzlich an Panini gegangen sind, oder aber die Legenden aus dem Hyborischen Zeitalter, deren ersten Teile wie schon ihr »Vater« bei Heyne im bewährten Taschenbuch veröffentlicht werden (April und August). Und wer weiß, vielleicht sollten wir die Hoffnung auf Bran Mak Morn und Solomon Kane doch noch nicht ganz begraben, auch wenn sie für das Frühjahr/Sommer-Programm der Verlage noch nicht angekündigt worden sind ...

 

Meine Lesegewohnheiten führten mich 2006 zugegebenermaßen nur selten in die Gefilde aktueller Science Fiction; wenn überhaupt, nahm ich meist dann doch eher mit den Klassikern Vorlieb und vergnügte mich eher zum wiederholten Male ein wenig mit Asimov, Orwell, Vance oder Heinlein – oder eben aktuellen Neuauflagen wie Dominic Flandry von Poul Anderson bei Bastei Luebbe. Nichtsdestotrotz waren auch ein paar aktuelle SF-Bücher auf meiner Einkaufs- und Leseliste zu finden, wenngleich sie sicherlich auch nicht den elitären Kern der SF-Veröffentlichungen 2006 ausmachen und dem ein oder anderen Kenner ein schmales, geringschätziges Lächeln abringen mögen. Jedenfalls: Das Kernstück meiner SF-Lektüre waren vornehmlich die eher seichten, dafür aber ungemein kurzweiligen Military-SF-Werke von Dan Abnett, in welchen der Autor uns mit in die Welt von Warhammer 40K nimmt und nicht zwingend tief-philosophische, dafür aber durchaus knackige, in erster Linie natürlich actionreiche Geschichten über eine militärische Elite-Einheit vom Planeten Tanith im Dienste des Imperiums sowie deren markig-heroischen Anführer Ibrahim Gaunt zu erzählen weiß. Viel Krach, viele Explosionen, Flammenwerfer, Raumschiffe – das ist nicht sonderlich originell, aber es macht meistens doch diebisch Spaß und bringt nach einem anstrengenden Arbeitstag Entspannung pur, ohne dass man sich auch noch mit seiner Nachtlektüre übermäßig anstrengen muss. Manchmal einfach genau das richtige, um annähernd sinnfrei abzuschalten (was nun aber irgendwie schon viel zu negativ für Abnetts Romane klingt, wie ich finde).

 

Darüber hinaus erfreute mich in Sachen Science Fiction vor allem der Start der neuen Trilogie von Altmeister Alan Dean Foster bei Bastei im Taschenbuch, da ich Fosters Fantasy-Werke in der Vergangenheit stets geschätzt habe. So war dann auch »Safari« gewohnt witzig, sprachlich routiniert und mit wunderbar exotischen Figuren (und natürlich auch einem sprechenden Tierchen ...) bevölkert; Foster spult darin letztlich zwar nur sein übliches Programm ab, doch tut er dies in einer Art und Weise, die mir zum wiederholten Mal schlichtweg und ergreifend richtig gut gefallen hat. Die Fortsetzungen »Kriegsrat« und »Beute« im Januar und im Juli sind deshalb auch mehr als nur willkommen und stehen mit ganz oben auf meiner Vormerkliste für 2007 ...

 

Doch zurück zur Fantasy, denn mehr war es an Science Fiction dann leider doch nicht. James Barclays abschließende Teile der Chroniken und die ersten Bände der direkt an diese anschließenden Legenden des Raben haben mir auch in diesem Jahr wieder viel Freude bereitet und bleiben mit das Beste, was die neue Generation der Fantasy-Autoren auf dem Gebiet der High Fantasy – also Fantasy mit mächtiger Magie und mächtigen, epischen Schlachten – derzeit zu bieten hat. Gerne folgte und folge ich dem Unbekannten Krieger, Hirad Coldheard, Denser und dem Rest der wackren Söldner-Truppe, um das von magischem Chaos, feindlichen Invasoren oder unzähligen Intrigen bedrohte Balia um jeden Preis zu verteidigen. Allerdings überzeugten mich nicht nur die diesjährigen Fortsetzungen der Raben-Reihen, die übrigens in schöner Aufmachung, wenn auch als halbe Portionen bei Heyne erscheinen. Auch privat im eMail-Interview tat sich ihr Autor James Barclay als ein sehr angenehmer und lässiger Gesprächspartner hervor und bewies, dass ihm der Erfolg seiner Bücher keineswegs zu Kopf gestiegen ist.

 

Trotz all dieser neuartigen Serien im Stile der Raben-Bücher und damit massig zeitgenössischer Fantasy gab es jedoch auch das ein oder andere Wiedersehen mit altbekannten Werken oder Figuren – beispielsweise in zwei dicken Bänden mit je über 800 Seiten, als FitzChivalric Weitseher mit seinen zweiten Chroniken [des Weitsehers] bei Bastei Luebbe zurück kehrte und damit endlich erstmals im Taschenbuch erschien. Wie schon mit ihrer ersten Trilogie begeisterte mich Robin Hobb auch diesmal wieder mit den Figuren aus dem Umfeld der Bocksburg und durch die gelungenen, facettenreichen Charaktere sowie deren interessante Interaktion. Es war fast wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten; ein Wiedersehen obendrein, das 2007 mit zwei weiteren Bänden um Fitz, den Narren und das Königreich der Provinzen sowie der Neuauflage der lose mit dem Weitseher-Universum verknüpften Zauberschiffe-Reihe bei Blanvalet (dicke Doppelbände wie im englischsprachigen Original!) fortgesetzt und gewissermaßen gekrönt werden wird.

 

2006 gab es aber natürlich auch einige Newcomer und deren Debüts zu vermerken, wobei ich dieses Jahr etwas vorsichtiger geblieben bin, was neue Autoren oder gar Serien anging. A. Lee Martinez feierte bei Piper mit »Diner des Grauens« ein zugegebenermaßen nicht besonders anspruchsvolles, dafür aber ungemein kurzweiliges und unterhaltsames Roman-Debüt, das sicherlich nicht durch philosophischen Tiefsinn oder feinen britischen Humor, sondern wirklich durch Klamauk, Humor mit der Brechstange und vielleicht noch ein wenig dem Flair von From Dusk Till Dawn aufwarten konnte. Und auch wenn ich den direkten Vergleich mit Douglas Adams wirklich als unberechtigt empfinde und mich seinerzeit ganz schön darüber empört habe, so möchte ich Martinez’ Erstling dennoch als eines der unterhaltsameren, gelungenen Debüts im Jahr 2006 hervorheben und darauf hinweisen, dass im Mai 2007 – wieder bei Piper – mit »Die Kompanie der Oger« Martinez’ zweiter Streich folgen wird.

 

Apropos Douglas Adams. Pünktlich zum fünften Todestag des beliebten britischen Autors von »Per Anhalter durch die Galaxis« erschien bei Rogner und Bernhard die ultimative Prachtausgabe mit dem gesamt-gesammelten Anhalter-Zyklus – ein dicker, gebundener, ganz und gar superber Wälzer in hübscher Gestaltung und Aufmachung, der sich zu Recht als die 42 unter den Büchern sehen darf. Für mich eines der Highlights des Jahres 2006, da für alle Fans der einzigen Trilogie in fünf Bänden ein lange gehegter Traum wahr [gemacht] wurde. (Ein besonderes Erlebnis mit Douglas Adams gab es für mich übrigens erst kürzlich in diesem Jahr, als ich am 13. Dezember bei Spiegel Online über das mutmaßliche Aussterben des Baiji, des chinesischen Flussdelfins, las und ich schmerzhaft an das entsprechende Kapitel in Adams’ »Die letzten Ihrer Art« denken musste, da Adams bereits düster prophezeite, dass es diesem fast blinden Wassersäuger alles andere als gut geht in seiner chinesischen Heimat, dem Jangtse).

 

Erfreulicherweise waren es neben diesen Luxusausgaben und der Hand voll nennenswerter Romandebüts aber nicht nur die Übersetzungen neuer Titel aus Amerika oder England bzw. die Neuauflagen früherer Klassiker und Bestseller, die in diesem phantastischen Lesejahr für Wohlgefallen gesorgt haben. Auch in Sachen Deutsche Phantastik hat sich wieder einiges auf dem Buchmarkt getan, wobei mich vor allem Kai Meyers erster Band seiner Wolkenvolk-Trilogie begeisterte. Und auch die Comic-Adaption seiner Wellenläufer-Romane – eine ebenfalls durch und durch deutsche Produktion, die in den illustren Reihen der Ehapa Comic Collection ein Zuhause gefunden hat! – wusste zu Beginn des Jahres zu gefallen und wird Anfang 2007 ihre Fortsetzung finden.

 

Wenn ich mir das alles rückwirkend nun so betrachte, dann habe ich mich 2006 nicht allzu oft gefürchtet oder gegraut: Neben einer Hand voll Thriller (abseits von Dan Brown und Konsorten, wohlgemerkt – darauf bestehe ich!) sind nur wenige Horror- oder Mystery-Schmöker zu meiner Sammlung dazugestoßen: Ein Sammelband von jeweils Lovecraft und Poe aus dem area-Verlag (preisgünstig, gebunden, nettes Reihen-Design), ein paar Festa-Titel (hier vor allem erwähnenswert Fred Saberhagens erster Band der Geständnisse des Grafen Dracula - ob wir da wohl noch die Fortsetzungen sehen werden? – sowie Michael Kirchschlagers erste Geschichte über den Cirako, Ermittler im Dienste seiner Majestät, dem Kaiser, und Spezialist für Übernatürliches) und das ein oder andere Buch zum Film, beispielsweise »Wicker Man«. Als persönliche Entdeckung aus den Bereichen Thriller, Mystery und Horror für das Jahr 2006 gilt für mich aber immer noch Jack Ketchum, der mich im Januar mit seinem schockierenden »Evil« ziemlich getroffen und winterlich-eiskalt erwischt hat.

 

2007 wird bei Heyne ein weiterer Roman von Ketchum unter dem Hardcore-Label kommen, Stephen Kings »The Stand« erscheint als Schuber-Ausgabe bei Bastei Luebbe (ich bin gespannt, was uns da erwartet), und dann wird es sicherlich noch den ein oder anderen wiederentdeckten Klassiker oder die ein oder andere Erstausgabe geben, von denen ich mir im neuen Jahr wieder bereitwillig und vielleicht auch mal wieder ein bisschen häufiger das fürchten lehren lassen werde oder mir meinen ganz persönlichen Thrill abhole...

 

Zwischendurch drängten sich dann natürlich auch immer wieder die üblichen Verdächtigen mit der ihnen eigenen Routine und Gewichtung in meinen Online-Einkaufswagen und ferner folglich auch in meine Buchsammlung. So gaben sich auch 2006 bewährte Größen wie Terry Pratchett, Clive Barker, Dan Simmons, Michael A. Stackpole, Fritz Leiber oder Stephen King mit neuen Titeln oder Taschenbuch-Erst- oder Neuausgaben die Ehre und wussten gewohnt gut zu unterhalten, zu amüsieren oder zu schockieren.

 

Die Mischung zwischen neuen, frischen, unverbrauchten Autoren und den alten Hasen machte auch 2006 den eigentlichen Reiz aus und sorgte für abwechslungsreiche Lesestunden.

 

Überschattet wird das phantastische Buchjahr 2006 allerdings von einem für Fantasy-Fans ziemlich traurigen Datum: David Gemmell wurde am 28. Juli viel zu früh aus dem Leben gerissen, während er noch am zweiten Band seiner neuen Saga über die Helden der Antike und Sagenwelt des Homers arbeitete (Heyne wird den Titel dennoch im September 2007 als »Der Dornenschild« veröffentlichen). Dank seiner teils herausragend atmosphärischen Werke in Sachen Dark Fantasy und ihrer unvergesslichen Charaktere wird David Gemmell jedoch so schnell nicht vergessen werden. Schon jetzt hat er einen sonnenbeschienen Ehrenplatz in der großen, ehernen Ruhmeshalle der großen Genre-Autoren und -Titanen, wo er wohl irgendwo zwischen Robert E. Howard und Poul Anderson sitzt. Zumindest stelle ich mir das gerne vor ...

 

Asterix, Blueberry, Garfield & Co.

 

Gegen Anfang des Jahres war auf dem Comicmarkt vor allem eines in Gefahr: Gallien! Albert Uderzos neuester, äußerst fragwürdiger Geniestreich kam unter großem Tamtam in die Läden und fuhr, wenngleich kommerziell wohl - und wie nicht anders zu erwarten - auch wieder ein voller Erfolg, nicht sonderlich viele Lorbeeren ein. Die fragwürdige Hommage Uderzos an Walt Disney (in Form eines Aliens, das bestenfalls eine garstig-knuddelige Mischung aus Pogo, Bone und Micky Maus darstellte) und die Gefahr durch den Boom der Mangas, die Uderzo für den [Frankobelgischen Alben-]Markt sieht und im 33. Abenteuer der Gallier schrill mit außerirdischen Kampfrobotern und Raketen thematisierte, schaffte bei den alteingesessenen Fans des tapferen kleinen Galliers weder optisch, noch inhaltlich einen Stich und enttäuschte eigentlich auf ganzer Linie. Und als dann auch noch die Roboter und Supermänner im uns eigentlich so wohlvertrauten und heimeligen gallischen Dorf landeten und man den Charme selbst eher schlechterer Asterix-Alben schmerzlich vermisste, waren Gallien und die Welt der Dorfbewohner wirklich ernsthaft in Gefahr – allerdings wohl nicht so, wie Uderzo sich das vorgestellt hatte ...

 

Auch 2006 gab es wieder einige Kino-Blockbuster zu bestaunen, die ihren Ursprung im Comic-Genre hatten. So erfreuten sich einige Episoden aus Frank Millers Sin City einer Verfilmung durch Robert Rodruigez, und der oben schon erwähnte Asterix erlebte mitsamt seiner gallischen Freunde sein sechstes animiertes Film-Abenteuer, wenngleich auch Asterix und die Wikinger (basierend auf dem Comic-Album Asterix und die Normannen) einen eher zweigespaltenen Eindruck bei Fans wie Kritikern hinterließ. Superman, dem legendären Mann aus Stahl, gelang sein Comeback auf der Kinoleinwand aber noch schlechter: Nach wenigen Wochen schon, in denen Supes flach in den hinteren Regionen der Kino-Charts flog, segelte und verschwand er bereits sang- und klanglos aus den Lichtspielhäusern, sodass ich z. B. nun auch erst über die Zweitverwertung per DVD in den Genuss von Supermans Rückkehr kommen werde. Besser hat sich da schon DC-Kollege und JLA-Kumpan Batman geschlagen, der mit neuer, düsterer Herkunftsgeschichte und einem überragenden Christian Bale mit Batman Begins für Furore sorgte – wie auch der dritte, ziemlich materialistische Teil der X-Men-Saga mit Ian McKellen und Hugh Jackman. In Sachen Comicverfilmungen war es also ein unausgeglichenes Auf und Ab mit Tops wie Flops, das nur schwer zu irgendeiner Prognose für weitere Comic-Verfilmungen und deren Erfolg hergenommen werden kann. Trotzdem schwingt sich beispielsweise Marvels Spider-Man für seinen dritten Leinwand-Auftritt im heißen Kinosommer 2007 schon einmal warm ...

 

Ganz anders sieht es da schon mit der Prognose für Frank Miller und dessen ganz eigenen Kosmos aus: 2006 war ohne Frage Millers Jahr und ein voller Erfolg für den amerikanischen Comic-Küsntler. Und 2007 wird es aller Wahrscheinlichkeit nach – und wenn die spartanischen Orakel nicht lügen – keinesfalls anders sein. Die letzten der sieben Bände des düsteren Comic-Meisterwerks Sin City und das Breitwand-Historienepos 300 begeisterten durch ihre erzählerischen wie optischen innovativen Eigenheiten und Extravaganzen Leser und Kritiker, während die Stadt der Sünde sogar im Kino – nicht weniger innovativ oder extravagant – für Furore sorgte; die Leinwandadaption von 300 hingegen hat schon die Sandalen geschnürt und steht bereits für März 2007 in den Startlöchern (und wird nach allem, was man in Teaser und Trailer bisher gesehen hat, ein künstlerisches, perfekt gestyltes und in allen Belangen episches Meisterwerk werden, das seiner Vorlage in nichts nachstehen dürfte).

 

Überhaupt rangiert Cross Cult, seit vergangenem Jahr die neue verlegerische Heimat der meisten Nicht-DC oder –Marvel-Arbeiten von Frank Miller in Deutschland, wie schon im letzten Jahr auch 2006 wieder mit an der Spitze, wenn es um hochwertige Veröffentlichungen auf dem Comicmarkt geht: Egal ob nun Millers Werke, Mignolas neuester Hellboy-Band oder die ersten beiden Teile der überragenden Vampire Boy-Serie von Risso und Trillo – alle Serien und Titel des Szenepublishers verstanden es, ihre Leser in den Bann zu ziehen, während stets superb aufgemachte Hardcover-Kleinbände, aber eben auch das überformatige 300 für bibliophile Euphorie sorgten.

 

Hardcover ist ein weiteres gutes Stichwort: Wenngleich das Marketing nämlich manchmal auch noch ein bisschen runder und besser läuft als der Vertrieb, so hat mich Tokyopop im großen und Ganzen doch spätestens mit der Neuauflage von Jeff Smith’ kultigem Bone im Taschenbuch bzw. der preiswerten, dessen ungeachtet aber wunderschön gestalteten und aufgemachten, Eisner-Award-prämierten, kolorierten Hardcover-Edition der Serie im Herbst regelrecht von den Socken gerissen. Die ersten beiden Bände um die knuffigen Bones und ihre phantastischen Abenteuer begeistern dabei nicht nur durch eine witzige Story, sondern auch durch ein prächtiges Artwork und die sehr gediegene Farbgebung – und werden vor allem im nächsten Jahr nicht weniger schön fortgesetzt werden.

 

Als eine überraschend gute Serie mit übermäßig phantastischem Einschlag hat mich gen Ende des Jahres noch einmal die französische Albenproduktion Okko von Carlsen eingeholt. Die Fantasy-Abenteuer des abgebrühten Ronin und Dämonenjägers Okko in einem feudalistisch angehauchten Japan machen schon mit dem ersten Band aus der Feder des französischen Star-Designers Hub einen sehr, sehr guten Eindruck. Leider dürfte es einige Zeit dauern, bis wir hier eine Fortsetzung kredenzt bekommen, da Hub gut ein bis eineinhalb Jahre pro Band braucht und in der deutschen Veröffentlichungsweise dann auch noch immer zwei Bände – also ein kompletter Zyklus im Original – zu einem Album zusammengefasst werden. Doch das Warten wird sich aller Voraussicht nach lohnen, und zwischenzeitlich kann man sich den perfekt in Szene gesetzten, großartig gezeichneten und in herrlichen Perspektiven und Bildern eingefangenen ersten Band durchaus noch ein paar Mal hernehmen und darin schwelgen.

 

Oder man behilft sich auf andere Weise –Alternativen gefällig? Bitte sehr ...

 

Trotz des neuen Asterix-Bandes, Neuerscheinungen wie Okko oder Neuauflagen wie Bone war es nämlich vor allem eines, was das Comicjahr 2006 beherrschte und zu etwas durchaus Besonderem machte: Werkausgaben! Mit Garfield (Ehapa) und den Peanuts (Carlsen) starteten erst kürzlich nahezu zeitgleich zwei wunderschön aufgemachte Werkausgaben im kleinen, handlichen Querformat; in beiden Fällen Werkausgaben viel geschätzter Klassiker des Zeitungscomics, auf die Fans und Sammler schon ziemlich lange gewartet haben. Davor schon mit nicht weniger Spannung erwartet: Die Blueberry-Chroniken (ebenfalls Ehapa), also die Werkausgabe des großen Frankobelgischen Western-Klassikers, oder das ebenfalls überformatige Mittelalter-Epos Prinz Eisenherz von Hal Foster in der akribischen Neukolorierung bei Bocola, dem verlegerischen Alter Ego des Bonner Comicladens. Und nun, kurz vor dem Weihnachtsgeschäft, startet Ehapa auch noch in europäischer Co-Produktion die ultimative, überformatige Asterix-Werkausgabe, die wohl das gefährlich gefährdete Gallien aus Band dreiunddreißig vergessen machen soll, während man erst kürzlich offiziell für 2007 eine Isnogud-Gesamtausgabe in mehreren Bänden angekündigt hat ...

 

Ein Hauch von Nostradamus ...

 

Was den Liebhaber phantastischer Literatur im neuen Jahr erwartet, lässt sich dank der Verlagsvorschauen und gängigen Buchhandels-Kataloge zumindest bist zum Sommer hin schon absehen und recht gut überschauen: Klassische, geradlinige Sword-and-Sorcery-Fantasy-Action wird ebenso geboten werden wie neue, epische High Fantasy voller Intrigen und Ränkespielchen; nicht zu vergessen die New-Wave orientierten Werke á la Gaiman oder Barker, auf die ich immer ein besonderes Augenmerk lege, und natürlich die Fortsetzungen oder letzten, finalen Bände laufender Reihen wie von James Barclay oder Robin Hobb, über die ich mich weiter oben ja schon zu Genüge ausgelassen habe. In Sachen Science Fiction warten neben David Weber und John Ringo einige neue und als solche angekündigte Schmankerl der Military Science Fiction, während auch das ein oder andere intelligente SF-Buch in den Startlöchern steht. Und über all dem steht neben weiteren Ablegern der allseits beliebten »Die Fantasyfiguren«-Reihen bei Heyne, Piper und neuerdings sogar Bastei Luebbe manch eine Rollenspiel oder Tabletop oder Trading Card Game -verwandte Publikation ins Haus, die zumeist ja für lockeren Fantasy-Lesespaß stehen.

 

Auch die ein oder andere Neuauflage eines Klassikers wird 2007 wohl wieder dabei sein, und der Freund humoristischer Fantasyliteratur freut sich ohnehin schon wieder Monate im Voraus auf neue Titel von Robert Asprin und Terry Pratchett. Die russische Fantasy-Serie Das Echo Labyrinth indes hat dank hübscher Covergestaltung und interessantem Inhalt schon jetzt meine Aufmerksamkeit sicher, und ich erwarte eigentlich auch, dass Dank des (wenn wohl auch nicht übermäßig erfolgreichen oder seitens der Buch-Freunde geschätzten) Kinostarts von Eragon auch die Jugendfantasy ein weiteres Jahr auf dem Vormarsch sein und auch abseits von Harry Potter mit teuren Hardcovern in den Buchhandlungen präsent sein wird.

 

Besonders erfreulich ist, dass 2007 ein »neues« Buch von Fantasy-Legende J. R. R. Tolkien zeitgleich in mehreren Ländern erscheinen wird. Am 17. April 2007, dem Erstverkaufstag in den USA, Großbritannien und eben Deutschland, wird postum ein lange gehegter Traum des akribischen Oxford-Professors und Weltenschöpfters Tolkien war; dann dämlich wird die von seinem Sohn Christopher editierte Romanfassung der Geschichte der Kinder Húrins aus dem ersten Zeitalter von Mittelerde erscheinen – selbstverständlich gebunden, mit Cover- und Innen-Illustrationen von Ausnahmekünstler Alan Lee. Eines der Werke, auf das ich mich wirklich wie ein Schneekönig freue ...

 

Der Ausblick für das Comicjahr 2007 gestaltet sich ebenfalls nicht allzu schwer: Panini wird mit den neu erworbenen Lizenzen von Vertigo/Wildstorm einige Perlen der Comicliteratur (neu-)veröffentlichen (z. B. Neil Gaimans Sandman) und hat auch so genug gutes Material in der Hinterhand, während mit Spawn gleichzeitig aber auch das US-Helden-Paket und die – von manch einem mit skeptischem Auge verfolgte – Monopol-Stellung auf dem deutschen Heftchenmarkt weiter ausgebaut wird, derweil Monat für Monat Superheldencomics in Heft- und Tradeform, Mangas und nun eben auch die etwas andere Comic-Schiene á la Vertigo (auf- und ab) gefahren wird.

 

Dann dürften Carlsen, Ehapa und Co. ihre vielversprechenden, kommerziell für die Verlage hoffentlich halbwegs rentablen (zumindest der erste Band von Garfield wurde schon nachgedruckt - ein gutes Zeichen für zumindest meinen heißgeliebten Lasagne-Freak!) Werkausgaben fortsetzen, und so freut sich der geneigte Leser schon jetzt auf die nächsten Bände von Blueberry, Garfield, Bone, den Peanuts oder, gegen Ende des Jahres, dann eben auch Isnogud. Dennoch sollten die betroffenen Verlage, so gut sie es auch meinen und so veröffentlichungswert das Material auch sein mag, es 2007 ein bisschen ruhiger angehen lassen, was Gesamtausgaben angeht – irgendwann macht der Geldbeutel die vielen Werkausgaben, die sich meistens bei 30,- Euro pro Band bewegen, sonst nämlich nicht mehr mit. Andererseits sehe ich es freilich gerne, dass sich neben meinem ganz persönlichen Comic-Schatz (den ich, wie manch anderen Schatz auch, erst im Sommer diesen Jahres für mich entdeckt habe) The Complete Calvin and Hobbes nun auch Sammelbände von mir geschätzter Helden wie Garfield oder Blueberry in edlen Hardcover-Editionen einfinden - und diese einmaligen Figuren und ihre Schöpfer und Kreativen hinter den Comics somit endlich die Veröffentlichungsform bekommen, die sie (sich) seit jeher verdient haben.

 

Asterix hat 2006, wie nun langsam aber sicher oft genug erwähnt, nicht wirklich punkten können (sieht man einmal von weiteren Mundart-Veröffentlichungen wie z. B. dem Abschluss der mainfränkischen Trilogie, ab). Also versucht es Ehapa mit der ultimativen, großformatigen Hardcover-Ausgabe sowie im April mit einem Uderzo-Hommage-Band deutscher Zeichner, auf den ich schon ziemlich gespannt bin. Außerdem feiert mit Dagobert Duck die wohl geizigste Ente der Welt ihren sechzigsten Geburtstag und bekommt von Ehapa einen entsprechenden Band auf den Leib geschneidert, derweil auch Goofy und die Hall of Famer der Disney-Riege wieder im Rennen sein dürften.

 

Kontrastprogramm zu den ewig unantastbaren Disney-Helden um Maus und Erpel liefert dagegen z. B. der Start der Thriller-Reihe Rex Mundi gleich zu Beginn des Jahres im Hardcover bei Ehapa. Und auch die Kleinverlage werden uns wieder mit der ein oder anderen Leckerei bedienen, wobei mein Blick vor allem wieder in Richtung Cross Cult, aber auch Eidalon, Epsilon, Splitter oder gar Bocola schweift.

 

So oder so steht schon jetzt eines fest: Es war ein tolles, ja ein wirklich phantastisches Jahr für uns und unser Hobby – und das kommende Jahr wird ebenfalls nicht langweilig werden. Höchstens eine Belastung für den Geldbeutel und die Regalbretter.

 

In diesem Sinne verabschiede ich mich nun erst einmal in den Resturlaub bis Mitte Januar und wünsche einen guten Start ins neue Jahr.

 

Bis dahin – macht’s gut, und danke für den Fisch ...

 

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Erstellt: 19.12.2006, zuletzt aktualisiert: 16.10.2023 21:13, 3230